Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
lustig. Lasse mich doch hier stehen. Ich habe es gerne, wenn sie so fröhlich sind. Die tun keinem etwas.«
Frau Brammer war zu ihnen getreten, indem sie zu dem Manne sagte:
»Wahrscheinlich hat eben ein Schiffsvolk abgemustert und will sich einen heitern Tag machen.«
»Gott erbarme sich!« erwiderte Elias Brammer, und wollte eines seiner gewöhnlichen Klagelieder anstimmen, als die Lene rief:
»Da ist er!«
»Wer?« fragte die Mutter, und Lene fuhr freudig erregt fort:
»Der lustige Junge vom heiligen drei Königstage her, der mir rechtschaffen beistand und der ein Seemann geworden ist. Er hat uns schon gesehen und winkt mir zu.«
Elias Brammer hatte ihn auch bemerkt und konnte eine bittere Empfindung nicht unterdrücken, als er daran dachte, daß er der erste war, der einen Stein auf den armen, unschuldigen Jungen warf. Es wandelte ihn etwas an wie Scham, und er war eben im Begriff, sich in der Stille zurückzuziehen, als ihm jemand auf die Schulter klopfte und er, indem er sich umdrehte, in das Gesicht seines Kunden, des Herrn Bohnenberg, schaute, der zu ihm sagte:
»Muß mich das Unglück treffen, daß mir ein solcher Trupp entgegenkommt, da ich gerade wieder vor Seiner Ladentür stehe. Nehme Er es nicht übel, aber ich will einen Augenblick bei Ihm eintreten. – Ein Stuhl ist nicht nötig, Frau Brammer. Man reibt nur die Politur von den Stühlen, wenn man sie so viel hin und her trägt. Nicht wahr, Herr Brammer?«
Aber dieser mußte die erwartete Antwort schuldig bleiben, denn die helle Stimme des jungen Matrosen rief ihm zu:
»Guten Tag, Herr Brammer. Wie Er sieht, ist es mir gut gegangen, und Er gönnt es nur hoffentlich, wenn ich auch nicht sagen kann, Gott vergelte es, da Er nichts dazu beigetragen hat.«
Elias Brammer brummte etwas vor sich hin und Jan Blaufink fuhr fort:
»Ich hatte es schon ganz vergessen, was zwischen uns vorgefallen ist; aber nun ich mit einem Male vor Ihm stehe, ohne vorher daran gedacht zu haben, steigt es in mir mit solcher Gewalt auf, daß ich es nicht unterdrücken kann, und ich muß es von dem Herzen herunter haben.«
Frau Brammer sah mit Schrecken eine Szene sich vorbereiten, welche sie nicht zu verhindern wußte und bemerkte mit einer Anwandlung von Furcht das schadenfrohe Lächeln, das um die Lippen des Herrn Bohnenberg spielte, der nicht nur der Kunde, sondern auch der Gläubiger ihres Mannes war. Aber die Lene in kindlicher Herzlichkeit und nicht ahnend, welcher Mißton zwischen dem Vater und dem jungen Freunde herrschte, der sich ihrer ritterlich annahm, reichte diesem die Hand und sagte:
»Guten Tag, Jan Blaufink. Wenn die Schiffskapitäne zu uns in den Laden kommen, sagt der Vater zu ihnen: Willkommen binnen, und das sage ich auch zu dir! Du hast ein recht braunes Gesicht bekommen und gewachsen bist du auch.«
»Und du noch mehr,« entgegnete Jan Blaufink. »Da getraue ich es mir nicht mehr, so zu sprechen, wie sonst. Wie geht es Ihr denn, Jungfer Brammer, und ist Sie auch immer hübsch gesund gewesen?«
»Wie das närrisch klingt!« sagte Lene zu der Mutter. »Muß ich nun auch zu ihm Herr Jan Blaufink sagen?«
Frau Brammer legte sich ins Mittel, indem sie den jungen Seemann freundlich willkommen hieß, und ihn einlud, wenn es seine Zeit erlaube, einmal bei ihr vorzusprechen. Lene stimmte fröhlich mit ein und versprach, ihm auch für seine Mutter ein Geschenk mitzugeben.
