Dr. Norden (ab 600) Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
heim. Wir werden das schon in die Reihe kriegen. Es war ja auch nicht damit zu rechnen, daß wir Sie so schnell finden. Jetzt weihen Sie Ihre Mutter ein, und wir erklären es den Meyrings. Ist es Ihnen recht? Und wenn das geschehen ist, rufen wir die Baronin an. Heute wäre es dafür ohnehin zu spät, dann kann sie nicht schlafen.«
»Ist sie wirklich lieb?« fragte Michelle leise.
»Sehr lieb und sehr traurig, daß sie das Glück, ein Enkelkind zu haben, nicht genießen konnte.«
»Ich würde so gern etwas für sie tun.«
»Sie brauchen ihr nur etwas Liebe zu schenken, damit sie noch eine glückliche Zeit hat.«
Michelle griff sich an die Stirn. »Es ist unglaublich, wie ein Märchen«, flüsterte sie. »Wie soll ich Ihnen nur danken für Ihre Mühe, Fee?«
»Es war ja keine Mühe«, lächelte Fee. »Wir dachten auch, daß es nahezu unglaublich ist, als Conchita Sie vorstellte. Nun finden wir es wundervoll.«
»Darf ich Sie heute abend zum Essen einladen? Ich kenne ein sehr nettes kleines Lokal, in dem fast nur Franzosen verkehren. Ich möchte so gern noch mit Ihnen sprechen, wenn ich mit Maman telefoniert habe.«
»Wir können uns gern zusammensetzen, aber einladen müssen Sie uns deshalb nicht, Michelle.«
»Das tue ich aber gern. Ich würde Sie abholen, und dann können wir gemeinsam hingehen. Es ist ein hübscher Abendspaziergang.«
»Einverstanden. Unsere Kinder werden müde sein. Sie sind vernünftig und können eine Pizza essen.«
»Sie können aber gern mitkommen, das machen doch viele.«
Michelle war aufgeregt, Fee hatte dafür alles Verständnis.
Sie wollte jetzt auch mit Daniel sprechen. Es gab soviel zu überlegen.
Daniel hatte indessen Peter Henkel erreicht und ihm gesagt, daß seine Mission beendet sei. Er könne noch ein paar Tage Urlaub machen.
Aber davon wollte Peter Henkel nichts wissen. Auf ihn wartete seine Verlobte zu Hause, und er war auch froh, daß sich so schnell alles geklärt hatte.
Als Conchita vom Frisör kam, wußte Constantin schon Bescheid und sie konnte nur noch staunen.
»Ein bißchen was hätte Fee mir schon verraten können«, schmollte sie.
»Erst mußte sie mit Michelle sprechen«, erklärte Constantin. »Ist es nicht faszinierend, daß es auch moderne Märchen gibt?«
»Ich finde es ungerecht, daß Michelle es erst jetzt erfährt.«
»Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände.«
»Ich finde eher, daß dieser junge Baron zu wenig Mumm hatte, Madeleine zu heiraten.«
»Darüber wollen wir nicht richten, wer hätte ahnen können, daß er verunglückt? Am meisten tut mir die Baronin leid, die ein so einsames Leben hatte.«
»Sie soll sehr reich sein«, sagte Conchita.
»Und Michelle wird eines Tages erben, das denkst du doch.«
»Natürlich denke ich das. Man darf ja auch ein bißchen realistisch sein.«
*
Michelle telefonierte mit ihrer Mutter. »Ich habe wenig Zeit, Michi, wir haben heute abend Gäste«, sagte Madeleine hastig.
»Du wirst dir ein bißchen Zeit nehmen müssen, es ist nämlich sehr wichtig, auch für dich.« Und dann erzählte sie, was sie von Fee Norden erfahren hatte.
»Das ist allerdings eine große Überraschung«, sagte Madeleine. »Ich hatte keine Ahnung, daß sie so denkt, sonst hätte ich ihr schon mal geschrieben.«
»Dann hätte sie nicht so lange auf mich warten müssen«, sagte Michelle. »Ich werde so bald wie möglich nach München fahren. Sie wird dich auch kennenlernen wollen.«
»Ich muß erst mit Claude sprechen, er hat es nicht mit den Deutschen, aber wenn es für dich gut ist, freue ich mich.«
Es ist doch seltsam, was ein Mann ausmacht, dachte Michelle. Früher war ihr nichts so wichtig wie ich, jetzt kommt er zu allererst. Wie wäre es wohl gekommen, wenn ich mit meinem Vater hätte aufwachsen können? Die Großmama kann mir alles von ihm erzählen, wie er als Kind war, wie in seinem Wesen. Ihre Gedanken kreisten unentwegt um die ferne und noch unbekannte Großmama.
