Bettina Fahrenbach Staffel 5 – Liebesroman. Michaela Dornberg
Baum gebunden, und das Seil hatte sich schon tief in das Fleisch gegraben.«
»Mein Gott, das ist ja entsetzlich«, rief Bettina aus.
»Ich musste auch gleich weinen, aber die Irina, die hat das ganz toll gemacht, die hat das Hündchen befreit, und dann haben wir es mitgenommen. Ich durfte es tragen, es ist ein Mädchen, ich habe sie Mabelle genannt, so wie eines von deinen Pferden.«
»Ihr habt also Mabelle mit nach Hause genommen.«
»Ja, Tante Bettina, und als der Papa nach Hause kam, hat die Irina sofort gesagt, dass es ausgeschlossen ist, das Hündchen wieder wegzugeben, dass es genug mitgemacht hat und dass wir es deswegen behalten werden. Der Papa hat erst ein bisschen herumgemault, aber dann war er einverstanden, nachdem ich ihm versprochen habe, dass ich mich um Mabelle immer kümmern werde und auch nicht vergesse, mit ihr spazieren zu gehen. Ach, Tante Bettina, sie ist ja sooooo süß, und es geht ihr auch schon viel besser. Die Wunde ist schon fast zugeheilt, und sie mag uns so sehr. Die Irina hat gesagt, dass sie uns dankbar ist und genau weiß, dass wir ihr das Leben gerettet haben. Sie wäre an diesem Baum sonst gestorben. Sie war nicht nur fast verhungert, sondern auch ..., ich hab’ das Wort vergessen, das man benutzt, wenn jemand zu wenig Flüssigkeit bekommen hat.«
»Dehydriert«, half Bettina ihr weiter.
»Ja, genau, aber jetzt geht es meinem Kleinchen schon richtig gut. Sie hat weißes kurzes, gekraustes Fell mit schwarzen Fleckchen und ein ganz süßes Gesichtchen mit schwarzen Knopfaugen.«
»Was ist es denn für eine Rasse? Und ist es ein junges Tier?«, erkundigte Bettina sich.
»Ja, jung ist sie noch, das erkennt man an den Zähnen, so wie bei einem Pferd, und auf jeden Fall ist was von einem Yorkshire Terrier drinnen und auch was von einem Chihuahua, aber so genau weiß man das nicht. Sie ist so schön … Der Papa sagt, sie ist«, wieder ein Kichern, »eine Promenadenmischung, und weißt du, was der Niels sagt?«
Pause.
»Du wirst es mir sagen, mein Herz«, bemerkte Bettina.
»Der Niels sagt …«, sie konnte vor Lachen kaum weiter sprechen, »der Niels sagt, sie ist eine Handtasche.«
»Eine Handtasche?«, wiederholte Bettina, die sich darauf keinen Reim machen konnte, denn das hatte sie noch niemals gehört.
»Ja, eine Handtasche, weil meine Mabelle so klein ist, dass man sie unter den Arm klemmen kann.«
Jetzt musste auch Bettina lachen, und dann unterhielten sie sich noch eine ganze Weile über das Hündchen. Bettina fand es großartig, dass Irina durchgesetzt hatte, dass das Tierchen bei ihnen bleiben konnte. Aber das war eben ihre große russische Seele, die sie hatte, obschon sie in Kanada geboren wurde.
»Tante Bettina, jetzt kann ich dich auf dem Fahrenbach-Hof nicht mehr besuchen, jetzt musst du zu uns kommen, denn ich kann Mabelle nicht allein lassen. Wann kommst du denn, um sie dir anzusehen? Bald?«
»Merit, ich kann es dir noch nicht versprechen. Aber du musst dir keine Sorgen machen, du kannst Mabelle mitbringen, da sind nur einige Formalitäten zu erfüllen, und es muss rechtzeitig bei der Fluggesellschaft angemeldet werden, einige kleine Hunde sind auf fast jedem Flug zugelassen, die müssen nicht in eine Transportkiste im Frachtraum.«
»Aber der Flug dauert zu lange, da wird es Mabelle bestimmt langweilig«, gab Merit zu bedenken.
Sie handelten in aller Ernsthaftigkeit auch noch dieses Thema ab, dann erkundigte Bettina sich: »Hast du deiner Mama schon von Mabelle erzählt?«
Wieder eine Pause, dann kam ein langgezogenes: »Nööööö.«
Das zu hören war für Bettina schrecklich, aber verwunderlich war es nicht. Grit hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass der Kontakt zu ihren Kindern mehr als unterkühlt war. Grit hatte die beiden zu ihrem Vater nach Kanada abgeschoben, um sich ihrer blinden Leidenschaft zu ihrem Lover Robertino hingeben zu können. So etwas vergaßen Kinder nie. Ein solches Rad ließ sich nicht zurückdrehen, die Erinnerung von Niels und Merit an ihre Mutter war keine gute, und sie vermissten sie auch nicht, weil sie alle Liebe und Zuwendung, die sie brauchten, von ihrem Vater, Irina und deren warmherziger Familie bekamen.
