Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
Eberhard ritt im leichten Trabe auf die Villa des Mynheer de Klaat zu. Als er die Dame gewahrte, begrüßte er dieselbe mit ritterlichem Anstande, warf einem diensttuenden Malaien, der herbeieilte, den Zügel zu und schwang sich aus dem Sattel. Leichten Schrittes betrat er die Veranda.
»Einen gnädigen Willkommen erflehe ich,« sagte der Baron, indem er der erfreuten Sartje die Hand küßte, »wenn ich ihn gleich nicht verdiene, indem ich es seit zwei Tagen versäumte, mich nach den Befehlen einer so liebenswürdigen Dame zu erkundigen. Darf ich wegen dieser Nachlässigkeit um Verzeihung bitten?«
»Wer könnte eine Bitte, so ausgesprochen, abschlagen?« entgegnete Sartje. Sie nahm den Sessel ein, zu welchem der Baron sie führte, und ersuchte ihn, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Er setzte sich ihr gegenüber und begann das Gespräch mit einer leichten Anmut, welche die Dame dergestalt hinriß, daß sie mit beredten Blicken an seinen Lippen hing. Unwillkürlich wurde das Gespräch lebhafter; allein der Baron beherrschte sich mit einer merkwürdigen Konsequenz. Kein Wort entschlüpfte ihm, das mit Bestimmtheit seine Gedanken ausgesprochen hätte. Mit Spannung horchte Sartje auf die Worte des Kavaliers. Es waren süße, verlockende Töne, aber die, welche sie im Innersten am meisten ersehnte, waren nicht darunter.
Eine Stunde war verstrichen, da erschien der Vater. Seine Stirn runzelte sich bei dem Anblick des Barons; doch überwand er die Mißstimmung und nach einigen allgemeinen Redensarten sprach er die Hoffnung aus, der Herr Baron werde mit einem Platz an der Mittagstafel vorlieb nehmen.
»Leider bin ich gezwungen, diese für mich unschätzbare Ehre abzulehnen,« entgegnete der Baron mit einem Blick auf die Dame; »allein ich habe schon bei dem Herrn Generalgouverneur zugesagt und werde von Seiner Exzellenz erwartet.«
Mynheer sprach einige kühle Worte des Bedauerns. Das Gespräch dehnte sich in Gemeinplätzen noch eine Weile hin, worauf sich der Baron erhob, und mit einem zärtlichen Händedruck von der Dame scheidend, sprach er in gewinnendem Tone:
»Wie überraschend schnell die Zeit in so liebenswürdiger Gesellschaft schwindet. Dank für den herzlichen Empfang. Darf ich die Hoffnung mit mir nehmen, bei meinem Wiedererscheinen einer gleichen Huld teilhaftig zu werden?«
Die Dame entgegnete nichts, aber ihre Augen gaben vollauf Antwort. Der Baron entfernte sich. Als er, noch einmal vom Pferde aus grüßend, davon sprengte, sagte Sartje zum Vater:
»Er war im Begriff, sich zu erklären, als du gerade eintratst!«
»Dann ist es mir lieb, daß ich zur rechten Zeit gekommen bin!« antwortete Mynheer de Klaat trocken. »Um es klar heraus zu sagen, ein Herr von Habenichts paßt mir nicht zum Schwiegersohn. Wir wollen nicht wieder auf das frühere Kapitel zurückkommen.«
Sartje ging in der übelsten Laune auf ihr Zimmer.
Die Empfangsstunde kam. Auf dem Kanal erschienen elegante Schaluppen mit farbigen Zelten. Equipagen rollten heran, besetzt mit geschmückten Damen. Die Kavaliere trabten auf stattlichen Rossen nebenher. Einige bequeme Mynheers ließen sich von breitschultrigen Negern in der Sänfte tragen.
Der Mittelpunkt aller dieser in Glanz, Jugend und Schönheit prangenden, von Macht und Reichtum umgebenen Gesellschaft war der Generalgouverneur von Holländisch-Ostindien. Seine Exzellenz, der mit dem Aufwande eines Fürsten das Mutterland repräsentierte, war zugleich ein vollendeter Kavalier, ein Muster edler Männlichkeit und feiner Sitte. Er ließ sich anscheinend zu jedem herab, der sich ihm näherte. Er ging in die Anschauungsweise des ihm Vorgestellten ein und schien mit ihm auf gleicher Stufe zu stehen. Und doch bestand zwischen beiden eine Kluft, welche zu überspringen niemandem gelungen sein würde.
In der nächsten Umgebung des Generalgouverneurs, der seine Gäste mit der ausgesuchtesten Höflichkeit empfing, befanden sich ein Paar junge Offiziere vom Land- und See-Etat, die gewissermaßen Adjutantendienste bei dem gebietenden Herrn versahen. Ihnen ward die Ehre zuteil, den Damen ihre Plätze anzuweisen, und die Herren, welche Seine Exzellenz persönlich anreden wollten, demselben vorzustellen.
