Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
nicht der morgende Tag im Kalender schwarz angestrichen wäre.«
»Was meint der Schiffer damit?« fragte Jan Blaufink, indem er den Lederlappen ausschüttete, mit welchem er die Nägelknöpfe in den Decksplanken blank scheuerte.
»Damit meine ich, daß wir neues Licht und somit eine Springflut zu erwarten haben.«
»Ihr wollt sie lieber im Hafen abwarten?«
»Das ist meine Absicht. Wenn aber die Springflut einmal im Steigen ist, kann man nicht wissen, wie weit sie um sich greift und wie hoch sie steigt. Darum darf man alsdann nicht vom Schiffe gehen und muß alles bereithalten, um Schaden zu verhüten.«
»Das leuchtet mir ein, Schiffer!«
»Gut, mein Junge. Gehe also mit der Jolle ans Land und richte aus, was auf diesem Zettel geschrieben steht. Ist ein Auftrag für den Blockdreher und den Kompaßmacher. Nachher bleibt dir, denke ich, noch Zeit genug, deine Mutter eine Minute lang anzupreien.«
»Ihr seid ein guter Mann,« sagte Jan Blaufink. »Schickt mich mit einem Zettel zum Blockdreher und zum Kompaßmacher, obgleich ich nicht lesen kann, damit ich nur die Mutter noch einmal gesehen habe, wenn wir vielleicht unversehens fortmüßten.«
»Wer sagt dir, daß ich es darum tue!« fuhr der Schiffer auf, der sich nicht gern in die Karte sehen ließ. »Du bist und bleibst ein deutscher Muff.«
»Ach bin und bleibe Euer treuer und dankbarer Jan Blaufink, der nun und nimmer vergessen wird, was Ihr für ihn getan habt. Das ist vom Herzen herunter und nun steige ich allstunds in die Jolle und fahre ans Land.«
»Ist ein guter Junge!« sagte der Schiffer, dem Jan wohlgefällig nachschauend, als dieser rasch davon ruderte. »Aber wenn wir erst wieder in Holland sind, soll er nicht wieder nach hier kommen. So ein junges Leben versauert zwischen diesen engen Planken; das gehört in den Vortopp eines Dreideckers.«
Jan war schnell bei der Hand. Als er seine Jolle sicher untergebracht hatte, ging er an seine Geschäfte. Der Blockdreher und der Kompaßmacher entließen ihn mit dem Bedeuten, daß alles wohl besorgt werden sollte, und Jungfer Mewes empfing ihn mit dem Ausrufe, ob der Unband noch immer nicht unter Segel sei? Frau Rosmarin umarmte den geliebten Sohn mit mütterlicher Zärtlichkeit und rief ihm tausend Segenswünsche nach, als er ihr zum Abschiede die Hand reichte.
»Der Weg, die Vorsetzen entlang, ist nicht länger, als jeder andere,« sagte er zu sich selbst, als er auf der Straße anlangte. »Man kann nicht wissen, ob nicht ...«
Er sprach es nicht weiter aus, was hinter diesem »ob« verborgen lag, allein er steuerte geradeswegs auf den Laden des Herrn Elias Brammer los und blieb, als er ihn in Sicht bekam, vor Verwunderung mit offenem Munde stehen.
Ein ungewohnter Anblick bot sich dar. Statt eines bepackten Handwagens oder einer Schiebkarre, hielt vor dem Eingange eine mit zwei starken Holsteinern bespannte Kutsche. Ein Koffer war hinten aufgebunden; ein anderer nahm das Dach derselben ein. In der Tür erschien Elias Brammer, hob seine Frau in den Wagen und schob sich selbst hinterdrein. Der Ladenjunge klappte den Tritt in die Höhe, wünschte eine glückliche Reise und warf die Tür zu. Lene stand auf der Schwelle und sandte den Davonfahrenden Kußfinger nach.
