Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt

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Verlegenheit an:

      »Vergib mir, Jan. Ja, ich sage es offen und frei, mir fielen die vergangenen Tage ein und darüber vergaß ich die Gegenwart. Seit gestern Abend, da die Feuersäule in die Luft stieg und das Haus in Trümmer versank, woran ich stets nur mit einem innern Schauer dachte, ist eine vollständige Veränderung mit mir vorgegangen.«

      »Ich habe es wohl bemerkt, wie sehr es dich erschreckte. Du hättest lieber nicht dahin gehen sollen.«

      »Ich wäre gestorben, wenn ich es hätte unterlassen müssen. Aber, es ist nicht das allein. Als ich in dein liebes Gesicht sah, wie es vom Feuer angestrahlt wurde, betrachtete ich diese Züge, diese Locken, die auf den Hals herabringeln, genauer. Und wenn ich jetzt in diesem Augenblick das Lächeln schaue, das um deine Lippen spielt; wenn ich in deine Augen blicke, welche so hell leuchten, gibt es mir einen Stich in das Herz. Mir ist es, als sollte ich an der Wunde verbluten, und doch wieder wird mir so selig zumute, als hielte alles Glück der Erde seinen Einzug in diese verödete Brust.«

      »Du machst mich bange, Mütterchen,« sagte Jan, und als er sie anschaute, kam sie ihm wie eine Fremde vor, so sehr hatte sie sich verändert.

      Sie nahm seine Hand, welche sie zwischen der ihrigen hielt und entgegnete:

      »Das will ich nicht, mein Kind. Vielmehr will ich dich inniger und fester mit mir vereinen, indem ich dir alles vertraue, was dies Herz belastet. Nichts soll dir verschwiegen bleiben. Jedes Geheimnis verschwindet mit dieser Stunde zwischen uns. Ich muß einen Menschen haben, an den ich mich wenden und meinen Schmerz vor ihm ausschütten kann. Ich brauche ein Herz und wähle mir das deine.«

      »Nimm es hin ganz und gar. Es betrügt dich nicht.«

      Und Frau Rosmarin begann die Geschichte ihrer Vergangenheit zu erzählen, von dem Tage an, da sie sich als ein verwaistes Mädchen in dem Hause ihres Oheims, des Großböttchermeisters Lorenz Ramke, befand und ihre Muhme, die Frau Janna Straußin, ihre Tyrannin wurde. Und von dem schwarzgelockten Dunkelschön sprach sie, der sie mit seinen glänzenden Augen fest anschaute und mit dem ersten Blicke sie für das ganze Leben gewann. Wie sie das Theater betrat, welchen Ausgang dies Beginnen nahm, und was die Folgen ihrer Flucht mit dem Geliebten waren, bis zu der Stunde, da er gewaltsam von ihrer Seite gerissen wurde, und sie in den dunkeln Kellergewölben verschwand, worin sie als lebendig Begrabene eingeschlossen wurde.

      »Helfe mir Gott! Das ist schrecklich!« sagte Jan mit einem tiefen Atemzuge. »Nun begreife ich deine Erregung, als es hieß, auf dem Brauerknechtsgraben brennt das Haus der Straußin. Das nenne ich mir einen Leichenstein.«

      »Er ist aus einem Meer von Tränen erbaut. Tausende von Seufzern wurden unter ihm begraben.«

      »Und nie hast du ein Wort von deinem Manne erfahren?« fragte Jan nach einer Pause. »Seitdem er von deiner Seite gerissen wurde, blieb er spurlos verschwunden?«

      »Er blieb es. Entweder fand er ein Grab, wie ich, aus welchem ihn keine mitleidige Seele erlöste, oder er ist von einer verruchten Mörderhand erschlagen.«

      In dem Kopfe des Radjungen ging es bunt über Eck. Er machte sich von dem Schauspieler Eberhard Lohse, der sich den Namen Dunkelschön erwarb, ein eigentümliches Bild, das ihm, mit Sonnenglanz umgeben, aus dunklen Nebeln entgegentrat. Es schien ihn anzulachen und das Ganze gewann so viel Leben, daß er unwillkürlich die Arme ausbreitete, als wollte er ihn festhalten, und mit lauter Stimme rief er aus:

      »Ich glaube nicht, daß er tot ist!«

      Obgleich diese Worte laut genug gesprochen wurden, hatte Frau Rosmarin dieselben doch überhört. Sie hatte den Jan aufmerksam betrachtet und es kam eine eigentümliche Unruhe über sie. Ihren Gedanken lieh sie Worte und in stürmender Hast sprach sie vor sich hin:

      »Es war mir oft, als sähe mich etwas aus diesen Knabenaugen an, das mich unwillkürlich fesselte; doch ich wußte nicht, was es war. Aber heute Abend, da ich meine ganze Vergangenheit vor mir aufrollte, als ich des Mannes dachte, dem ich mich ergab und an den ich mich fest schließen wollte, als ich ihn für immer verlor, ist die Ungewißheit gefallen und es beginnt zu dämmern. Sind das nicht dieselben Locken wie die, welche auf seine Schultern herabrollten? Ist das nicht der Blick seines Auges ... O, wie es blendet! Ich vermag es nicht zu ertragen!«

