Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
Meinung wissen. Es versteht sich von selbst, daß wenn Ihr ihn ablehnt, er ein Geheimnis bleibt, das nur zwischen uns beiden besteht.«
»Mein Ehrenwort darauf,« sagte Baron Eberhard und entfernte sich. Am andern Tage erschien er nach beendeter öffentlicher Audienz im Gouvernements-Palast und ließ sich melden. Er wurde augenblicklich vorgelassen und jeder weitere Besuch verbeten. Die Unterhaltung dauerte eine geraume Zeit. Als der Baron sich entfernte, ging der Gouverneur triumphierend auf und ab:
»Das gelang! Der Herr Baron werden, trotz aller Anspruchslosigkeit, von Tag zu Tag hier einflußreicher und drohen, uns die Zügel zu entreißen. Die besonnenen Mynheers lassen sich von diesem feurigen Deutschen imponieren und wagen es, mir zu widersprechen. Ihre Worte sind derartig, daß man fürchten muß, die Tat folge ihnen auf dem Fuße nach. Ich habe aber keine Lust, den Platz zu räumen, also muß es dieser Baron tun, und darum schicken wir ihn morgen nach Cayenne.«
Monate verstrichen. Der Baron war in Cayenne angekommen und harrte wochenlang der Entscheidung. Statt eines raschen Entgegenkommens, welches man ihn hatte hoffen lassen, erfuhr er Weitläufigkeiten aller Art. Man begegnete unverhofften Schwierigkeiten, und wenn sie kaum gehoben waren, traten andere an deren Stelle. Die Geduld erschöpfte sich. Der Baron befand sich in einem Zustande ungewöhnlicher Aufregung. Mit einem Schlage wollte er die Angelegenheit beenden. Sie sollte biegen oder brechen.
Mit diesem Entschluß begab er sich in das Hotel des Gouverneurs. Achselzucken, Bedauern empfingen ihn. Der Gouverneur könne ihn nicht sehen; heute nicht, morgen nicht. Seine Exzellenz wären nicht unbedenklich erkrankt und hätten mit Tagesanbruch die Stadt verlassen, um auf ihrem Landsitz Genesung zu finden.
»Dann folge ich ihm dahin!« rief der Baron in steigender Ungeduld. »Ich merke es seit langem, daß man mich hier nutzlos aufhält, und will die Angelegenheit beendet wissen.«
Der Schreiber, durch welchen der Baron die Mitteilung von der Abreise des Gouverneurs empfing, entgegnete höflich:
»Der Herr Baron ist Herr seiner Handlungen. Nur fürchte ich, daß die Reise, welche Dieselben nach der Villa des Gouverneurs beabsichtigen, ebenfalls zu keinem Resultat führen wird. Der Herr Baron werden denselben nicht sehen; man wird das von den Aerzten erlassene Verbot vorschützen.«
»Vorschützen, sagt Ihr? So wäre die Krankheit nur eine Erfindung ...«
Der Baron schwieg vor Entrüstung. Ihm stieg das Blut zu Kopf. Eine Unruhe, deren er nicht Herr werden konnte, bemächtigte sich seiner. Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn. Der Schreiber entgegnete rasch:
»Ich muß den Herrn Baron dringend bitten, auf ein Wort, das mir unwillkürlich entschlüpfte, nicht ein allzu großes Gewicht zu legen. Uebrigens wollte ich mir erlauben, dem Herrn Baron einen guten Rat zu geben, wenn Dieselben ihn von einem so einfachen Manne annehmen mögen.«
Das Unbehagen des Barons war im Steigen. Es sauste ihm vor den Ohren. Er nickte dem Schreiber zu, fortzufahren, und dieser sagte:
»Der Herr Baron sind hier nicht akklimatisiert. Cayenne ist ein gefährlicher Ort, und wenn das Fieber ausbricht, rafft es Tausende hin. Aber der Herr Baron wollen vergeben. Ich habe Geschäfte und es ist schon spät.«
Der Baron sah dem Schreiber nach und bemerkte, daß dieser ein Papier zur Erde fallen ließ, ohne es wieder aufzunehmen. Es geschah zu auffällig, als daß es nicht mit Bewußtsein geschehen sein sollte. Rasch hob der Baron es vom Boden auf und warf einen Blick hinein. Es war die Handschrift des Gouverneurs von Holländisch-Guayana und an den Befehlshaber der französischen Militärmacht von Cayenne gerichtet.
Es schwamm ihm vor den Augen. Verrat! Heimtückischer Verrat! Baron Eberhard war nur nach Cayenne gesandt, um es nicht wieder zu verlassen. Man solle ihn dort möglichst hinhalten. Die holländische Regierung würde es mit Dank anzuerkennen wissen, wenn Frankreich die Dienste eines Mannes zu gewinnen suche, der für Holland eine Unmöglichkeit geworden sei. Vielleicht würde Cayenne, berauscht von den hochfliegenden Ideen eines phantastischen Deutschen, sich in ein Eldorado verwandeln und dadurch eines Glückes teilhaftig werden, welches sich Holland, das gern mit festen Füßen auf sicherem Boden stehe, versagen müsse. Der ganze Brief war in einer Weise abgefaßt, daß die Absicht, welche damit bezweckt wurde, unverhohlen zutage trat.
