Dr. Norden (ab 600) Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Wasser war noch kalt, aber das spürte er nur im ersten Augenblick. Die Wellen warfen ihn immer wieder an den Strand zurück, das war ein herrliches Gefühl. Dann kam er an einer ganz anderen Stelle heraus, als er hineingegangen war. Nur ein Maler saß vor seiner Staffelei, sonst war niemand zu sehen. Als Daniel diesem näher kam, weiteten sich seine Augen.
»Constantin Meyring, sehe ich richtig?« rief er aus.
Der andere lachte. »Dr. Norden, wo kommen Sie denn her?«
»Man sieht, wie klein die Welt ist«, sagte Daniel, »sind Sie immer noch auf der Hochzeitsreise?«
»So kann man es nennen, wenn Conchita auch behauptet, daß ich mich schon wie ein alter Ehemann benehme.«
»Es gibt doch nicht schon Probleme?« fragte Daniel.
»I wo, alles in bester Ordnung, nur mit dem Timing klappt es noch nicht so ganz bei uns. Conchita schläft gern länger, ich finde die Stimmung am Morgen besonders schön. Es ist so friedlich.«
»Ganz meine Meinung«, sagte Daniel. »Sind Sie schon länger hier?«
»Fünf Tage. Wir waren zuerst in Spanien und haben Verwandte von Conchita besucht, aber dann sind wir schnell weiter nach Portugal. Schließlich wollte Conchita hier noch ein bißchen den Duft der großen Welt schnuppern. Sie soll ihren Spaß haben, ich habe dann ja meine Staffelei.« Er war bestens gelaunt und sah blendend aus. »Wir sollten uns aber treffen, Sie haben doch sicher Ihre Frau dabei.«
»Ohne Fee geht nichts, und drei von unseren Kindern sind auch hier, nur die Zwillinge sind bei ihren Großeltern.«
»Treffen wir uns zum Brunch bei Gaston. Er bietet ein tolles Bufett und ist nicht überteuert. Sonst wird man hier ja ganz schön geschröpft.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im Belair, was anderes haben wir nicht mehr bekommen. Und Sie?«
»Hotel garni ›Fleurs‹, gerade erst eröffnet, wir sind die ersten Gäste.«
»Da haben Sie aber Glück gehabt.«
Sie verabredeten sich für elf Uhr bei Gaston. Constantin beschrieb ihm den Weg und widmete sich dann wieder seiner Malerei. Daniel hatte schon erkannt, daß es ein stimmungsvolles Bild werden würde.
Fee und die Kinder waren inzwischen auch fertig zum Frühstück, denn gar so früh wollten sie doch nicht ins Wasser gehen.
»Was meint ihr wohl, wen ich am Strand getroffen habe?« sagte Daniel.
»Münchner?« fragte Danny.
»Constantin Meyring mitsamt seiner Staffelei.«
»Sie sind doch auf der Hochzeitsreise«, meinte Fee.
»Und auch hier gelandet, weil Conchita es wollte. Wir treffen uns zum Brunch.«
»Das ist wirklich eine nette Überraschung«, freute sich Fee.
Sie gingen an den Strand. Constantin war nicht mehr zu sehen.
»Conchita wird inzwischen ausgeschlafen haben«, meinte Daniel schmunzelnd.
Es waren jetzt auch schon mehrere Leute am Strand. Die Buben waren gleich im Wasser, aber Anneka war es noch zu kalt. Sie lief nur mit Fee durch das flache Wasser. Sie hatten auch ihren Spaß. Die Buben waren gute Schwimmer, aber Fee ermahnte sie dennoch, nicht zu weit hinauszuschwimmen.
Daniel wollte sich schon mal in den Hotels umsehen. Leider konnte er sich von dieser Michelle keine Vorstellung machen, denn es war kaum anzunehmen, daß sie der Baronin ähnlich sah. Er hätte sich keine Gedanken machen müssen, hätte er ahnen können, daß der Zufall ihnen zu Hilfe kommen würde. Oder sollte die Weisheit, daß das Leben nicht aus Zufälligkeiten, sondern aus Gesetzmäßigkeiten bestehe, zutreffender sein?