      Sie bedeckte die Augen mit ihrer Hand. Jan ließ sie kurze Zeit gewähren, dann nahm er diese Hand, zog sie an sich und fragte:

      »Tut es dir weh? Und was ist es, daß du vor dir hinsprichst, von dem ich kaum ein einzelnes Wort verstehe, und das dich so sehr traurig macht? Hast du mir heute so vieles vertraut, sage mir auch noch dies. Ich fühle es, ich wurde seit kurzem ein anderer. Mir ist die Knabenlust vergangen und des Spiels bin ich bei diesem Ernste überdrüssig.«

      »Es ist mein Schicksal, daß ich diejenigen, die mir ihre Liebe schenken, mit in mein dunkles Verhängnis ziehe. Soll ich dir deine heitere Jugend rauben? Mache dich von dieser Trübsal los, mein Junge, und schaue mich wieder mit deinem hellen Lachen an. Und dann schließe auch du mir dein Herz auf. Es ist einmal die Stunde des Vertrauens. Lasse mich alles erfahren, was du von dir weißt.«

      »Ja, das ist nun eben nicht viel!« sagte Jan lächelnd. »Daß ich jetzt Jan Blaufink heiße, weißt du, und wie ich zu dem Namen gekommen bin, weißt du auch. Wenn ich nun noch hinzusetze, daß sie mich früher Jan Kostkind hießen, so weißt du alles.«

      »Jan Kostkind? Das klingt sonderbar. Wie soll ich es verstehen?«

      »Das muß Mutter Möllersch am besten wissen,« sagte Jan. »Mir ist es nie eingefallen, danach zu fragen, sonst hätte ich es wohl erfahren.«

      »Mutter Möllersch? Wer ist das?«

      »Das ist eine alte Frau, bei der ich gelebt habe, so lange ich denken kann. Niemals habe ich eine andere Heimat gekannt. Ich war ihr Kostkind, obgleich es mit der Kost oft windig genug aussah und ich manchen Abend beinahe ebenso hungrig zu Bette ging, als ich des Morgens aufstand, bis es dann zuletzt nichts mehr gab und ich fortgeschickt wurde in die weite Welt, weil kein Kostgeld für mich mehr bezahlt wurde.«

      »Wer bezahlte es denn vorher?«

      »Ich weiß es nicht. Moder Möllersch hat es mir nicht gesagt und sie danach zu fragen, ist mir nicht eingefallen. Glaube auch, daß sie mir keine Antwort darauf gegeben hätte.«

      »Du mußt es noch tun,« sagte Frau Rosmarin. »Wir leben jetzt in Ueberfluß. Bezahle ihr einen Teil von dem, was du ihr schuldig geworden bist, ohne dein Versehen. Versprich, daß sie künftig, wenn dein Verdienst größer wird, mehr haben soll; nur löse sie das Geheimnis. Bedenke, mein Kind, daß es dir dadurch vielleicht möglich wird, deine Herkunft zu entdecken und welche entsetzlichen Ereignisse dich von deinen Eltern trennen. Wer weiß, ob sie am Ende nicht noch am Leben sind und dich mit offenen Armen empfangen, dich, den sie vielleicht jahrelang für tot hielten.«

      »Wenn das wäre!« rief Jan aufspringend. »Wenn ich meine Mutter fände! Meine wirkliche, rechte Mutter! Juchhe! Ich hätte dann zwei Mütter statt einer. Und doch weiß ich nicht, ob ich die neue so gern hätte, als dich. Wie es zugeht, daß ich dich so sehr liebe, weiß ich nicht, ebenso wenig, als ich weiß, wie ich ohne dich leben soll, seitdem ich einmal in deinen Armen lag und deine Hand mich segnete. Besser wäre es, ich forschte nicht weiter nach etwas, das mich nur noch trauriger macht, wenn ich es erfahren habe.«

      »Tue es dennoch,« bat Rosmarin. »Um deinet- und um meinetwillen tue es. Mir ist es, als winke uns von dorther Ruhe nach langem Sturm.«

      »Gut!« sagte Jan. »Ich will es tun. Morgen früh gehe ich hinaus zur Bahn. Es ist zwar noch mein freier Tag, aber ich muß doch den Leuten zeigen, daß ich nicht mit allem Gelde, das sie mir schenkten, auf und davon gegangen bin. Sieh mich nicht so traurig an, Mutterchen. Ich weiß schon, daß es unrecht war, mit etwas zu spaßen, was man in der Wirklichkeit bitter erfahren hat. Morgen also gehe ich hin und wenn ich etwas erfahren habe, komme ich gleich hierher und sage es dir. Gute Nacht. Du sollst schlafen gehen. Es ist Zeit und die Jungfrau Mewes hat schon die Bettdecke über beide Ohren gezogen. Ich krieche oben hinauf in meine gewohnte Lagerstatt. Gute Nacht!«

      In


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