Jan konnte sich der innigsten Rührung nicht erwehren, und indem er mit der Hand über die Augen fuhr, sagte er zu Elias Brammer:
»Das Bittere ist hinuntergeschluckt. Der liebe Herrgott hat gegeben, daß das Schlimme, womit ich bedroht wurde, zum Guten ausschlug. Hoffe, daß damit unsere Rechnung abgemacht ist und ich trage es Ihm nicht weiter nach. Vorwärts, Jungens!«
Der Trupp zog weiter. Herr Elias Brammer würgte den Aerger herunter, so gut es ging und Herr Bohnenberg sagte, indem er ihm wieder auf die Schultern tippte:
»Wenn ein seßhafter Mann solche Verweise auf offener Straße von einem Matrosenkerl erhält, leidet die Reputation darunter und das schadet dem Geschäft. Ich bemerke Ihm das, weil ich nicht nur Sein Kunde bin, sondern auch ein Stück Geld in Seiner Handlung stecken habe. Er braucht sich nicht so ängstlich umzusehen. Frau und Tochter sind schon längst hineingegangen. Gesegnete Mahlzeit, Herr Brammer.«
»Wer poltert denn da schon wieder die Treppe hinauf?« sagte verdrießlich Jungfer Mewes und öffnete die Tür. »Holla, Heda! Wer ist es?«
»Ich!« rief Jan Blaufink, indem er sich auf die letzte Stufe schwang und neben der zankenden Jungfer stand. »Ich bins, Jan Blaufink! Mutter! Wo bist du?«
»Mein Sohn! Mein Sohn!« rief Frau Rosmarin und eilte ihm entgegen.
Sie hielten sich innig umschlossen.
»Mein Kommen hat nicht die Wolke verjagen können, die auf deiner Stirn lagert,« sagte nach einer Pause der Sohn. »Was drückt dich?«
»Zwischen uns soll kein Geheimnis sein!« entgegnete Frau Rosmarin und erzählte dem Sohne, mit welchen Hoffnungen sie die Wanderung nach dem Dorfe Geesthacht angetreten und mit welchem kummervollen Herzen sie von demselben geschieden sei.
»Lasse den Namen des Vaters ruhen, wie er selbst vielleicht schon längst in kühler Erde, oder auf dem Grunde des Meeres ruht. Ich habe mir selbst einen Namen geschaffen, den ich mit Gottes Hilfe zu Ehren bringen will und mein Gewissen sagt mir, daß ich schon einen gesegneten Anfang damit machte. Vielleicht ist mir nur kurze Zeit zu bleiben vergönnt. Wir wollen sie mitsammen in Frieden und Freude hinbringen und glücklich sein.«
»Das wollen wir,« sprach die Mutter. »Vergessen sei die Vergangenheit mit allen ihren Leiden. Du bist meine Zukunft, auf dich will ich schauen und glücklich sein.«
Springflut
Frau Brammer stützte sich mit beiden Händen auf den Ladentisch und rief ihrem Manne zu, der hinter seinem Kontorpult stand:
»Brammer, bedenke es wohl!«
»Ich habe es bedacht, Kind.«
»Und? Was geschieht nun?«
»Wir fahren am Donnerstag nach Wandsbeck und kommen am Sonnabend nach Hause.«
»Ich kenne dich nicht wieder. Du, sonst so sparsam, geizig könnte man sagen, willst jetzt unbedachter Weise vierzig Mark ausgeben ...«
»Können fünfzig werden, Frau, wenn ich den Aufenthalt im Wirtshause mit veranschlage, das Hochzeitsgeschenk nicht gerechnet.«
»Und in dieser Jahreszeit! Alle Tage Regen und Wind, daß man nicht weiß, wo aus noch ein.«
»Dafür nehmen wir eine zugemachte Kutsche, obgleich sie drei Mark mehr kostet, als ein offener Stuhlwagen. Auf einem solchen fahren die Bauern zur Hochzeit. Stadtleute kommen in der Kutsche. Müßte ich den Jungen nicht im Laden lassen, er sollte als Bedienter hinten aufstehen.«
»Der Mann ist wie ausgewechselt!« sagte Frau Brammer.
»Aber nicht gegen falsche Schillinge!« entgegnete er mit einem schlauen Lächeln. »Es sind Verwandte von dem Bohnenberg, die sich heiraten. Sein Neffe kriegt die schöne Julie Lestang im Posthause. Die Kundschaft dieser frequenten Wirtschaft ist mir sicher und vielleicht locke ich den »schwarzen Bären« auch in mein Garn. Somit steht halb Wandsbeck in meinem Kontobuch und du wirst einsehen, daß die Reise zur Hochzeit eine Notwendigkeit ist.«
Herr Brammer sagte das mit einem so entschiedenen Ton, wie ihm nur immer zu Gebote stand und seine Frau ergab sich seufzend in ihr Schicksal. –
An Bord der spiegelblanken Kuff »Vrouw Margarethe« fand zur selbigen Zeit ein Zwiegespräch, wenn auch andern Inhaltes, statt. Der Schiffer Hans Kramer ging das Verdeck auf und ab,