Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
auch die schmucke Kuff, genannt »Vrouw Margarethe«, kommandiert von dem mannhaften Schiffer Hans Kramer und in diesem Augenblicke gesteuert von seinem jungen Maaten, dem Radjungen aus der Reeperbahn, Jan Blaufink.
Der Wind war schwach und füllte nur notdürftig die Segel. Die Flut schob die Schiffe vor sich her. Aber sie lief nur noch eine kurze Strecke. Es war kurz vor Hochwasser. Die Ebbe hätten die Schiffe nicht tot zu segeln vermocht, zumal oberhalb der Bucht von Wedel der Wind sich hinter den Bergen von Blankenese verkroch und völlig aufhörte. Die Segel, außer Kraft gesetzt, klatschten gegen Stange und Mast; die Schiffe trieben über Steuer.
»Blixum!« stieß Schiffer Hans Kramer heraus und schob die Mütze von einem Ohr auf das andere. »Blixum! Ich hatte gehofft, heute Abend bis an die Stadt zu kommen und muß nun die ganze Ebbezeit überliegen. Fallen den Anker!«
Es war noch jemand an Bord, dem diese Verzögerung ebenso leid war wie dem Schiffer, wenn er es auch nicht laut aussprach, und das war Jan Blaufink. Als die Arbeit getan war und das Schiff ruhig vor seinem Anker lag, stützte er sich mit dem Arm auf den Reeling und sah sehnsüchtig nach der Richtung, wo Hamburg mit seinen stolzen Türmen hinter den Bergen lag.
»Nun, Jantje! Wonach schaust du aus?« fragte der Schiffer, ihm auf die Schulter klopfend. »Hängst den Kopf, weil wir nicht an die Stadt gekommen sind? Hast Heimweh? Das taugt nicht für ein junges Seemannsblut.«
»Nein, Schiffer! Ich habe gerade kein Heimweh. Allein ich habe eine große Sehnsucht, die Mutter zu sehen und ihr zu sagen, wie es mir ging und wie herrlich es draußen auf dem blauen Wasser ist. Möchte ihr sagen, was ich gelernt habe und was ich noch lernen kann, wenn ich wieder mit Euch darf und ich bei Euch bleiben ...«
»Nein, Jantje, das ist nicht angängig, mein Junge. Will mir das Glück wohl, bekomme ich bald wieder eine neue Fracht und steuere den Weg zurück, den wir eben kamen. Dann magst du mich begleiten, damit Holla. Die »Vrouw Margarethe« bekümmert sich um dich nicht weiter.«
»Was meint Ihr damit, Schiffer?«
»Damit meine ich, daß du nicht an Bord eines solchen Fahrzeuges versauern darfst wie dieses. Ein Junge, der so tüchtig sein neues Handwerk angreifen lernte, wie du, muß andere Kurse steuern, als von Hamburg nach Amsterdam, oder wenn es hoch kommt, zur Veränderung einmal nach London. Dir liegen weitere Bahnen offen, durch den stillen Ozean und in die chinesische See, die ich nur von Hörensagen kenne.«
Der wackere Hans Kramer sprach aus dem Herzen heraus. Man fühlte, daß jedes Wort so gemeint war, wie es gesprochen wurde, Jan Blaufink fühlte sich tief davon berührt und drückte dem Schiffer die Hand. Dieser erwiderte den Druck und sagte:
»Während der Dauer unserer Reise, die länger währte, als ich glaubte, habe ich nicht mit dir davon gesprochen. Ich ließ dich gehen, schob nur mitunter etwas nach und merkte im stillen auf. Aber jetzt, wo die Reise ein Ende hat, kann ich dir sagen, daß ich meine Freude daran hatte, dich scharwerken zu sehen, und wie dir alles flink von der Hand ging. Ich schäme mich nicht, zu sagen, daß es Zeitverlust wäre, wenn du bei mir bliebst, denn du kannst aus meinem kleinen Schiffe nichts mehr lernen. Das bedenke und handle danach. Sage es deiner Mutter, sie möge sich darauf gefaßt machen, dich längere Zeit zu entbehren, dann würde sie dafür die Freude haben, dich als einen tüchtigen Kerl wieder zu erhalten. Komm in meine Kajüte, Jantje. Ehe wir die Koje suchen, wollen wir ein Glas auf eine fröhliche Zukunft trinken. Und morgen segeln wir nach Hamburg.«
Die ersehnte Stunde kam. Das Schiff lag vertäut an den Pfählen. Die Segel waren befestigt und das Deck geklart. Jakob Maifisch, der wackere Jollenführer, kam an Bord, um seine Orders einzuholen. Als er wieder ans Land fuhr, sprang Jan Blaufink in seine Jolle.
Auf den Vorsetzen, neben den Treppen und den Radwinden, die dort in bunter Reihe nebeneinander liegen und stehen, befindet sich immer vieles gaffende Volk, nach Arbeit suchend, oder nach einer mühevollen Anstrengung sich eine Viertelstunde Erholung gönnend. Hier hat das Auge stets vollauf zu tun. In den Erdgeschossen sämtlicher Häuser befinden sich Kaufläden, fast alle mit Waren zum Schiffsbedarf versehen, und mit dem freien Blick auf den Mastenwald, der dort beginnt und bis über Altona in drei- und vierfacher Reihe sich ausdehnt.