Daniel sah auch das ›Belair‹, das mehr am Hang lag, aber er ging nicht hin. Die Meyrings sollten nicht denken, daß er ihnen nachlief. Ihm kam der Gedanke, in ein Telefonbuch zu schauen, was er dann auch tat, aber er fand keine Michelle Rodier darin. Er war nicht so einfallsreich wie Fee und dachte schon, daß es wohl vergebliche Mühe sein würde, nach Michelle zu suchen, wenn Peter Henkel nicht auf ihre Spur gebracht wurde.
Bei Fee kam er damit nicht an. »Wer wird denn gleich aufgeben?« sagte sie. »Es gibt eine Gendarmerie und bestimmt auch ein Meldeamt. Ich werde das übernehmen.«
Das nahm er natürlich gern an. Die Zeit war schnell vergangen, und sie mußten sich für den Brunch umkleiden. Da die Buben Hunger hatten, maulten sie nicht.
Sie wurden schon von Conchita und Constantin erwartet, und es gab eine überaus herzliche Begrüßung. Es war ein hübsches Bistro mit einer großen Terrasse, und der Schweizer Küchenchef hatte ein köstliches Buffet zusammengestellt.
Da konnte man schlemmen. Auch die Kinder waren begeistert, und Fee meinte, daß dies bestimmt gut ankommen würde.
»Das hat hier gefehlt«, sagte Constantin. »In den großen Hotels wird es natürlich auch so geboten, aber gerade Pensionsgäste vermissen doch ein reichhaltiges Frühstück.«
Die Unterhaltung war voll im Gange, als Conchita plötzlich lebhaft zu winken begann.
»Michelle, hallo!« rief sie.
Michelle war gewiß kein seltener Name in Frankreich, aber was da auf den Tisch zukam, war schon etwas Besonderes. Diese Michelle war eine Schönheit, etwas mehr als mittelgroß mit sehr dunklem Haar und großen dunklen Augen, einer Haut wie Samt und einem Mund, der immer zu lächeln schien.
Fee und Daniel hielten den Atem an, als Conchita sagte: »Darf ich vorstellen, Michelle Rodier. Das sind liebe Bekannte aus München, Dr. Daniel Norden, seine Frau Fee und die Kinder, Danny, Felix und Anneka.«
»Es freut mich sehr«, sagte Michelle mit einem charmanten Lächeln in bestem Deutsch, mit nur leichtem Akzent, der aber besonders apart war.
»Michelle ist Empfangsdame in unserem Hotel«, erklärte Conchita, »wir haben uns gleich angefreundet.«
Fee und Daniel waren immer noch sprachlos. Da mußte mal wieder die Vorsehung die Hand im Spiel haben! Sie bekamen Michelle sozusagen präsentiert.
Natürlich konnten sie nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Fee wollte erst mit Daniel beraten, wie sie es Michelle beibringen sollten, daß sie allein ihretwegen nach Nizza gekommen waren.
Zu ihrer Freude erfuhren sie aber bald, daß Michelle bereits entschlossen war, sich in München eine Stellung zu suchen.
»Ich wollte schon immer nach München«, erklärte sie lebhaft. »Mein Vater war Deutscher, aber ich habe mit Mama hier gelebt. Jetzt bin ich erwachsen und brauche keine Rücksicht mehr auf Mamas Wünsche zu nehmen, das hat etwas für sich.«
»Es schadet nie, wenn man in der Welt herumkommt«, sagte Daniel. »Dann werden wir uns alle wohl in München wiedersehen.«
»Ich will mit Michelle heute nachmittag einen Einkaufsbummel machen. Kommen Sie mit, Fee?« fragte Conchita.
Fee sah Daniel an, und der nickte verstohlen. »Mach das nur, ich gehe mit den Kindern an den Strand.«
»Da schließe ich mich an«, sagte Constantin.
Mittags war eine Siesta angebracht, denn die Mittagsglut war schwer zu ertragen. Um vier wollten sich die Damen treffen.
»Was sagen wir nun«, meinte Fee, als sie heimgingen.
»Das ist eine Michelle«, warf Danny ein.
»Und gleich die richtige«, erklärte Daniel.
»Du meinst die Michelle, die ihr sucht?«
»Ja, die meine ich, aber das behaltet ihr vorerst schön für euch.«
»Das soll auch nicht Constantin wissen?« fragte Felix, dem es sehr imponiert hatte, daß sie das junge Paar auch mit ihren Vornamen anreden sollten.
»Vorerst auch nicht«, erklärte Daniel.