In drei Sätzen war Jan Blaufink an Lenens Seite und fragte in aller Hast:
»Was soll das bedeuten?«
»Die Eltern fahren zur Hochzeit nach Wandsbek.«
»Dich haben sie nicht mitgenommen?«
»Nein! Ist mir auch nichts daran gelegen. Es sind nur Große da und langweilig ist es über die Maßen. Mutter sagte, es wäre nicht besser, als wenn Tante Möhring ihr Geburtstag ist und ich den Blumenstrauß hinbringen muß. Da bin ich lieber zu Hause und tue, was ich will. Die Katharine nimmt es nicht so genau.«
»Wer ist die Katharine?«
»Das ist die Hausmagd. Kennst du denn die Katharine nicht?«
»Nein, Lene. Aber ich stehe hier und sollte schon wieder am Bord sein. Wenn ich mit dir plaudere, vergesse ich alles andere. Adieu, Lene, und nun hörst du dieses Wort sobald nicht wieder.«
»Warum denn nicht?«
»Weil wir klar sind und von der Stadt müssen, sobald der Wind umspringt. Das kann vielleicht morgen am Tage geschehen.«
»Dann lebe wohl. Und wenn du wiederkommst, sprich bei uns vor. Ich habe es gerne, wenn du da bist.«
»Ist das dein voller Ernst?«
»Würde ich es sonst sagen? Die Mutter hat dich auch gern und sie hat mir stillschweigend erlaubt, daß ich deine Mutter ein paarmal habe besuchen dürfen, als du auf der Reise warst.«
»Sie hat es mir erzählt. Du warst stets so lieb und hast ihr jedesmal etwas mitgebracht. Wenn ich es dir nur vergelten könnte.«
»Du wirst es tun, wenn einmal wieder ein häßlicher Junge mich anfaßt.«
»Soll sich es einer unterstehen!« fuhr Jan Blaufink auf und erhob die geballte Faust. »Aber es wird immer dunkler und der Regen gießt in Strömen herab. Geh ins Haus, Lene. Ich muß machen, daß ich an Bord komme.«
Die beiden trennten sich zögernd. Erst nach einigen vergeblichen Versuchen war es gelungen und Jan Blaufink trabte der Stelle zu, wo er seine Jolle festgemacht hatte.
Der Jollenführer Jakob Maifisch hatte dort seinen Posten und sagte:
»Es ist hohe Zeit, daß du kommst. Deine Jolle hätte beinahe der Teufel geholt, wenn ich sie nicht in Sicherheit brachte.«
»Wie konnte das angehen?« rief Jan erschrocken.
»Hans Einfalt. Die Flut hatte sie immer höher gehoben und drückte sie gegen das überragende Bollwerk.«
»Es ist aber längst Hochwasser gewesen und die Ebbe ist da.«
»Die Ebbe ist wohl da, aber das Wasser läuft nicht ab und heute Abend haben wir Springflut.«
»Springflut!« wiederholte Jan Blaufink. Er hatte wohl eine dunkle Ahnung von dem, was sie bedeute, allein ein klares Bild konnte er sich davon nicht entwerfen. Er sah den Jollenführer neugierig an und sagte:
»Die will ich mir ansehen. Kommt sie bis hierher, Jakob Maifisch?«
Beide standen auf der Mitte des Dammes. Der Jollenführer sagte:
»Auch wohl einige Fuß darüber hinaus. Wäre nicht das erstemal, daß wir mit unsern Jollen auf dem Scharmarkt umherruderten.«
Jan Blaufink sah den Jollenführer mit einem Blicke an, welcher zu sagen schien, daß er dieser Mitteilung keinen sonderlichen Glauben schenke. Jakob Maifisch, der es merkte, machte ein verdrießliches Gesicht und fuhr ihn an:
»Will der Donnersjunge wohl an Bord! Was soll der Schiffer von einem solchen Ausbleiben denken? Und halb voll von Regenwasser ist deine Nußschale auch. Das Oesefaß treibt darin umher, wie ein Strohhalm im Rinnstein. Hinunter mit dir!«
Die Subordination zur See ist so groß, daß der junge Seemann dem älteren unbedingt gehorcht, auch wenn er in keinem Dienstverhältnis zu ihm steht. Mit einigen Sätzen war Jan Blaufink in seiner Jolle, schöpfte das Regenwasser, welches sich darin sammelte, aus, und fuhr an Bord, wo ihn der Schiffer Hans Kramer mit den Worten empfing:
»Gab euch beide schon verloren. Was, zum Donner, treibst du dich so lange am Lande umher?«
Jan Blaufink wußte bereits aus Erfahrung, daß eine aufsteigende Welle bei Windstillen in sich zusammenstürzt; nur wenn der Sturm sich ihr in dem Nacken festsetzt, stürmt sie weiter. Er ging daher schweigend in den Roof und besorgte die ihm obliegenden Geschäfte. Als er wieder zum Vorschein kam und den Schiffer fragte, ob die Leute zu Abend essen sollten, nickte jener ein stummes Ja und setzte hinzu:
»Zur Nachtzeit müssen wir beide Augen aufknöpfen und jede Stunde alert sein. Das kannst du ihnen mit der Teekanne zugleich aufbacken.«