Jollenführer, Quartiersleute, Matrosen, die eben keine Heuer haben, und sonstiges Volk, das auf den Vorsetzen umherlungert, schauen nicht bloß in die Elbe, um die Stunde totzuschlagen, sondern sehen fleißig umher, ob sie nicht etwas erspähen, das zum Lachen ist, und womit man sich die Zeit vertreiben kann, oder ob sich ein fetter Bissen findet, nach welchem es sich lohnt, die Finger auszustrecken und den hungernden Magen damit vollzustopfen.
Der Treppe gegenüber, wo vor des Segelmachers Burmester Haustür die große rote Flagge mit den drei weißen Türmen weht, standen ein paar aufgeschossene Burschen, zu alt, um noch den Winkeljungen beigesellt zu werden, und nicht erwachsen genug, um eine Stellung einzunehmen, welche sie einem besonderen Stande beizählte. Unter diesen waren Jan Bremer, der sich auf einem sogenannten Tabakswinkel untergebracht hatte, und Jan Thiemer, der zu einem Blockdreher in die Lehre gegeben wurde. Sie trafen mit Jan Lorenzen zusammen, der seinem Vater, einem Schutenführerknecht, zur Hand gehen mußte, und dünkten sich in diesen bescheidenen Lebensstellungen, auf der ersten Stufe derjenigen Treppe angelangt, die geradeswegs in die gesegneten Räume von Eldorado und Golkonda führt. Sie trafen in aller Eile Verabredungen für den nächsten freien Sonntag, wo sie ihre Trinkgelder-Schillinge in einen Topf werfen und einmal wieder recht den Teufel austreiben wollten, als Jan Thiemer ausrief:
»Da kommt Jakob Maifisch mit seiner Jolle. Ich glaube, an dieser Treppe ist sein Stand. Dem wollen wir aus dem Wege gehen, denn er ist grob wie keiner und hat gleich eine Maulschelle zur Hand.«
»Heute nicht. Der Maifisch hat einen Goldfisch gefangen. Dann ist er bei Laune.«
»Was meinst du damit? In der Elbe schwimmen keine Goldfische.«
»Aber auf derselben«, gab Jan Bremer zur Antwort. »Wenn die Matrosen von einer Reise kommen und der Jollenführer bringt sie ans Land, haben sie einen Goldfisch an Bord. Und ein solcher steht eben jetzt in des Jakob Maifisch seiner Jolle. Er schaut, beide Hände in den Taschen, lustig in den Tag hinein und denkt daran, was dieser ihm noch alles bringen kann.«
Jan Lorenzen, der bis jetzt nichts sagte, aber den Matrosen in der Jolle genau beobachtet hatte, wandte sich jetzt den Kameraden zu und sagte:
»Von dem Goldfisch, den ihr meint, fallen höchstens ein paar silberne Flossen ab und dann müßt ihr ihn auch vorher erst derb schütteln. Kennt ihr ihn noch immer nicht?«
Die andern schauten genauer hin und wie aus einem Munde erscholl es:
»Jan Blaufink! Willkommen binnen!«
»Dank, Jungens,« sagte dieser, der eben unten an der Treppe anlangte und dieselbe in drei Sätzen hinaufsprang.
Unter den alten Kameraden, die sich lange nicht gesehen, entstand ein Händeschütteln, ein Fragen und Antworten, das durch keine Unterbrechung gestört wurde, bis endlich Jan Blaufink sagte:
»Genug für dieses Mal. Ich muß zu meiner Mutter. Sie denkt mit keiner Silbe daran, daß ich ihr so nahe bin, und ich kann es gar nicht erwarten, zu sehen, was sie für eine Freude haben wird, wenn ich unversehens bei ihr eintrete. Was ihr von dem nächsten freien Sonntage gesagt habt, gefällt mir und ich halte mit. Nun aber laßt mich durch, damit ich dahin komme, wo ich schon längst hätte sein sollen.«
»Wir gehen mit und bringen dich bis vor die Tür!« rief Jan Thiemer. »Nicht wahr, Jungens, das gilt? Wir gehen alle mit Jan Blaufink!«
»Das tun wir!« hieß es als Antwort, und an der Spitze der ehemaligen Genossen schritt er mit lachendem Gesichte die Vorsetzen entlang, während jene mit lauter Stimme riefen:
»Da kaam wi mit Jan Blaufink an!«
»Daß Gott erbarme!« sagte Herr Elias Brammer, der vor der Tür seines Ladens stand und nach Käufern umherspähte, die ihm seine Ware abnehmen sollten. »Was ist das wieder für ein wüster Lärm! Lene, gehe hinein! Du brauchst dich nicht immer von den vorbeiziehenden, betrunkenen Matrosen angaffen zu lassen.«