Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt

Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen - Heinrich Smidt


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      Frau Rosmarin trank. Sie reichte ihm den Krug zurück und sagte mit dankbarem Lächeln:

      »Nun bin ich gesättigt. Dank sei dir. Wie entsetzlich ist es, was ich erduldete!«

      »Du Aermste! – Warst du so arm, daß du die Leute auf der Straße um ein Stück Brot ansprechen mußtest, während ich hier in den letzten Tagen alles vollauf hatte? Aber ich bin nicht schuld. Es war so vieles zu tun; keine Stunde hatte ich frei.«

      »Entschuldige dich nicht, Kind! Ich kenne ja dein Herz.«

      »Was mußt du ausgehalten haben, bevor du auf diesen Gedanken gekommen bist!« sagte Jan. »Aber, daran ist gewiß die garstige Jungfer Mewes schuld. Nun, die soll sich in acht nehmen, wenn ich am nächsten Sonntage in die Stadt komme.«

      »Nein, Kind, sie ist nicht schuld. Du weißt ja, wie ich mir forthelfe und daß die Nähnadel nicht viel abwirft. Zudem fieberte ich und konnte eine Woche lang gar nichts tun. Horch, wie sie draußen toben und schreien! Sie suchen mich und wenn sie hierher kommen, bin ich verloren.«

      »Hierher kommen sie nicht, dafür bin ich gut!« entgegnete Jan. »Aber wenn es dich beruhigt, will ich einmal hinausgehen und nachsehen.«

      Er ging und kehrte bald darauf zurück, indem er sagte:

      »In der Nähe des Schuppens ist keiner mehr. Der große Haufen hat sich nach dem Pesthofe hin verzogen. Uebrigens ist es spät. Die Leute gehen nach der Stadt und es ist Zeit für dich, sonst klappen die Türen zusammen und du mußt die Nacht draußen bleiben.«

      »Ich komme!« sprach Frau Rosmarin, sich erhebend. »Dank sei dir für deine Liebe! Lebe wohl!«

      »Du sollst nicht allein gehen, Mütterchen; du kannst es gar nicht. Ich will dich begleiten. Setzt es morgen auch eine Tracht Schelte! Pah, ich mache mir nichts daraus. Warte! Ich werfe nur die Narrenmütze weg und reiße die roten Klappen von den Schultern ab. So! Nun ist's getan! Komm, stütze dich auf mich! Wenn wir erst durch das Tor sind, können wir uns Zeit nehmen.«

      Das bunte Treiben dauerte draußen fort; allein das belebende Element fehlte in demselben. Das Pritschholz klatschte nicht mehr; die Sammelbüchse rasselte nicht. Aus keinem Munde erscholl der Ruf: »Hurra, Jan Blaufink!«

      »Wo ist der Donnersjunge!« rief der Bahnmeister, und einer der losgesprochenen Lehrburschen, der nahe bei ihm stand, entgegnete: »Ich weiß es nicht!«

      Die Frage nach dem Jungen vermehrte sich. An allen Enden der Bahn ließ sie sich vernehmen. Die Antwort blieb dieselbe. Keiner wußte, was aus ihm geworden war.

      Da brachte einer der Seilerknechte einen Jungen herbeigeschleppt, der sagte wunderliche Dinge aus. In der großen Allee hätte ein Weib das andere bestehlen wollen und sei bei dem Diebstahl ertappt. Ein großer Lärm wäre entstanden und die Diebin hätte in die Wache gebracht werden sollen. Da wäre Jan Blaufink erschienen, hätte sich mit seinem Pritschholz durchgeschlagen, die Diebin bei dem Arm genommen und sei mit ihr weggelaufen, indem er den Zurückbleibenden nachrief, er sei der Polizeimeister und werde sie selbst nach der Wache bringen.

      »Wohin er mit ihr gegangen, das wußte keiner,« setzte der Junge endlich hinzu, »aber auf die Wache hat er sie nicht gebracht, denn dort hätten sie das Weib behalten. Ich habe aber eben deutlich gesehen, daß sie, auf Jan Blaufink gestützt, nach dem Tor zugegangen ist. Das ist gewißlich wahr.«

      »Sehe mir einer den Taugenichts!« sagte der Bahnmeister. »Und darum verläßt er seinen Posten?«

      »Es ist, wie ich Euch sage!« bekräftigte der Junge nochmals.

      »Und Er wußte von nichts?« fragte der Seilerknecht von vorhin den Bahnmeister.

      »Gar nichts.«

      »Und die Schillingsbüchse hat er Ihm auch nicht vorher abgeliefert?«

      »Mir hat er nichts gegeben.«

      »Dann steckt der Jan mit der Diebin unter einer Decke und ist mit ihr auf und davon!« platzte der Seilerknecht heraus.

