Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt

Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen - Heinrich Smidt


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ohne daß einer von ihnen nur noch ein Wort gesprochen hätte.

      Die Reeperbahn von heute und damals. Es kann kaum einen größeren Gegensatz geben. Von den langen Häuserreihen, welche sich zwischen Hamburg und Altona ausdehnen, war keine Spur vorhanden. Längs der ausgefahrenen sandigen Heerstraße, die sich zwischen den beiden Städten hinzog, lief ein breiter und fester Weg, welcher mit hohen, schattenreichen Bäumen eingefaßt war. Unter diesen Bäumen standen in gemessenen Zwischenräumen sechs oder acht Buden, roh von Holz aufgezimmert und mit einer dicken Teerkruste überzogen, worin Eß- und andere Waren feilgehalten wurden. Es war alles in der ursprünglichsten Natürlichkeit. Keine Spur von den mannigfaltigen Bazaren, die jetzt das Auge dort erfreuen. Aber anheimelnd war es unter diesen Laubdächern, am frühen Morgen, wenn tausend muntere Singvögel darauf auf- und abhüpfen, oder abends, wenn die scheidende Sonne die leise bewegten Wipfel mit ihrem Golde übergoß.

      Seitwärts nach Norden zu war eine weite Fläche, hier und da mit Bäumen bepflanzt und der Boden mit magerem Graswuchs bedeckt. Sie grenzte an das heilige Geistfeld, welches sich bis zur alten Glashütte hinzog. Von dort aus führte ein Fußsteig quer über das Feld der einsamen Fläche zu. Der Steig lief gegen das Ende hin längs einem hohen, düstern Zaun. Darüber hinaus ragten einige Dachspitzen und eine hellgrüne Kuppel. Nur mit verhaltenem Atem ging man an diesem Zaune vorüber, und unbewußt beeilte man seine Schritte, denn dies war der Pesthof. Es war hier so einsam und still, daß man ohne Gefahr das Pulvermagazin und das Hanfhaus in diese Gegend verlegte, weil nirgends anders die Stadt sicherer vor jenen feuergefährlichen Gegenständen war, als gerade an diesem Orte.

      Und von hier ab, bis zur schattigen Allee mit den Verkaufsbuden erstreckten sich in der Richtung von Altona nach Hamburg die mächtigen Seilerwerkstätten, welche dieser Gegend den Namen Reeperbahn verliehen. Die großen, halb steinernen, halb hölzernen Schuppen, worin die Vorräte und die Arbeitswerkzeuge aufbewahrt wurden, erhoben sich mit ihren spitzen Giebeln im Westen, wo sie an die alte Dröge grenzten. Von hier aus ging am frühen Morgen das Getriebe aus und verschwand daselbst am Abend. Von dem einfachsten Bindfaden an bis zum schwersten Ankertau aufwärts wurde für den Bedarf der Schiffe gesorgt. Keine Hand lag hier müßig in dem Schoße. Die abgenommenen Vorräte wurden Tag für Tag durch neue ersetzt.

      Hell leuchtete der Maimorgen auf. Die großen Türen der Schuppen öffneten sich und die Seilerknechte sowie die Radjungen fanden sich ein. Der Bahnmeister war überall zu finden und gab die Arbeiten des Tages an. Bei einem der leichteren Räder blieb er stehen und sagte:

      »Hierher soll der Neue kommen, der uns von Elias Brammer geschickt wird. Diese Herren sollten sich auch um ihren Laden kümmern, statt uns mit allerlei dummen Jungen zur Last zu fallen, welche sie selbst nicht brauchen können. Hoffe, daß der Bursche einigermaßen anstellig ist, sonst bekommt er noch vor Mittag eine Tracht Prügel und seinen Laufpaß.«

      Er wandte sich einem der Spinner zu, als hinter seinem Rücken der laute Ruf erscholl:

      »Wo ist der Bahnmeister?«

      »Hier!« entgegnete er sich umwendend und sagte verdrießlich:

      »Wer ist denn der Knirps, der ohne alle Umstände nach dem Bahnmeister ruft? Was soll's mit ihm?«

      »Entschuldige Er mich, Herr; allein mir ist nur gesagt, daß ich hierher gehen solle und nach dem Bahnmeister fragen. Herr Elias Brammer hat mich so angewiesen.«

      »Aha! Du bist also ...?«

      »Ja, Herr; ich bin der neue Radjunge, das heißt, wenn ich Ihm anständig bin und Er mich brauchen kann.«

      »Das wird sich finden. Wir können unser Werk gleich beginnen. Dort am Rade ist dein Posten. Man soll dir gleich die ersten Handgriffe beibringen. Heda, Hans Peter, komme einmal her und zeige dem ... Wie heißt du denn?«

      »Jan Blaufink, Herr!«

      »Das ist ein possierlicher Name! Wer Teufels heißt hier in Hamburg so?«

      »Ich, Herr. Und da es nun einmal so ist, meine ich, laßt Ihr es auch dabei. Kein Mensch kann dafür, was er für einen Namen hat. Er kann ihn sich nicht aussuchen. Er wird ihm gegeben und er muß ihn behalten.«