»Mit Verlaub, vor Euer Exzellenz das Wort zu nehmen!« sagte einer der jungen Kavaliere. »Hier ist der Baron Eberhard.«
»Euer Exzellenz gestatten,« nahm dieser das Wort, »mich für die mir erwiesene Ehre zu bedanken und mich zugleich nach den Befehlen zu erkundigen, welche Dieselben mir zu erteilen haben. Ich werde ebenso bereit als willig sein, Euer Exzellenz zu Diensten zu stehen.«
»Man könnte den Herrn Baron leicht beim Wort nehmen!« entgegnete der Generalgouverneur. »Mir ist es angenehm, einen Offizier von Ruf vor mir zu sehen und mich mit Genugtuung über die guten Dienste aussprechen, die er unseren Kolonien geleistet hat.«
»Ungern spreche ich von jenen Zeiten, die keine Erinnerungen angenehmer Art zurückrufen!« antwortete der Baron.
»Ich begreife das und habe mir diese Bemerkung auch nur erlaubt, um anzudeuten, daß, wenn irgendwo gefehlt worden ist, eine ehrenvolle Genugtuung nicht auf sich warten lassen darf. Gern biete ich mich zur Mittelsperson an, berechtigte Wünsche zu erfüllen.«
Der Generalgouverneur trat dem Baron näher und sprach so leise, daß die Umstehenden nicht imstande waren, etwas zu verstehen. Als er wieder in die gehörige Entfernung zurücktrat, fügte er hinzu:
»Während mir die Ehre zuteil wird, den Herrn Baron als Gast in meinem Hause zu sehen, wird sich wohl eine Minute finden, diese Angelegenheit weiter zu besprechen. Jetzt halte ich mich entschuldigt, da meine Pflichten als Wirt meine Gegenwart an einer anderen Stelle fordern.«
Die huldvolle Weise, mit welcher die erste Person im Lande den deutschen Edelmann empfing, blieb nicht unbemerkt. Nicht nur die jungen Offiziere flüsterten sich ihre Bemerkungen zu, die eine so ungewöhnliche Höflichkeit hervorrief; auch unter dem übrigen Teil der Gesellschaft war dies nicht unbeachtet geblieben. Baron Eberhard war, ohne es zu wissen und zu wollen, der fast ausschließliche Gegenstand der Neugier, des Staunens und des Neides.
Die Festlichkeiten begannen. Charaktertänze, in prächtigen Kostümen, wurden von Eingeborenen in dem phantastisch ausgeschmückten großen Salon ausgeführt. Die Musikbanden der Regimenter spielten abwechselnd patriotische oder heitere Kompositionen. Erfrischungen werden in Fülle herumgereicht.
Als der Abend hereinbrach, verwandelte sich die Szenerie in feenhafter Weise. Tausende von farbigen Lampen, in Form riesiger Blumen, hüllten alles in ein magisches Licht. Springbrunnen stiegen aus üppig wuchernden Pflanzengruppen auf und verbreiteten köstliche Wohlgerüche. Ein Märchen aus Tausend und eine Nacht schien lebendig geworden, das seinen Gipfelpunkt erreichte, als vor dem Palast ein glänzendes Feuerwerk begann und die dunkle Nacht in Tageshelle verwandelte.
Und doch ward die Aufmerksamkeit von all diesen Herrlichkeiten abgelenkt. Sie wandte sich einem Ereignis zu, welchem einige der Anwesenden als Augenzeugen beiwohnten und das sich jetzt wie ein Lauffeuer durch die Gesellschaftssäle bewegte. Der Generalgouverneur hatte den Baron aufgesucht, hatte ihn unter dem Arm gefaßt und war mit ihm in der offenen Galerie auf- und abgegangen. Welches der Inhalt dieser ziemlich langen Unterredung gewesen war, hatte keiner gehört, allein der Generalgouverneur trennte sich in ziemlicher Mißstimmung von seinem Gaste und sein jüngster Adjutant hörte deutlich, daß Seine Exzellenz vor sich hinsprach: »Das hat man von seiner Zuvorkommenheit, einem Manne zu helfen, sich emporzubringen. Eine kühle Abweisung ist der Lohn!«
Diese Worte zündeten. Man wußte, daß eine Expedition gegen die überhandnehmenden See- und Küstenräubereien im Werke war. Man bedurfte dazu tüchtiger, zuverlässiger Offiziere, und es war daher natürlich, daß Seine Exzellenz dem Baron Eberhard, dem ein guter Ruf voranging, ein Kommando zudachte. Und diese Ehre wurde kurzweg abgelehnt. Warum? Weshalb? Alle Gerüchte, welche über den Baron im Umlauf waren und die seit einiger Zeit zu schlummern schienen, tauchten mit einem Male wieder auf und schossen wuchernd empor.
Der Rückschlag war augenblicklich merkbar. Nach dem ersten Empfang des Barons war dieser der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit; nach der zweiten Unterredung mit dem allmächtigen Gebieter löste sich das leichtgeschürzte Band. Der Baron ward völlig isoliert und entfernte sich aus der Gesellschaft, ohne daß jemand davon Notiz nahm.