*
Fee und Daniel wollten am Abend alles noch einmal genau mit Michelle besprechen. Die Kinder waren so müde, daß sie schon in der Pizzeria fast eingeschlafen wären. Man konnte sie unbesorgt allein in der Pension lassen. Madame sagte, daß die ganze Nacht jemand im Hause sei.
Michelle kam nach acht Uhr, da schliefen die Kinder schon. Fee hatte noch mit Lenni gesprochen, denn Anne und Hannes Cornelius waren beim Unterhaltungsabend mit den Patienten, der jede Woche einmal stattfand.
Lenni sagte, daß die Zwillinge wie immer sehr lieb wären, aber das war für Lenni selbstverständlich. Sie liebte alle Kinder, aber die Zwillinge nahmen doch die erste Stelle in ihrem Herzen ein, da sie sie von der ersten Minute ihres Lebens heranwachsen sah.
Fee konnte in jeder Beziehung beruhigt sein, und es war gut, daß sie den Abend mit Michelle allein verbringen konnten.
»Ich habe mit meiner Mutter telefoniert. Sie haben heute abend Gäste. Sie braucht mich nicht mehr.«
»So dürfen Sie nicht denken, Michelle. Es ist auch ein Glück für Ihre Mutter, daß sie noch ein spätes Glück gefunden hat.«
»Jetzt sehe ich es auch so, weil ich an meine Großmama denke. Wird sie sich jetzt freuen?«
»Und wie sehr!«
»Ich werde morgen gleich mit dem Chef sprechen. Vielleicht ist er ganz froh, wenn er mich schneller los wird.«
»Warum denken Sie das?«
»Weil ich ihm nicht freundlich genug zu den männlichen Gästen bin, aber ich kann es nicht ausstehen, daß sie immer gleich so aufdringlich werden.«
»Das ist der Nachteil, wenn man zu attraktiv ist«, meinte Daniel lächelnd.
»Sehe ich meiner Großmama ähnlich?« fragte Michelle errötend.
»Sie ist immer noch eine schöne Frau«, erwiderte er, »nach der Fotografie, die ich von Ihrem Vater kenne, sehen Sie ihm ähnlicher, zumindest was die Augen und die Nase betrifft.«
»Maman hat auch immer gesagt, daß ich ihm ähnlich bin, aber auch ihr.«
Ihre Augen strahlten, man konnte ihr ansehen, wie sehr sie sich freute.
Daniel erzählte ihr, was er von der Baronin wußte, daß alle Schmerzen, die sie hatte, wohl von dem Kummer kamen.
»Aber sie wird doch noch lange leben«, sagte Michelle bebend.
»Freude ist eine gute Medizin, Michelle.«
Sie konnten nicht nur ungestört reden, sie bekamen auch gutes Essen und einen sehr guten Wein serviert. Es war ein typisch französisches Restaurant, in dem es auch sehr lebhaft zuging, aber sie hatten ein kleines Séparée und verbrachten einen sehr besinnlichen Abend.
»Es ist fast zu schön, um wahr zu sein«, sagte Fee, als sie müde in ihre Betten sanken. »Wollen wir hoffen, daß sich Michelle noch lange mit ihrer Großmama des Lebens freuen kann.«
»Ich weiß nur nicht, wie sich dieses Leben gestalten wird. Im Seniorenheim kann Michelle nicht wohnen, aber ich glaube nicht, daß die Baronin noch mal umsiedelt. Schließlich wird dieses bildschöne Geschöpf auch mal eine eigene Familie haben wollen.«
»Es wird sich alles fügen, wie Gott es will«, sagte Fee weise.
Conchita war nicht nachtragend und sehr erfreut, daß Michelle etwas so Aufregendes erlebte. Sie schlug vor, daß Michelle mit ihnen nach München fuhr, aber damit war ihr Chef nicht