Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
auf der dunklen Treppe in acht. Vater Tamm! Wo ist Vater Tamm?«
»Hier bin ich. Jungchen! Haben sie dich zum Mohrenkönig gepreßt? Eigentlich könntest du bleiben wie du bist; denn dein Gesicht ist schmutzig genug. Da in dem Topf ist noch ein Restchen schwarzer Farbe. Es ist doch schwarz, denke ich. Oder nimm den Topf, der daneben steht. Das muß auch schwarz sein. Es ist hier so dunkel, daß man kaum die Hand vor Augen sieht, und in der Finsternis soll man eigentlich kein Menschengesicht anstreichen. Wir aber machen aus der Not eine Tugend. Steh still, Junge; ich tue dir nicht weh.«
»Auf einen Puff kommt es nicht an,« sagte Jan. »Ich habe deren in meinem Leben genug bekommen. Aber still stehen kann ich nicht. Es kribbelt mir in den Fußsohlen. Sind wir nun fertig?«
»Ja, ja! Laß uns nun hinausgehen an das Tageslicht und sehen, was wir für Arbeit gemacht haben.«
Der Alte trat, mit dem Jungen an der Hand, auf den lichten Raum der Bühne. Ein Theaterarbeiter, der mitten im Wege stand, schlug die Hände zusammen und rief:
»Vater Tamm! Was habt Ihr aus dem Jungen gemacht?«
»Einen schwarzen Mohrian!« entgegnete dieser. »Er kommt direkt aus dem Morgenland.«
»Das ist kein Mohrian, das ist ein blau gesottener Karpfen, Vater Tamm. Geht doch nur in die Garderobe, wo der Spiegel hängt, damit der Junge sieht, was aus ihm geworden ist.«
»Meiner Seele,« sagte Vater Tamm. »Echtes Kornblumenblau. Da muß einer die Töpfe ohne mein Wissen umgestellt haben.«
»Daß es schwarze Menschen gibt, wissen wir, denn es kommen Mohrians genug nach Hamburg,« entgegnete der Theaterarbeiter. »Mein Vetter, der zur See gefahren ist, erzählt, in Amerika gäbe es auch rote, wiewohl ich es nicht recht glauben kann. Aber von blauen Menschen habe ich niemals ein Sterbenswort gehört.«
»Ich auch nicht!« sagte Vater Tamm. »Wir wollen es wieder abkratzen und beim Tageslicht weiter malen. Komm, Jungchen!«
»Nein!« rief dieser. »Ich darf sie nicht länger warten lassen! Hört Ihr nicht, wie sie nach mir rufen und gegen die Tür schlagen? Wenn ich nicht gleich gehe, kommen sie herein und es gibt allerlei Ungelegenheiten. Schwarz oder Blau! Darauf kommt es nicht an. Hurra, Jungens, ich komme! Und meine Verse weiß ich auch.«
Die Kameraden standen bereit, ihn zu empfangen. Die erste Erscheinung wirkte drastisch. Sie standen mit aufgesperrten Mäulern da und sahen auf den blau angestrichenen Mohrenkönig wie auf ein Wundertier.
»Nun, kennt Ihr mich nicht?« fragte Jan. »Hier habe ich auch den goldenen Stern, und es kann gleich losgehen.«
»Du bist ja blau!« rief einer.
»Es hat lange genug schwarze Mohrians gegeben, es kann auch einmal ein blauer daran kommen!« rief Jan. »Was liegt daran? Wir sind doch
Die drei Weisen aus dem Morgenland,
Balthasar, Melchior und Kaspar genannt!«
Der Zug ordnete sich. Die drei Weisen mit Krone, Szepter und Stern schritten gravitätisch einher. Eine Kohorte von Jungen stürmte voraus; eine zweite hinterher. Die großen Zuschauer standen seitwärts. Von diesen sagte einer, auf Jan deutend:
»Gevatter, wie nennt man die Sorte von Vögeln?«
»Es ist eine neue Spezies und man könnte sie Blaufinken nennen!« war die Antwort.
Was entginge dem Ohr eines echten Hamburger Winkeljungen? Das Wort »Blaufink« stieg wie eine Leuchtkugel vor ihnen auf und »Blaufink! Blaufink!« rief es im hundertstimmigen Chor durch die Straßen.
»Blaufink!« wiederholte Jan vor sich hin. »Sie sind dabei, mir einen Namen zu geben. Ich wollte lieber, ich hätte einen von Vaters wegen, wie die anderen. Was wird Frau Rosmarin dazu sagen?«
Grübelnd ging er weiter im Zuge.
