Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
zu schließen, das er so zärtlich liebte. Es war eine edle Regung seines Herzens, die alle seine Fehler und Schwächen vergessen ließ. Er näherte sich der Frau Rosmarin und sagte:
»Ich habe heute nacht Vieles verloren. Wieviel es ist, kann ich nicht berechnen. Aber ich will es verschmerzen, um des reichen Schatzes willen, den Ihr Sohn mir geborgen hat. Es soll ihm nicht vergessen sein. Ihm nicht und Ihr auch nicht, Frau. Darauf kann Sie sich verlassen.«
Alle waren wieder in das Haus getreten. Die Aufgeregten beruhigten sich nach und nach. Man fragte und berichtete und ergänzte das früher nur mangelhaft Gesagte. Herr Elias legte Hand an sein vielfach zerstörtes Werk. Die beiden Mütter saßen beieinander und sprachen vertraulich miteinander. Die Lene hatte beide Hände ihres jungen Freundes gefaßt und sagte:
»Und darauf kannst du dich verlassen, daß ich es dir nicht vergessen werde, was du für mich tatest. All meine Lebtage will ich daran denken, und wenn mir etwas Gutes geschieht, werde ich sagen, das hättest du nicht, wenn der Jan Blaufink nicht gewesen wäre.«
»Mache nicht so viel Wesen davon, Lene. Wir wollen uns freuen, daß es so gekommen ist und daß dein Vater mich für keinen Taugenichts mehr hält. Und wegen der Mutter – sie ist dir gut, Lene, und ich möchte wohl, wenn es anders angeht, daß du ab und zu ihr ein freundliches Wort sagst, wenn ich fort bin, denn sie denkt stets an mich und grämt sich im stillen.«
»Darüber sei außer Sorge. Sie hat meinen Schlaf bewacht und mir liebevoll Trost zugesprochen, als ich mich in der dunklen Kammer zu fürchten begann. Das vergesse ich auch nicht. Wir werden oft beisammen sein und von nichts anderem sprechen als von dir.«
»Ach, Lene! Das geht wohl, wenn ich mit dem Hans Kramer nach Amsterdam oder da herum segle und nach zwei oder drei Monaten wieder hier bin. Aber wenn ich nun die lange Reise antrete ...«
»Wie lang ist sie denn?« fragte Lene rasch.
»Ich weiß es nicht zu sagen. Aber es gehen viele Weihnachtsabende ins Land, bevor sie zu Ende ist. Dann bist du eine große Mamsell geworden, Lene, und die Mutter Rosmarin liegt wohl gar schon auf dem Annenkirchhofe ...«
»Was meinst du denn damit?«
»Damit meine ich, daß du mich dann längst vergessen hast und mich groß ansehen wirst, wenn ein baumlanger Kerl in der blauen Jacke bei dir eintritt und sagt: Lene Brammer, kennt Sie mich noch? Weiß nicht, was da für eine Antwort herauskommen würde.«
»Ich würde sagen, daß du Jan Blaufink bist, der mich von dem Sims über der Haustür herunterholte, als die Springflut über den Straßendamm wegbrauste. Darauf gebe ich dir meine Hand und was ich einmal versprochen habe, das halte ich.«
Die beiden Frauen machten eine Pause in ihrer Unterhaltung. Frau Brammer trat zu den jungen Leuten und sagte zu Jan:
»Ich muß es noch einmal vom Herzen herunter sagen, wie sehr ich mich freue und wie dankbar ich bin. Segle du in Gottes Namen, wohin du willst, unbekümmert um das Schicksal deiner Mutter. Ich werde ihr eine treue Freundin sein und sie nicht verlassen.«
Frau Rosmarin war auch zu der Gruppe getreten und zog ihren Sohn an ihre Brust:
»Und all dieses Glück verdanken wir dir allein. Fühle es an dem Schlage meines Herzens, wie sehr ich es empfinde.«
»Das halte ich nicht aus!« rief Jan Blaufink mit einem tiefen Atemzuge und machte sich sanft von den Armen seiner Mutter los. »Was habe ich denn getan, als daß ich dem Hans Kramer seine Jolle entführte und mit derselben auf dem Straßenpflaster hin- und herfuhr? Weiß nicht, was er dazu sagen wird, wenn ich ihm in Sicht laufe.«
»Das kannst du gleich in Erfahrung bringen,« entgegnete dieser, welcher kurz vorher eingetreten war, ohne daß Jan ihn bemerkte. »Konnte es mir denken, daß ich dich hier treffen würde, und komme, um dir zu sagen, daß es mit uns beiden Lied am Ende ist.«
»Dachte, daß es so kommen würde.«
»Aufsässige Gesellen, die meine Jolle ramponieren, kann ich nicht brauchen,« fuhr der Schiffer fort, indem er einen Brief aus der Tasche zog. »Aber hier, mein Junge, habe ich einen Brief vom Mynheer Gisbert Gerritz, Hochbootsmann am Bord des Ostindienfahrers »Gelderland«, der einen solchen Gesellen braucht und ihn auf mein Fürwort an Bord nehmen und einen Seemann aus ihm machen will, aus dem man einen Decks- oder Kajütsoffizier machen kann, alles nach Belieben.«
»Ist das wahr?« rief Jan außer sich.
