Dr. Daniel Staffel 1 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 1 – Arztroman - Marie Francoise


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er allein mit dieser Situation fertig würde. Sehr behutsam nahm er Leandra in den Arm, streichelte beruhigend ihren Rücken und wartete, bis der Schreikrampf nachließ und sich in einem schier unaufhaltsamen Tränenstrom ein Ventil suchte. Und während Leandras zierlicher Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt wurde, injizierte Dr. Scheibler ihr ein starkes Beruhigungsmittel. Danach brachte er sie in ihr Zimmer zurück und blieb bei ihr, bis sie eingeschlafen war.

      *

      Als Leandra erwachte, herrschte tiefe Dunkelheit, und für wenige Minuten hatte sie das Gefühl, als hätte sie das Gespräch mit Dr. Scheibler nur geträumt. Doch dann fiel ihr alles wieder ein – wie sie ihren Schmerz herausgeschrien hatte, ihr haltloses Weinen und schließlich der feine Stich, den sie kaum gespürt hatte.

      Noch ein wenig benommen von dem Beruhigungsmittel richtete sich Leandra auf und schaltete das Licht über ihrem Bett an. Der Wecker auf dem fahrbaren Nachttisch zeigte fünf Minuten nach drei Uhr an. Seufzend legte sich Leandra wieder zurück. Sie fühlte sich entsetzlich einsam in dem kahlen Krankenzimmer. Die nette alte Dame, die es in den letzten Wochen mit ihr geteilt hatte, war gestern entlassen worden. Wie schön wäre es, jetzt mit ihr über das zu sprechen, was Dr. Scheibler gesagt hatte.

      »Leukämie…«

      Sie dachte an ihre Großmutter, die an dieser Krankheit gestorben war.

      »Und ich werde auch daran sterben«, murmelte sie.

      In diesem Moment wurde die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet, und Dr. Scheibler trat ein. Leandra richtete sich auf und sah ihm mit brennenden Augen entgegen.

      »Ich habe das Licht gesehen«, erklärte der junge Arzt, zögerte einen Moment und setzte sich dann auf die Bettkante. »Möchten Sie mit mir sprechen?«

      »Ich…, ich weiß es nicht«, stammelte Leandra. »Ja…, ich glaube schon.« Sie schwieg einen Moment, weil sie für die nächste Frage erst Mut sammeln mußte. »Herr Doktor, seien Sie ehrlich…, muß ich… sterben?«

      Heftig schüttelte Dr. Scheibler den Kopf. »Nein, Frau Krenn. Leukämie muß heute kein Todesurteil mehr sein, und gerade in Ihrem Fall halte ich es durchaus für möglich, daß…«

      »Ich glaube Ihnen nicht, Herr Doktor«, erklärte Leandra rundheraus. Sie fühlte sich plötzlich ein wenig gefestigter – vielleicht auch nur deshalb, weil ihr dieses Gespräch so unwirklich erschien. Irgendwie schien es ihr, als würde sie mit Dr. Scheibler gar nicht über ihre eigene Krankheit sprechen. »Meine Großmutter ist an Leukämie gestorben, das heißt, eigentlich war sie ja gar nicht…« Sie ließ den Satz offen.

      »Die Medizin hat seitdem Fortschritte gemacht«, beteuerte Dr. Scheibler. »Wir haben vor, Sie mit Zytostatika zu behandeln. Damit werden heute große Erfolge erzielt.« Er senkte den Kopf. »Leider kommt es auch zu Nebenwirkungen, aber…« Er stockte, dann setzte er rasch hinzu: »In Ihrem Fall besteht auch noch die Möglichkeit einer Knochenmarktransplantation. Diese Therapie birgt gewisse Gefahren, aber Professor Thiersch meint, daß gerade bei Ihnen die Chancen auf eine vollständige Heilung sehr gut stünden.«

      Leandra runzelte die Stirn. »Knochenmarktransplantation.« Sie schüttelte den Kopf. »Davon verstehe ich nichts.«

      Dr. Scheibler zwang sich zu einem Lächeln. »Es würde auch zu weit führen, Ihnen das genau erklären zu wollen. Wichtig ist nur eines: Das Knochenmark muß von einem nahen Verwandten stammen – am besten von der Mutter oder von den Geschwistern – da sonst die Gefahr der Abstoßung besteht.«

      Leandras Gesicht versteinerte. »Dann können Sie das Ganze gleich vergessen. Ich wurde als Baby adoptiert und weiß nicht, wer meine leiblichen Eltern sind.«

      Dr. Scheibler war sichtlich geschockt, versuchte diese Tatsache aber zu überspielen. Er konnte der jungen Patientin unmöglich sagen, daß eine Knochenmarktransplantation tatsächlich die einzige Möglichkeit war, sie zu heilen. Mit Medikamenten konnte man in Leandras Fall nur versuchen, den rasch fortschreitenden Zellverfall aufzuhalten.

