Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt

Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen - Heinrich Smidt


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nicht nach und die Gossen schwollen mit der Sekunde mehr und mehr an. Einer Unzahl schäumender Gießbäche gleich stürzten sie in das Bassin der Elbe hinab.

      Vor den Türen, auf den Beischlägen standen die Menschen und blickten voll banger Furcht in die dichte Finsternis hinaus. Lichter flirrten an den Fenstern vorüber und verschwanden hier, um gleich darauf dort wieder sichtbar zu werden. Keiner hatte Ruhe in seiner Wohnung und irrte von einem Winkel derselben zum andern. Auf dem Herde waren alle Feuer erloschen, denn der Wind fegte durch den Schlot und jagte Asche und Funken zu einer gefährlichen Wirbelsäule auf.

      Zwei rannten gegeneinander. Sie schimpften nicht, wie es sonst wohl bei solchen Anlässen zu geschehen pflegt. Einer suchte den anderen zu halten und der erste sagte:

      »Gut, daß wir ohne alle Segel, bloß vor Topp und Takel fahren, sonst hätten wir Havarie gehabt. Nun erkenne ich Euch, Nachbar. Wo wollt Ihr denn hin?«

      »Die Meinigen sollen fort aus dem Keller. Ich bringe sie zur Muhme Bartels in der Steintwiete.«

      »Es ist gut, daß ich keine Leute zu Hause habe. Mit mir allein werde ich wohl fertig!« sagte der Zurückbleibende. »Was gibt es da wieder zu schreien?«

      »Das Wasser ist stall. Mit der Ebbe ist es vorbei!«

      »Vorbei? Es ist ja noch gar nicht gefallen.«

      »Der Hafenmeister hat eben selbst nachgesehen. Einen halben Fuß in der ganzen Zeit.«

      »Herr Gott! Und nun kommt die neue Flut.«

      »Ja, Herrschaft! Und der neuen Flut setzt sich der Nordwest in den Nacken. Hört ihr, wie es pfeift? Das wird ein fliegender Sturm.«

      Diese Kunde verbreitete sich mit Blitzesschnelle durch den ganzen niedriggelegenen Stadtteil. Wem es gegeben war, der flüchtete mit den Seinen, oder brachte wenigstens diese in Sicherheit. Wer keine Zufluchtsstätte hatte, suchte sich vor der mit Herzklopfen erwarteten Flut zu schützen, so gut er es vermochte. Die Eingänge zu den Kellerwohnungen und den Stockwerken zur ebenen Erde wurden verbarrikadiert. Man setzte die sogenannten Schotten ein und verstärkte dieselben noch durch Aufschüttungen von Sand oder Erde. Ohnmächtige Hilfsmittel gegen einen in steigender Erregung daherbrausenden Strom.

      »Das Wasser wächst!«

      Von welcher Stelle aus dieser Ruf zuerst erscholl, das wußte keiner zu sagen, allein nach wenigen Augenblicken hallte er an allen Ecken wider und erhielt seine Bestätigung durch einen lange nachhallenden Donner.

      »Was war das?«

      »Der erste Schuß vom Johannes-Bollwerk!« lautete die Antwort auf diese Frage. »Das Wasser betritt die Stadt!«

      Vor dieser Antwort verstummten alle, bis das furchtbare Schweigen sich in einem ebenso schaurigen Angstruf auflöste.

      Eine Dirne suchte sich von den umstrickenden Armen eines jungen Mannes loszumachen.

      »Ich muß nach Hause, Lorenz! Ich muß!« jammerte sie und bat ihn, sie zu lassen.

      »Das tue ich nicht,« sagte Lorenz zu ihr. »Katharine, sei vernünftig. Das Wasser bedeckt schon die Straße. Du kommst nicht mehr trocknen Fußes hin, und die Dachpfannen, die der Wind von den Dächern herabfegt, zerschlagen dir den Kopf.«

      »Und wenn es mein sicherer Tod wäre! Ich will nach Hause. Die Lene ist allein. Ich bereue es, daß ich hierher gekommen bin.«

      »Nun ist es aber einmal geschehen und ich bin dein Bräutigam, der dir befiehlt, bei ihm zu bleiben. Ueber den Scharmarkt kommen wir noch und das Haus meiner Mutter ist sicher vor jeder Sturmflut.«

      »Ach Gott! Ach Gott! Wie wird das Kind sich ängstigen. Nein! Nein! Ich bleibe nicht bei dir!«

      Und neuerdings leistete sie ihm ohnmächtigen Widerstand.

      »Schnickschnack!« rief der junge Mann, umfaßte die Dirne trotz ihres Sträubens mit starken Armen und trug sie davon.