      »Maulfaul bist du nicht!« sagte der Bahnmeister, dem das kecke Wesen gefiel. »Ein Radjunge ist ein gewaltiger Kerl bei der Stadt und kann sich etwas darauf einbilden.«

      »Das hat Kapitän Danker auch gesagt, Herr!«

      »Was hat er gesagt?«

      »Kapitän Danker war dabei, als Herr Brammer mir sagte, daß ich hierher gehen und Radjunge werden solle. Da legte der Kapitän seine Hand auf meine Schulter und mich schüttelnd, sagte er lachend: »Höre, Jan Blaufink, mache es, wie der Michael de Ruiter, dann wird es dir wohlgehen.« »Das will ich wohl, Kapitän,« sagte ich. »Aber erst muß ich doch wissen, wie es der Michel machte, von dem Er spricht.« Da lachte der Kapitän noch lauter als vorhin und antwortete: ›Da hast du recht. Der Michael de Ruiter fing damit an, auf den Seiler-Werkstätten zu Vlissingen das Rad zu drehen, und schloß damit, seine Admiralsflagge am Bord der ›sieben vereinigten Provinzen‹ aufzuziehen.‹ Darauf sagte ich wieder: ›Dank, Kapitän, für den Bescheid; ich will sehen, was sich tun läßt,‹ und nach diesen Werten bin ich hierher gekommen.«

      »Es ist himmelschreiend,« sagte der Bahnmeister, zu einem der Knechte gewendet, »was diese Herren solchen dummen Jungen für Raupen in den Kopf setzen. Das soll man nun wieder herausprügeln!«

      Und sich hastig gegen Jan Blaufink wendend, sprudelte er über:

      »Du hast, wie sich von selbst versteht, deine Admiralschaft auch schon in der Tasche?«

      »Ach nein, mein Herr,« sagte Jan Blaufink ruhig. »Ich bin vollauf zufrieden, wenn ich arbeiten und für meine arme Mutter ein Stück Brot verdienen kann.«

      »Nun,« meinte der Bahnmeister besänftigt, »wenns das ist, dazu kann Rat werden. Heran an das Rad! Ich will dir selbst die ersten Griffe zeigen. In einer Viertelstunde mußt du fix und fertig drehen können.«

      Und eifrig ging er an sein Werk.

      Die Tage verstrichen in gewohnter Weise. In der Woche wurde rechtschaffen gedreht und des Nachts fest und ruhig geschlafen. Wenn die Mittagspause eintrat, war Jan für alle Knechte eifrig zur Hand und holte ihnen, was sie nötig hatten, aus den verschiedenen Buden herbei. Er war immer heiter und unverdrossen; ließ sich eine Neckerei gefallen, schüttelte einen Puff oder einen Schlag von sich ab und war bald auf dem ganzen Seilerplatz wohlgelitten. Die Männer, denen er ihre Bedürfnisse brachte, teilten ihm von ihrem Ueberfluß mit und die alten und jungen Weiber in den Verkaufsbuden hatten ihre Freude über den lustigen Käufer, dem sie manchen leckeren Bissen zusteckten. Jan Blaufink, der aus der Neptunswerft eine gute Vorschule durchmachte, hatte sich in wenigen Wochen sein volles Terrain erobert.

      Sonst aber war nicht alles, wie es sein sollte. Der Verdienst fiel so gering aus, daß der armen Frau Rosmarin wenig davon zugute kam. Auch die Sonntagsfreuden wurden wesentlich verkümmert. Nur ein paar Wochen lang hatte Elias Brammer die Sonntagsbesuche des Radjungen geduldet. Als er aber sah, daß Frau und Tochter sich mehr mit ihm abgaben, als ihm recht war, und ihn reichlicher versorgten, als er missen zu können vermeinte, wies er dem Jungen die Tür und verbot das Wiederkommen in so energischer Weise, daß Jan es nicht wagte, diesem Verbot Trotz zu bieten. Der Sonntag wurde zum Kummertag. Die Schauspielerin und der Radjunqe trennten sich mit Tränen in den Augen und einem stummen Händedruck.

      Allmählich kam der Augustmonat heran; der Monat, in welchem das Fest der Seiler gefeiert wurde. Schewe-Lieke nannte es das Volk: das Fest der Schiefen und der Geraden, sagten die Gebildeten. In diesem Monat wurden diejenigen Lehrburschen, welche ihre Lehrzeit durchmachten, feierlich losgesprochen und zum Gesellen gemacht. Darauf begannen die Spiele der Schiefen und der Geraden. Einer der Burschen schwärzte sich das Gesicht, machte sich künstlich einen Höcker und erhielt in der einen Hand ein Pritschholz, in der anderen eine blecherne Sammelbüchse. Mit diesen beiden Attributen ausgerüstet, fuhr er auf dem weit ausgedehnten Spielplatz, der die ganze Reifschlägerei einnahm, wie eine zischende Rakete durch die gaffende, plaudernde und lachende Menge.


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