»Das ist wahr, mein Junge. Mache es kurz mit dem Abschied. Die »Vrouw Margarete« erwartet dich, um dich an Bord des »Gelderland« zu bringen! Ich gehe voraus. In zwei Stunden werfen wir das Kabeltau ab.«
Hans Kramer ging. Die neue, unerwartete Kunde versetzte alle in die größte Aufregung. Die Frauen weinten und selbst Elias Brammer konnte einige Bewegung nicht unterdrücken. Lene sprach nichts, aber ihr Gesicht wurde bleich und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schlang ihre Arme um ihn und wollte ihn nicht lassen.
Die zwei Stunden, welche Hans Kramer festgesetzt, waren beinahe verstrichen, als Jan Blaufink auf die Straße hinaustrat. Keiner gab ihm das Geleit. Er hatte es so verlangt.
»Das war auch eine schwere Bö,« sagte er, rüstig fortschreitend. »Fast noch schwerer, als die in der Springflutnacht. Das arme Ding, die Lene! Sie ward so weiß wie der Kalk an der Wand. Holla Ahoi! Jakob Maifisch! Jolle zur Hand?«
»Allstunds, mein Junge! Und viel Glück auf der Fahrt nach Ostindien.«
Unfern davon standen einige Burschen, die umherlungerten, wie es solche Burschen zu machen pflegen, die keine sonderliche Lust haben, etwas zu tun. Als sie Jan gewahrten, eilten sie diesem entgegen und riefen aus vollem Halse:
»Jan Blaufink!«
»Das ist nun vorbei,« antwortete dieser. »Hier hat mein Reich ein Ende und jenseits des großen Wassers ist die Sorte von Vögeln nicht in der Mode.«
»Sollen wir ohne einen Führer sein?« fragten die Burschen.
»Wäre schade, wenn die Tollen nicht einen noch Tolleren über sich hätten!« sagte Jan. »Ich bin es heute nicht mehr. Wie die Springflut über die Ufer tritt und Stadt und Land unter Wasser setzt, bis die Ebbe kommt und alles trocken legt, so auch im Leben. Ueber mich aus dem Spinnschuppen in der Reeperbahn an Bord einer Kuff und will mich nun von dieser auf das Deck eines Dreimasters werfen, wo ich im Kabelgat oder sonstwo hängen bleibe.«
»So lange es dauert,« sagte einer von den Genossen. »Vielleicht packt sie dich zum zweiten Male und wirft dich auf das Halbdeck, wo die Mynheers stehen. Das gönne ich dir.«
»Wir alle! Wir alle!«
»Dank, Jungens! Und dir vor allem, Jan Thiemer, der du das Wort zuerst aussprachst. Dafür ernenne ich dich zu meinem Nachfolger. Werde du Jan Blaufink und mache meinem Namen keine Schande. Ist es dir recht?«
»Mir ist es recht!« sagte Jan Thiemer. »So bin ich denn nun Jan Blaufink.«
»Und Ihr? Nehmt Ihr ihn an?«
»Wir tun es, auf dein Wort!«
»Holla Ahoi!« erklang der mahnende Ruf des Jollenführers Jakob Maifisch, der bereits unten in seiner Jolle war.
»Allstunds!« rief Jan Blaufink. »Nun, Jungens, da habt ihr zwei blanke Vierschillingstücke zum Vertrinken. Seht zu, wie ihr sie klein kriegt. Und nun vorwärts! Euer Meister voran!«
Dahin stürmten sie mit hellem Jauchzen. Weithin erklang der Ruf:
»Da kaam wi mit Jan Blaufink an!«
Er warf ihnen einen letzten Blick nach, sprang dann von Stufe zu Stufe abwärts in die Jolle des Jakob Maifisch und sagte:
»Brumme nicht, Alter, und hole frisch aus, damit mir die »Vrouw Margarete« nicht außer Sicht kommt, denn die ist mir von allen, die ich lieb habe, die einzige, welche mir übriggeblieben ist. Du weißt doch noch, wo meine Mutter wohnt und sagst ihr, daß ich gut an Bord gekommen bin?«
»Will