      »Das ist ein Todesurteil, nicht wahr?« flüsterte Leandra.

      Rasch schüttelte Dr. Scheibler den Kopf. »Ganz und gar nicht, Frau Krenn. Es ist nur…«

      Leandra wandte den Kopf ab und blickte ins Leere.

      »Wissen Sie, was ich mir immer gewünscht habe?« fiel sie dem Arzt ins Wort. »Ich wollte heiraten. Eine ganz große, festliche Hochzeit sollte es sein.« Jetzt wandte sie sich Dr. Scheibler wieder zu. »Ich bin verlobt. Vor zwei Monaten haben Christian und ich Verlobung gefeiert. Kennen Sie Christian?«

      Dr. Scheibler erinnerte sich an einen sympathischen jungen Mann mit blonden Locken und sanften grauen Augen.

      »Ja, Frau Krenn, ich habe ihn einige Male gesehen, wenn er Sie besucht hat. Er scheint mir ein sehr netter Mann zu sein.«

      Leandra nickte. »Er ist das Wichtigste in meinem Leben. Wir lieben uns sehr, und nächstes Jahr wollten wir heiraten.« Sie sah den Arzt scharf an. »Werde ich nächstes Jahr noch leben?«

      Die Frage kam so überraschend, daß Dr. Scheibler unwillkürlich zusammenzuckte.

      »Ja…«, brachte er mühsam hervor. »Ja, natürlich.«

      Leandra schien seine Worte gar nicht gehört zu haben. »Und dann wollten wir Kinder haben – viele Kinder. Wir lieben Kinder.« Sie schwieg einen Moment. »Wissen Sie, wie sehr ich mich danach sehne, ein Baby im Arm zu halten? Mein Baby! Das Baby, das ich geboren habe!« Tränen liefen über ihr zartes Gesicht. »Und nun werde ich das alles nie erleben dürfen.« Sie schluchzte auf, dann vergrub sie das Gesicht im Kissen und begann haltlos zu weinen. Und dabei krallten sich ihre Finger in das Kissen, als wollte sie damit ihr Leben festhalten.

      Dr. Scheibler konnte diese Qual nicht länger mit ansehen. Nahezu fluchtartig verließ er das Zimmer, wies die Nachtschwester an, Frau Krenn ein Beruhigungsmittel zu spritzen und schloß sich dann im Ärztezimmer ein. Doch Leandras Worte verfolgten ihn.

      Heiraten…, ein Kind…

      Sie hatte recht. Sie würde niemals ein Kind haben können.

      *

      Helga und Manfred Krenn waren zutiefst erschüttert, als sie vom Stationsarzt erfuhren, wie es um ihre Adoptivtochter stand.

      »Mit Zytostatika können wir den Zellverfall zwar aufhalten, aber heilen können wir Ihre Tochter damit nicht«, erklärte Dr. Scheibler, und man spürte, daß ihm jedes Wort schwerfiel. Wie konnte ein achtzehnjähriges Mädchen nur mit einer solchen Krankheit geschlagen sein? »Eine wirkliche Heilungschance hat Frau Krenn nur dann, wenn wir eine Knochenmarktransplantation durchführen können.«

      Verzweifelt schüttelte Helga Krenn den Kopf. »Das hat uns Leandra schon gesagt, aber… wir haben sie als Baby adoptiert. Irgendein entfernter Verwandter der Mutter hat die Formalitäten erledigt, weil die Mutter unter allen Umständen unbekannt bleiben wollte. Wir konnten nur in Erfahrung bringen, daß es sich offenbar um eine adlige junge Dame gehandelt hat, deren Ruf nicht in Mißkredit gebracht werden sollte.« Sie senkte den Kopf. »Leandra hat davon keine Ahnung. Wir wollten sie nicht damit belasten.«

      Dr. Scheibler strich sich mit einer Hand über die Stirn. Es war eine Geste, die seine ganze Niedergeschlagenheit ausdrückte. Er hatte so sehr gehofft, daß wenigstens die Adoptiveltern des Mädchens seine leibliche Mutter kennen würden.

      »Wir können natürlich versuchen, einen Spender mit sehr ähnlichem Gewebetyp zu finden, aber… ich will ehrlich sein, die Chancen sind dann sehr gering.«

      Das Ehepaar Krenn erstarrte förmlich. Erst jetzt begriffen sie, was der Arzt die ganze Zeit mitzuteilen versuchte.

      »Heißt das, unsere Tochter wird… sterben?« brachte Manfred Krenn mühsam hervor.

      »Wir werden natürlich alles tun, damit dieser Fall nicht eintritt«, wich Dr. Scheibler aus. »Aber…«

      »Es ist sinnlos.«

      Die unerwartete Stimme ließ alle drei herumfahren. Hochaufgerichtet stand Leandra in der geöffneten


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