      Die Katharine war die Magd in dem Hause des Elias Brammer. Die Mutter hatte bei der Abfahrt nach Wandsbeck dieser Magd die Lene auf die Seele gebunden und sich von ihr feierlich versprechen lassen, daß sie das Haus nicht einen Augenblick verlassen wolle. Nun hatte sie doch dem Drange nicht widerstehen können, im Fluge einige Worte mit dem Bräutigam zu wechseln, welcher in der Nähe seine Werkstatt hatte. Sie war fort, und Sturm, Wolkenbruch und Springflut verschworen sich, die Rückkehr zu verhindern.

      Der Quartiersmann, welcher vorübergehend in dem Brammerschen Hause, sowie in dessen Lagerkeller arbeitete, war bei guter Zeit weggegangen. Er half dem Lehrjungen, die Ladenfenster schließen, und als dieser ihn fragte, ob er wohl auf eine Stunde seinen Vater besuchen könnte, meinte er im Gehen vor sich hinschmunzelnd:

      »Wenn die Katze nicht zu Hause ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch.«

      Der Lehrbursche fühlte etwas von der Natur einer Maus in sich, darum setzte er über den Ladentisch weg und schlüpfte zur Tür hinaus. Die Katharine war ja im Hause.

      Aber die Katharine blieb nicht darin, sondern eilte zu ihrem Lorenz, nur um ihm einen guten Abend zu bieten, und die Lene war allein; in der weiten dunklen Hinterstube ganz allein.

      Mehrfache Schüsse hallten von dem Johannis-Bollwerk über den Strom hin. Schreckens-Signale, die das immer höhere Steigen des Wassers verkündeten. Es schäumte bereits durch die Straßen, schwemmte die vor den Kellern aufgeworfenen Sandhaufen fort, drückte die Schotten ein und stürzte die Treppen hinab.

      Der unerwartete Abfluß, welcher an vielen Stellen zugleich stattfand, bewirkte ein eben so schnelles Fallen des Wassers und das Pflaster wurde wieder bloßgelegt. Aber nur für wenige Minuten hielt diese Wendung der Dinge an. Neue Wassermassen drangen in die Stadt hinein. Zoll um Zoll stiegen die Fluten an den Häusern empor und einzelne Schaumperlen flogen bereits gegen die Fenster des Erdgeschosses.

      Lene hielt es in der Hinterstube nicht aus. Sie irrte in der Wohnung umher. Sie wußte sich in ihrer Angst nicht zu lassen. Ueber der Haustür war ein breites Fenster angebracht, durch welches die Diele das nötige Licht empfing. Ueber diesem Fenster befand sich ein breiter Sims, der zur Aufstellung mancher Waren benutzt wurde, um die Vorübergehenden zum Kaufe anzulocken. Eine bewegliche Leiter führte zu diesem Sims hinauf. Vergebens rief Lene mit steigender Angst nach der Magd und dem Lehrjungen. Als noch immer keine Antwort erfolgte, wagte sie es, die schwankende Leiter zu besteigen und durch das Fenster auf die Straße zu sehen, ob sie vielleicht einen von den beiden dort finden und errufen könne.

      Aber sie entdeckte keinen. Sie sah nur eine schwarze, undurchdringliche Nacht vor sich, durch ein schwaches Blitzen auf Sekunden erhellt. Sie hörte nur das Niederrauschen des nicht endenwollenden Regens und das Brausen der gegen die Häuser anbrandenden Wellen. Das Kind zitterte am ganzen Leibe, drückte den Kopf gegen die Scheiben und weinte still vor sich hin.

      Kein Schiff im Hafen, dessen Mannschaft nicht alert war. Laternen flogen auf den Verdecken hin und her. Man mußte überall nachsehen, ob der Rumpf des Schiffes nicht irgendwie einer Gefahr ausgesetzt wäre. Die Flut war noch im Steigen und die Fahrzeuge wurden so hoch von dem Strom gehoben, daß sie fast mit den zunächst liegenden Straßen in gleicher Höhe lagen. Es gewährte einen unheimlichen Anblick, daß nun, statt zu den eingerammten Pfählen, woran die Schiffe befestigt lagen, hinaufzusehen, jetzt deren Kopfenden mit dem Verdeck in gleicher Linie lagen.

      Schiffer Hans Kramer ging unruhig auf und ab. Er war besorgt für sein Schiff und noch mehr für die darin befindliche Ladung, die seiner Sorge anvertraut war. Es durfte nur eines der Kabel reißen, welche den Vorder- oder Hinterteil hielten, und der Strom hatte sein freies Spiel. Die schwersten Havarien standen zu befürchten.

      »Holla Ahoi! Hi! Ho! Hi!« erschallte es von dem Mitteldeck her, und mit der Laterne in der Hand sprang Jan Blaufink zu dem Schiffer, indem er sagte:

      »Fest wie Eisen, Herr, Ihr könnt Euch unbedenklich eine Stunde aufs Ohr legen. Der Frau Margarete schadet es nicht. Der Galiotschiffer vor uns hat auch eben die Hälfte seiner Leute unter Deck geschickt.«

      »Wäre


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