Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
hatte s gehört. Sie fuhr bei dem Namen dieser Straße zusammen und schrie mit Anstrengung aller ihrer Kräfte:
»Wo da? Wo da?«
Ein Spritzenmann, der zufällig etwas zurückgeblieben war, antwortete ihr:
»Die ehemalige Janna Straußinsche Brauerei steht in vollen Flammen!«
Ein furchtbarer Schrei folgte diesen Worten. Frau Rosmarin brach zusammen.
»Mutterchen! Mutterchen!« rief Jan Blaufink erschreckend. »Was soll das bedeuten?«
Nur mit Mühe gelang es ihm, sie aufrecht zu halten. Ein paar Frauen, die in der Nähe standen, sprangen ihm hilfreich bei.
Ein paar Minuten lang lag sie starr und regungslos in den Armen der helfenden Frauen. Ihre Augen waren geschlossen. Jan Blaufink sah sie mit ängstlichen Blicken an und nannte sie mit den zärtlichsten Namen.
Plötzlich richtete sie sich auf. Sie stand allein und sagte zu ihren Helfern: »Ich danke Euch für Euern Beistand. Mir ist wieder ganz wohl. Komm, Jan! Komm! Wir müssen eilen.«
Und als wäre nach der kurzen Ohnmacht ein neuer Geist über sie gekommen, schritt sie weiter. Jan Blaufink, der vor Staunen kein Wort hervorbringen konnte, folgte ihr schweigend.
Eine Strecke ging es weiter, dann bog sie in eine Seitenstraße ein. Er hielt sie zurück und sagte: »Das ist nicht unser Weg.«
»Wohl ist es unser Weg,« entgegnete sie eilig. »Unsere Straße geht dem Feuer zu. Da wird mir besser; da werde ich gesund.«
»Was sprichst du. Mutterchen? Was geht dich das Feuer an? Kannst du gesund werden, weil andere Leute ins Elend geraten?«
»Davon weißt du nichts!« entgegnete sie fast hart. »Bleibe oder gehe, aber halte mich nicht auf.«
Und mitten durch das Gedränge machte sie sich eine Bahn. Jan Blaufink war auf ihrer Ferse.
Auf dem Brauerknechtsraben standen nicht bloß Brauerben. Es befanden sich auch andere Baulichkeiten dort, unter anderen geräumige Lagerkeller, von denen Herr Elias Brammer den einen mietweise besaß.
Die Pfeife eines Wächters, der das Feuer ankündigte, und die Sturmglocke, deren Schläge sich mit dem Steigen der Flammen mehren, schallen weit. Auch auf den Vorsetzen wurden sie vernommen. Die Fenster flogen auf und einer rief dem andern zu: »Wo brennt's?«
Von der Straße herauf fehlte die Antwort nicht.
»Da liegt mein Keller!« rief jammernd Elias Brammer und fuhr in die Kleider. »Frau, erhebe dich und gehe mir zur Hand! Schnell, wie der Wind! Wo schnarcht der Hasenfuß, der Junge? – Her mit dem Hut! – Schicke mir den Jungen mit den Feuereimern nach und schließe die Haustür wieder zu. Wer weiß, ob ich bei aller Eile nicht schon zu spät komme und in diesem Augenblick das Haus Brammer schon ruiniert ist.«
Er stürmte fort und langte auf der Brandstätte an. Das Haus, unter welchem sich sein Warenkeller befand, lag weit von derselben ab. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Er atmete tief auf und hatte nun auch Augen für das ruhelose Treiben um ihn her.
Die Seilerjungen, welche den Jan verfolgten, waren bis in die Stadt geraten und dem allgemeinen Zuge gefolgt. Die Aufregung, worin Hamburg sich befand, hatte auch sie ergriffen und ihr eigentlicher Auftrag war ihnen abhanden gekommen. – In dem großen Gedränge hatten sie sich verloren und suchten vergebens, sich wieder zusammenzufinden.