»Und warum nicht?«, wollte sie wissen, obschon diese Frage im Grunde genommen überflüssig war. Sie kannte die Antwort doch.
»Ach, Tante Bettina. Das interessiert die Mama doch überhaupt nicht. Außerdem kann sie keine Hunde leiden.«
Damit war das Thema für sie gegessen, für Bettina allerdings noch nicht.
»Telefonierst du denn oft mit deiner Mama?«, erkundigte sie sich.
Wieder ein langes, uninteressiertes: »Nöööööö …«
Es tat so richtig weh, und auch wenn Bettina wusste, dass die Schuld für diese Misere einzig und allein bei ihrer Schwester Grit lag, versuchte sie, ein gutes Wort für sie einzulegen, schließlich war sie die Mutter der beiden.
»Eure Mama hat euch aber sehr lieb«, wagte sie einen neuerlichen Vorstoß, »und sie würde ganz bestimmt liebend gern mit euch …«
Bettina kam nicht dazu, diesen Satz zu beenden. Merit war an ihren Worten so wenig interessiert wie an dem sprichwörtlichen Sack Reis, der irgendwo in China umfiel.
»Tante Bettina, hörst du sie?«, quietschte Merit begeistert, »hörst du meine kleine Mabelle? Bellt sie nicht süß? Sie will dir ganz bestimmt Hallo sagen.«
Der Augenblick war vorbei, die Chance vertan. Noch einmal konnte Bettina nicht anfangen über Grit zu sprechen. Es interessierte Merit einfach nicht, und eine ähnliche Erfahrung hatte sie ja auch mit ihrem Neffen Niels gemacht. Es war traurig und tat weh, aber war nicht zu ändern.
»In welcher Sprache sagt Mabelle mir denn hallo?«, wollte Bettina wissen.
Es dauerte eine Weile, bis Merit antwortete. Darüber hatte sie sich offensichtlich noch keine Gedanken gemacht, aber das beschäftigte sie jetzt.
»Na ja, Tante Bettina, erst einmal natürlich in der Hundesprache, dann versteht sie Deutsch, so sprechen wir mit ihr, dann versteht sie natürlich auch Französisch, und wenn die Irina ihr was ganz Liebes sagen will, dann spricht sie Russisch mit ihr, und dass meine Mabelle das alles verstehen kann, das erkenne ich daran, dass sie dann ganz behaglich herumjunkst. Ach, sie ist ja so süß, meine Mabelle.«
Wenigstens die nächsten zehn Minuten verbrachte Merit damit, ihrer Tante vorzuschwärmen, was für ein vortrefflicher Hund Mabelle war. Es war erfrischend, Merit zuzuhören, wenngleich es in Bettina heftig rumorte. Es war erschreckend, wie wenig Kontakt die Kinder zu ihrer Mutter hatten und wie wenig sie ihnen bedeutete.
War es das wert gewesen?
Nur um erkauftes Glück zu genießen, hatte Grit leichtfertig alles aufgegeben, ihre Ehe, ihre Familie, vor allem ihre Kinder. Schicke Wohnung, eine goldene Kreditkarte, oder vielleicht war es sogar eine aus Platin gewesen, teure Klamotten und ein schneidiger Sportwagen, das alles hatte nicht gereicht, um diesen Roberto, oder Robertino, wie sie ihn nannte, an ihrer Seite zu halten.
Nun stand Grit vor einem großen Trümmerhaufen. Es war schrecklich, und es tat Bettina weh, aber sie wusste nicht, wie sie ihrer Schwester helfen sollte.
Holger war wieder glücklich verheiratet, und die Kinder, die können nicht gezwungen werden, ihre Mutter zu lieben. Liebe ließ sich nicht kaufen, das hatte Grit ja selbst schmerzlich erfahren müssen.
»Tante Bettina«, drang Merits Stimme in ihre Gedanken hinein, »ich muss jetzt Schluss machen. Irina bringt mich gleich noch in die Malschule, und hinterher gehen wir zwei shoppen.« Sie kicherte. »Die Irina hat dem Papa viel Geld abgeschwatzt für mich, und nun bekomme ich doch die Schuhe, die ich erst nicht haben sollte. Aber Irina hat dem Papa klargemacht, dass ich da keine Außenseiterin sein kann, dass alle Mädchen jetzt solche Schuhe tragen, weißt du, das sind welche von Kim Grove, die sind supertoll, aber leider auch superteuer. Deswegen wollte der Papa ja nicht, dass ich sie bekomme. Er sagt immer, dass man da nicht übertreiben soll. Aber da ist Gott sei Dank