In den niedrig gelegenen Straßen von Hamburg, die alle an die Elbe grenzen, ist stets ein reges Leben. Das war so von den grauen Tagen an, da das segensreiche Muttergottesbild in der Schartorkapelle »Santa Maria to'm Schare« stand, bis zur gegenwärtigen Stunde. Darum siedelten sich hier allermeist solche Leute an, die mit dem Schiffsverkehr zu tun hatten; nicht nur die Schiffer selbst, sondern auch die Kontorleute, die Ankerschmiede, die Blockdreher und andere Gewerker, die von der Schiffahrt leben, bis zum Segelmacher abwärts und weiter. Aber auch die Händler wohnen hier, in deren Läden es aussieht, als wäre ein ganzer bunter Jahrmarkt in diesen einzigen Raum zusammengedrängt. Dort trifft man alles, wonach eines Seemanns Herz gelüstet. Von dem Kapitän abwärts bis zum letzten Deckläufer findet hier jeder, was er begehrt und zu einer Reise über See bedarf, an Kleider und Gerät, an Speise und Trank oder dergleichen. Und wenn es für den Augenblick an einem Gegenstand mangelt, schafft der Inhaber des Ladens Rat und in einer Stunde ist er unfehlbar vorhanden.
Ein solcher Laden stand auch auf dem ersten Versetzen. Er führte den Namen »Zum gelben Galion« und sein Eigentümer hieß Elias Brammer. Er sollte ursprünglich heißen zum goldenen Galion, allein das dünkte dem Eigentümer eine Verschwendung und so wurde ein gelbes daraus. Herr Elias Brammer war ein kleiner, schmächtiger Mann, dessen Gesicht imstande war, sich in alle beliebigen Falten zu legen und auf diese Weise genau die Stimmung auszudrücken, in welche er sich bei der Begrüßung dieser oder jener Kunden versetzt fühlte. Der demütige oder der hochfahrende Elias Brammer waren zwei ebenso verschiedene Persönlichkeiten, als der liberale oder der grobe es waren. Nur seine eigene Frau war imstande, die Familienähnlichkeit zwischen diesen mehrfachen Gestalten heraus zu finden. Aber wie viele Arten von Figuren es gab, die durch Herrn Elias Brammer dargestellt wurden: ein Grundton ging durch alle, der sich durch nichts verwischen ließ, und das war die leidenschaftliche Liebe zu den blanken Talern, die jedes Hindernis übersprang. Er war unerschöpflich in allerlei Schwänken und Listen, um die kleinen, runden Dinger in sein Netz zu locken, und klimperten sie einmal darin, war kein Gedanke daran, sie demselben zu entfremden, außer wenn ihm die Gewißheit ward, daß sie binnen kurzem mit zehnfacher Verstärkung in die Haft zurückkehren würden.
»Was lungert er nur da bei den Zuckerhüten herum?« fuhr er einen jungen Seefahrer an. »Will er vielleicht einen davon anknabbern?«
»Ich will bei Ihm gar nichts anknabbern,« entgegnete jener unwillig. »Ich stehe schon zehn Minuten hier, um die Rechnung des Kapitän Borchers zu bezahlen, und frage, ob Er mir die 160 Mark nun bald abnehmen will, sonst bringe ich das Geld wieder an Bord.«
»Ei, wie werde ich denn einem so lieben, jungen Mann eine unnütze Mühe machen!« sagte Herr Elias Brammer geschmeidig. »Bitte unschwer, mir die Rechnung herzugeben, die ich quittieren will. Richtig, alles richtig. Würde ein paar Rosinen und Mandeln anbieten, aber einem jungen Seemann, der bald Offizier werden wird, kann man eine solche Näscherei nicht zutrauen. Bitte, mich dem Herrn Kapitän Borchers zu empfehlen und ich lasse glückliche Reise wünschen.«
Seine Frau, die nicht weit von ihm stand, sagte mißbilligend:
»Auf eine solche Rechnung hätten wenigstens vier Schillinge Trinkgeld gehört. Du wirst dir noch die Kundschaft verschlagen.«
»Der wäre mit meinen vier Schillingen in den nächsten Weinkeller gegangen und berauscht wieder herausgekommen,« entgegnete ärgerlich Elias Brammer. »Kapitän Borchers würde es mir wenig Dank wissen, wenn ich seine Leute zu Trunkenbolden machte. – Was wäre denn dein Wunsch, mein liebes Kind?«
Diese Frage galt einem aufgeschossenen Knaben, der beide Hände gegen den Ladentisch stemmte und sich abwechselnd hob und sinken ließ.
»Ich soll vielmals grüßen von meiner Mutter und fragen, ob Herr Brammer ihr nicht sagen könnte, ob es heute nachmittag noch regnen wird. Sie will gerne Wäsche trocknen.«
»Was geht mich deine Mutter und ihre Wäsche an?« fuhr Elias Brammer heraus. »Scher dich deiner Wege.«
»Kriege ich nicht,« fuhr der Junge mit unterdrücktem Kichern fort, »ein Stück Lakritzen zu?«
Elias Brammer entgegnete auf diese Zumutung nichts, sondern holte