      »Alle Donner!« fuhr der Bahnmeister los. »Frisch, alle Mann und hinter dem Spitzbuben her!«

      Wie ein Blitz schnell und zündend, flogen diese Worte durch die Bahn:

      »Jan Blaufink hat die Sammelbüchse gestohlen und ist mit einem liederlichen Weibsbilde davongelaufen! Greift ihn! Greift ihn!«

      »Das Greifen soll schon besorgt werden, wenn wir ihn nur erst haben!« meinte einer der Losgesprochenen. »Schade um den Jungen. Ich mochte ihn wohl leiden und kann es mir gar nicht denken, daß er ein Dieb sein soll. Besser bedacht, laufe ich auch nicht mit hintendrein. Es könnte mir leid tun, wenn sie ihn griffen und er müßte wie ein Dieb ins Zuchthaus.«

      Die Meute sprengte dem vermeintlichen Flüchtling nach. Aber ehe diese das Tor erreichte, waren Jan Blaufink und Frau Rosmarin längst durch dasselbe und in die Stadt hineingegangen.

      In der Mitte des neuen Steinweges hielten sie an und Jan sagte:

      »Wir haben es nun nicht mehr so eilig. Mutterchen muß sich erst ein wenig verschnaufen und das Zanken der Jungfer Mewes kriegen wir noch früh genug zu hören. Wird die losfahren, wenn sie mir heute Nacht gezwungen Quartier geben muß. Sagtest du etwas, Mutterchen?«

      »Ich weiß nicht, wie mir ist, Kind! Es fällt mir schwer auf das Herz und ein Fieberschauer durchrieselt mich. Wir wollen doch lieber nach Hause gehen.«

      »Gleich, Mutterchen! Ich sehe nur ... Was ist denn das? Kann am Abend die Sonne aufgehen? Sieh nur, wie es über uns leuchtet!«

      Der Horizont glühte in feuriger Lohe. Zu gleicher Zeit schrillten die Pfeifen der Nachtwächter durch die Straßen. Die Glocken auf den Türmen zogen an.

      Die Straßen, welche schon ziemlich entvölkert waren, füllten sich wieder. Die Haustüren taten sich auf. An den Fenstern erschienen Lichter. Es wurde gefragt und wieder gefragt, herüber und hinüber. Keiner wußte zu antworten.

      »Der Richtung nach zu urteilen,« sagte ein langer Mann im Schlafrock, »muß das Feuer ...«

      »Ach was, Richtung!« unterbrach ihn sein ungeduldiger Nachbar. »Augenmaß täuscht. Da kommt der Nachtwächter! Der soll uns berichten!«

      Der Nachtwächter, die Pfeife an den Mund sehend, kam schnellen Schrittes daher.

      »Wo brennt's? Wo brennt's?« stürmten ihm alle entgegen, die auf dieser Stelle versammelt standen.

      »Ich weiß es nicht!« antwortete er im Gehen.

      »Er weiß es nicht, und ist Nachtwächter?«

      »Ich habe hier nur zu pfeifen! Platz für die Obrigkeit!«

      »Achtundvierzig Schläge von Sankt Nikolai!« rief es an einer anderen Stelle. »Vor kurzem waren es erst dreißig.«

      »Das ist ein großes Glockenfeuer, Nachbar.«

      »Gott bessere es und tröste die armen Menschen, die davon betroffen werden,« war die Antwort. »Aber manche Leute gehen auch unverantwortlich leichtsinnig mit Feuer und Licht um! Da zieht die Glocke schon wieder an. Zählt einmal, Nachbar.«

      »Zweiundfünfzig!« sagte dieser, als die Glocke wieder schwieg. »Hat denn der Hausknecht die Feuereimer fortgetragen?«

      »Freilich! Aber wohin er damit geraten ist, weiß ich nicht. Kein Mensch hat uns noch gesagt, wo es brennt.«

      Jan Blaufink war mit seiner Begleiterin nur langsam von der Stelle gekommen. Das wachsende Gedränge hielt sie auf. Er wurde ernstlich besorgt, denn seit dem Ausbruch des Feuers hatte sich Frau Rosmarin seltsam verändert. Sie wurde von einer seltsamen Unruhe fortgetrieben.

      Da rasselte eine neue Spritze dicht an ihnen vorüber. Ein Wasserwagen folgte. Die Spritzenleute in den langen, weißen Kitteln und den braunen Lederkappen hatten es gar eilig.

      »Rohrmeister! Wo brennt es!« erscholl der erneuerte


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