»Du!« stieß einer seinen Kameraden an. »Sieh einmal, wer da steht?«
»Was geht es mich an? Komm du vielmehr hierher und lange Feuereimer zu. Wenn wir einmal auf der Brandstätte sind, wollen wir auch als rechtschaffene Christen unsere Schuldigkeit tun.«
»Gut! Aber dann, soll der, den ich meinte, auch mit dabei sein. Den alten Geizhals, der Elias Brammer, meine ich. Dreimal haben wir ihm eine schwere Ladung vor die Tür gebracht und die Last in seinen Keller getragen, was wir nicht nötig hatten, und dreimal hat er uns ohne Trinkgeld nach Hause geschickt. Dafür soll er seinen Lohn haben.«
»Das lasse ich gelten! Wo ist er denn? Aha! Ich sehe ihn schon! Es stehen uns aber so viele im Wege.«
»Hat nicht not! Das wollen wir bald kriegen! Heda, Leute! Da steht ein Mann, der uns gerne eine Hand leihen will beim Wassertragen. Laßt ihn hindurch! Schiebt ein bißchen nach.«
Es geschah nach ihrem Willen. Elias Brammer schlug um sich und schrie: »Wer untersteht sich? – Wer vergreift sich an mir? – Laßt los!«
Mit den letzten Worten fiel er gegen die beiden mutwilligen Seilerburschen, die ihn sofort in die Mitte nahmen:
»Guten Abend, Herr Brammer! – Auch ein bißchen hier, Herr Brammer? – Das ist christlich von dem Herrn. Er will auch dem Unglücklichen eine Hand leihen? Das ist brav. Nun, hier ist gerade ein Platz frei. Bleibe du da stehen, Gottlieb! Ich stehe hier und Herr Brammer kommt in die Mitte. Ihm gebe ich die vollen Eimer und er liefert sie an dich ab. Hurra für den ersten! Festhalten, Herr Brammer! Festhalten!«
Umsonst widerstrebte der geängstigte Krämer den kräftigen Seilerburschen. Er mußte in Reihe und Glied stehen und die ledernen Feuereimer weiter reichen. Er war von Wasser überströmt; der Schweiß rann ihm von der Stirn; der Atem drohte ihm zu vergehen; aber an eine Erlösung war nicht zu denken.
Den rastlosen Bemühungen war es gelungen, die bedrohten Nachbarhäuser zu retten. Das Feuer blieb auf das Brauerbe beschränkt, dessen rauchende, glühende Trümmer mit lautem Krachen zusammenstürzten. Die erschöpften Feuerleute konnten sich einige Minuten der Erholung gönnen.
»Es ist dahin!« sprach Frau Rosmarin, die nicht von der Stelle gewichen war. »Versenkt in Staub und Asche der Bau, von dessen Wänden meine Flüche widerhallten. Ein Schutthaufen deckt das Grab, worin meine Jugend begraben liegt.«
»Sprich nicht solche entsetzliche Dinge, von denen ich nichts verstehe und die mir eine Gänsehaut machen,« bat Jan mit rührender Stimme. »Höre auf mich, Mutterchen, und lasse uns endlich nach Hause gehen. Es ist die höchste Zeit.«
»Ja, Kind, wir wollen es!« entgegnete sie, wie aus einem Traum erwachend. »Gib mir die Hand, mein lieber Junge, und führe mich. Allein bin ich nicht imstande, weiterzugehen.«
»Lege deine Hand auf meine Schulter und stütze dich fest darauf. Ich schlinge meinen Arm um dich und dann soll es wohl gehen.«
Die buntgegliederten, lebendigen Ketten, welche die Eimer von den Wasserschläuchen bis zur Brandstätte beförderten, lösten sich auf. Herr Brammer schüttelte sich und wischte den Schweiß von der Stirn. Seine beiden Quälgeister lobten ihn ob seiner Heldentat und lachten sich dabei ins Fäustchen. Da rief plötzlich der eine aus:
»Ich habe ihn!«
»Wen hast du?«
»Den Jungen, der uns davongelaufen ist und den wir suchen sollten.«
»Jan Blaufink?«
»Da kommt er mit einem Weibsbilde am Arme. Nun, der läuft uns geradezu ins Garn, ohne daß es uns Mühe macht. Und die Ehre haben wir davon.«
Der Name, welcher genannt wurde, erregte die Aufmerksamkeit des Elias Brammer. Er fragte und erhielt zur Antwort:
»Das haben wir Ihm auch zu danken. Er hat uns den Taugenichts auf die Bahn gebracht, und nun erleben wir Schimpf und Schande an ihm.«
Es war keine Zeit zu weiteren Erklärungen. Jan war ganz nahe und hatte keine Ahnung von dem, was ihm bevorstand. Seine Aufmerksamkeit galt allein der Frau Rosmarin, die nur langsam von der Stelle konnte, nachdem die große Aufregung vorüber war.
»Haben wir dich, du Spitzbube?« brüllten die Seilerknechte, indem sie ihn mit starker Hand ergriffen und seine Begleiterin auf die Seite schoben.
Für den Augenblick war Jan Blaufink von dem unerwarteten Angriff betäubt. Er ließ sich einige Schritte fortschleppen, geradeswegs dem Elias Brammer entgegen und der eine der Knechte rief demselben zu: