Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
Kirchenbuch und andere Papiere, welche für die Gemeinde von hohem Werte waren, wurden dort, weil in der beschädigten Kirche Bauleute aus- und eingingen, in einem wohl verschlossenen Schrein aufbewahrt. Das Feuer, welches unerwartet vom Himmel fiel, griff mit solcher Schnelligkeit um sich, daß an eine Rettung dieses Schatzes nicht zu denken war.
Der niedergebrannte Teil des Hauses wurde wieder aufgebaut. Ein neuer Pfarrer hielt seinen Einzug in die Pfarre, und in der Studierstube wehte alsbald ein anderer Geist, als in jenen Tagen, wo die Wände von den melodischen Gesängen spanischer Dichterheroen widerhallten. Herr Pastor Knoop war ein strengorthodoxer Mann, der nichts Weltliches in seiner Nähe duldete und mit heiligem Eifer dazwischen fuhr, wenn das junge Volk in der Gemeinde seiner Lust ein wenig den Zügel schießen ließ. Er fuhr mit einem Weheruf dazwischen, so oft ein junger Gesell in der Schenke zum vollen Glase ein heiteres Schelmenlied sang oder die Dirne mit einem zu lauten Juchhe im Tanze schwenkte.
Der neue Pastor ging in der Allee auf und ab. Er sann über den Entwurf einer Predigt nach, die er am nächsten Sonntage seiner Gemeinde halten und ihr darin das Fegefeuer mit den gräßlichsten Farben schildern wollte, denn es waren neuerdings auf dem Jahrmarkte zu Alten-Eamm, hervorgerufen von seinem Geesthachter jungen Volke, einige Exzesse vorgefallen, die seinen höchsten Zorn erregt hatten. Der Herbstwind warf das vergilbte Laub von den Bäumen und trieb es in wirbelnden Kreisen vor ihm her. Es deutete bildlich die Stimmung des erzürnten Geistlichen an.
Pastor Knoop war unvermählt. Eine alte Magd führte ihm das Hauswesen. Sie war stets mürrisch und verdrießlich, und machte die Schatten, die der Herr verbreitete, noch undurchdringlicher. Diese kam von dem Hause her und vertrat dem Pastor den Weg.
»Was gibt es?
»Es ist eine Frau da, die den Herrn Pastor sprechen will.«
»Eine aus der Gemeinde?«
»Sie ist aus Hamburg und will den Herrn Pastor durchaus sprechen. Ich sagte, das ginge jetzt nicht, denn der Herr Pastor studiere seine Predigt, worauf sie erwiderte, daß sie warten würde und wenn es bis Mitternacht dauerte. Nun sitzt sie draußen auf der Bank.«
»So bringe sie in meine Studierstube und heiße sie warten. Wie heißt sie?«
»Christine Lohse hat sie sich genannt,« gab die Magd zur Antwort und ging, um den erhaltenen Befehl zu vollziehen.
Frau Rosmarin, welche diesen Trauernamen führte, als die liebliche Maienblüte verwelkt war, sah sich zwischen denselben Mauern, an demselben Platze, wo sie mit ihrem geliebten Dunkelschön von dem Pastor Johannis Koch feierlich eingesegnet wurde. Welche Gedanken, welche Empfindungen stiegen an dieser Stelle in ihrer Seele auf. Was hatte sie gelitten von jener festlichen Stunde an bis zu der gegenwärtigen! Sie wurde so sehr davon hingerissen, daß sie den Eintritt des Geistlichen überhörte und bei dessen Anrede zusammenfuhr.
»Verzeihung, ehrwürdiger Herr, daß ich es gewagt habe, zu stören. Allein meine Lage ist eine so beklagenswerte ...«
»Zur Sache, wenn es beliebt.«
»Ich bin verheiratet und habe meinen Mann verloren. Mein Sohn ist herangewachsen und soll in das öffentliche Leben treten. Der Taufschein ist verloren gegangen ...«
»Sie muß sich an den Geistlichen wenden, der die Kopulation vollzogen hat,« war die Antwort.
»Das kann ich nicht,« sagte Frau Rosmarin. »Er ist tot, und darum wende ich mich an seinen Nachfolger.«
»An mich? Ist Sie denn aus der hiesigen Gemeinde?«
»Nein, ehrwürdiger Herr. In unserer Not nahmen wir unsere Zuflucht zu dem Herrn Pastor Koch und er gab uns in Gottes Namen als christliche Eheleute zusammen. Jetzt stehe ich allein und habe meine ganze Hoffnung auf Euer Ehrwürden gesetzt, um einen neuen Trauschein zu erlangen.«
»Den kann ich Ihr nicht geben. Bei dem Brande, der vor einigen Jahren hier stattfand, sind die Kirchenbücher vernichtet.«
»Allmächtiger Gott!« rief die Unglückliche und ward bleich wie die Wand.
»Es ist ein Schicksal, welches Sie mit vielen teilt,« entgegnete Pastor Knoop. »Warum hat Sie ein so kostbares Dokument nicht sorgfältiger bewahrt?«
»Ich habe es nie gehabt. Mein Mann trug es bei sich und als er plötzlich verschwand ...«
»Er verschwand? Hier liegt also eine bösliche Verlassung vor. Die Sünde greift immer weiter um sich. Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und suchet, wen er verschlinge. Er braucht nicht lange zu suchen. Die liebe Christenheit ist nur allzu bereit, in seinen Rachen hinab zu fahren.«
»Nein, ehrwürdiger Herr, so ist es nicht,« entgegnete sie, sich ermannend. »Er hat mich nicht böslich verlassen, er wurde mir gewaltsam geraubt.«
»Menschenraub! In unseren Tagen?« entgegnete der Pastor, die Stirn runzelnd. »Will Sie mir ein Märchen aufheften?«
»Es ist leider eine nur allzu traurige Wahrheit!« sprach Frau Rosmarin. »Ich sehe wohl, daß ich jeden Umstand mitteilen muß, wenn ich verstanden sein will, und bitte Euer Ehrwürden, mich in Gnaden anzuhören.«
Der Pastor erwiderte hierauf nichts und sie fuhr fort:
»Mein Name ist Christine Ramke. Ich lebte bei meinem Oheim, dem Großböttchermeister Lorenz Namke. Eines Tages begegnete ich einem jungen Manne. Er hieß Eberhard Lohse, weil er aber schön war und schwarze Ringellocken hatte, nannte man ihn allgemein Dunkelschön.«
»Was wird das?«
»Wir liebten uns, ehrwürdiger Herr, und begehrten, uns zu ehelichen; allein da meine Verwandten niemals eingewilligt haben würden, von wegen des Standes meines Geliebten ...«
»Warum stockt Sie?«
»So entlief ich aus dem Hause meines Oheims und entfloh mit dem Geliebten, der mir den Namen Maienblüte gab ...«
»Nicht weiter!« donnert, der Pastor die erschrockene Frau an. Ein Gewitter lagerte sich auf seiner Stirn. Eine Erinnerung früherer Tage tauchte vor ihm auf. Es war die Geschichte eines Amtsbruders, der seine Mußezeit damit vergeudete, weltliche Theaterstücke zu schreiben, und sich so sehr vergaß, mit den Komödianten in Verkehr zu treten und seine Spiele von ihnen aufführen zu lassen. Ihm war gesagt – und mit steigendem Ingrimm hatte er es vernommen –, daß es dem Volke bekannt geworden, wer der Verfasser jener Komödie sei, woraus man dieselbe ausgetrommelt habe und der Verfasser schimpflich aus dem Theater habe flüchten müssen. Und hier zu Geesthacht – inmitten der Gemeinde – flüsterte man sich zu, wie die Komödianten es gewagt hätten, bis hierher zu kommen, in den Pfarrhof zu dringen und dem Pastor zuzusetzen, bis dieser wider alles göttliche und menschliche Recht sich herbeigelassen habe, zwei dieser Vagabunden zu trauen und ihrem freventlichen, sündhaften Beisammenleben das Siegel der Kirche aufzudrücken. Und eine derselben stand nun vor ihm und verlangte von ihm, daß er jenen Frevel aufs neue bestätigen und verbriefen sollte.
»Nicht weiter!« wiederholte er mit noch größerer Strenge im Tone. »Hebet Euch weg. Befreit dieses ehrbare Haus von Eurer verpestenden Nähe. Ich kenne Euch nicht und weiß nichts von Eurer Ehe. Die Kirchenbücher sind in Flammen aufgegangen. Ein sichtbares Zeichen Eurer Verheiratung ist nicht vorhanden. Euer Wort hat keine Gültigkeit! Euer Eid keinen Glauben. Hebet Euch weg und kehrt nicht wieder hierher zurück oder ich vertreibe Euch mit Gewalt und donnere der Flüche schwersten auf Euer sündenschweres Haupt herab.«
Vor diesen furchtbaren Worten entsetzte sich die Unglückliche und entfernte sich. Als sie die Dorfstraße entlang schwankte, steckten die Weiber die Köpfe zusammen und sahen ihr neugierig nach. Als sie im Freien anlangte, brachen ihre Knie zusammen und sie weinte bitterlich.
Dem Herbste folgte der Winter. Er war lang und schwer. Aber allgemach kam doch der Frühling in das Land. Die Eisschollen krachten zusammen. Der sanft herabrieselnde, warme Regen löste sie vollends auf und das Fahrwasser der Elbe wurde frei. Die Segel fielen von den Raaen und die Schiffe steuerten aus dem engen Hafen in die freie, offene See. Andere, welche durch den früh einfallenden Winter verhindert gewesen waren,