»Verrat!« rief der Baron und erhob drohend die Hand. Seine Augen glühten. Seine Pulse jagten. Aber es war die letzte Kraftanstrengung. Die Schwäche des Körpers siegte über das geistige Wollen. Er mußte nach der Lehne eines Stuhles greifen, um nicht umzusinken. Der Uriasbrief fiel zur Erde.
Kaum war es geschehen, als der Sekretär, der draußen wartete, wieder eintrat. Er hob den Brief auf, den er in die Tasche schob, und sagte unbefangen:
»Der Herr Baron entschuldigen, aber es wird demselben angenehm sein, zu erfahren, daß Dero Begleitung mit der Sänfte angelangt ist.«
Ohne etwas darauf zu entgegnen, entfernte sich Baron Eberhard. In seiner Behausung angelangt, war er gezwungen, sein Bett aufzusuchen. Der herbeigerufene Arzt erklärte, daß einer großen Gefahr vorgebeugt werden könne, wenn sich der Patient zu einer schnellen Luftveränderung entschlösse. Am ratsamsten sei in Fällen, wie der vorliegende, eine Fahrt auf die offene See hinaus. Die Aerzte von Cayenne wissen immer ein Mittel zu finden, um die dem Klima rettungslos Verfallenen aus ihrer Nähe zu entfernen. Das Gewissen ist dann gerettet und der gute Ruf leidet nicht.
Dem treuen Diener war es gelungen, einen Schiffer zu finden, der mit dem abendlichen Landwinde die Anker lichten wollte. Der Baron gab schweigend seine Einwilligung und Baron Eberhard wurde an Bord eines Schiffes gebracht, welches bestimmt war, Paramaibo anzulaufen, um dort einen Teil seiner Ladung zu löschen. –
Das Audienzzimmer in dem Gouvernements-Palast zu Paramaibo war ganz gefüllt. Zu den Personen, welche wichtige Geschäfte hierher führten, gesellten sich solche, deren Anliegen durch eine Verschiebung nichts einbüßte. Viele kamen auch nur der bloßen Neugier wegen. Es waren Nachrichten aus dem Mutterlande angekommen und jeder sehnte sich danach, der erste zu sein, der die willkommene Botschaft glücklicher Ereignisse vernehmen und weiter tragen könne. Der Kommandant des Staatenschiffes war noch in dem Kabinett des Gouverneurs und hatte mit demselben eine geheime Unterredung. Die begleitenden Offiziere des Schiffskommandanten befanden sich in dem Audienzzimmer. Man drängte sich an sie. Man überhäufte sie mit Komplimenten und bat um die Ehre, sie bei sich empfangen zu dürfen; allein die Mynheers glichen lebenden Statuen, welche nicht imstande waren, den Mund zu öffnen. Eine stumme Verbeugung war alles, was die größte Beredsamkeit als Antwort zu erringen vermochte.
In diesen Augenblicken ruheloser Erwartung, die sich von dem Palast aus über die ganze Stadt verbreitete, hatte niemand ein Auge für die kleinen, unbedeutenden Ereignisse. Erfüllt von dem Außerordentlichen, das von fernher erwartet wurde, zu einer Stunde, wo vielleicht Krieg und Frieden zur entscheidenden Wahl stand, mochte es jedermann gleichgültig sein, daß ein Mann aus der Behausung eines Negers in das helle Sonnenlicht hinaustrat. Es war der deutsche Schauspieler, welcher während der Aufführung des Torfschiffes von Breda die Flaggenszene aus dem Stegreif spielte. Als die Gesellschaft, zu welcher er gehörte, Paramaibo verließ, war er bereits erkrankt und mußte daher zurückbleiben. Baron Eberhard nahm sich seiner an: allein da bald daraus die Abreise des letzteren eintrat, war niemand da, der sich um ihn bekümmerte, und in der Hütte des Negers fand der arme deutsche Komödiant seine Heimat.
Er wankte dem Hafen zu und näherte sich dem Landungsplatze. Hier legte das Boot eines Küstenfahrers an, der von Cayenne kam, um einen Passagier zu landen. Nur mit Hilfe eines Matrosen gelang es demselben, das Boot zu verlassen und die Brücke zu betreten. Die Diener folgten mit dem Gepäck.
»Baron Eberhard!« rief der Komödiant. »In welchem bedauernswerten Zustande treffe ich Euer Gnaden?«
»Ich sehe wohl,« entgegnete dieser mit einem schmerzlichen Lächeln, »daß wir eine und dieselbe Rolle gespielt haben. Der Meister, der unser Schauspiel dirigierte, hat uns ein tragisches Ende zugedacht.«
»Hoffentlich nicht. Euer Gnaden!« sagte der Komödiant. »Ich rechne vielmehr, nachdem die Katastrophe überstanden ist, auf einen glücklichen Ausgang.«