Dr. Norden (ab 600) Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
bist, solltest du jetzt bei der Baronin deine Ansprüche geltend machen, bevor dir deine Tochter alles wegschnappt.«
Sie starrte ihn an, als sehe sie ihn zum ersten Mal.
»Ich bin gewohnt, realistisch zu denken«, sagte Claude. »Ich habe mir erlaubt, mich mal nach den Vermögensverhältnissen der Baronin zu erkundigen. Ich muß sagen, daß ich beeindruckt bin. Es ist durchaus in deinem Interesse, dich bei ihr in Erinnerung zu bringen.«
»Sie kann keine Erinnerung an mich haben, denn sie hat mich nie kennengelernt! Ich denke nicht daran, jetzt das zu tun, was mir vor Jahren mein Stolz verboten hat.«
»Jetzt fängst du auch noch mit Stolz an! Gut, wenn du zickig bist, werde ich mich mit der Baronin bekannt machen, um deine und Michelles Interessen zu vertreten.«
»Das wirst du nicht tun!«
»Willst du es mir verbieten?«
»Ja! Ich verbiete es dir!«
»Du bist eine dumme Gans, aber du wirst schon zur Besinnung kommen, wenn du nicht mehr soviel Geld in die Hände bekommst.«
»Bisher war es immer mein Geld. Ich kann gut rechnen.«
»Wir reden noch darüber«, sagte er barsch und verschwand.
Madeleine rang noch immer nach Fassung. Daß Claude ein guter Geschäftsmann war, das wußte sie, aber daß er so proletarisch sein konnte, machte sie sprachlos.
Der Gedanke, daß er sie tatsächlich in eine so peinliche Situation bringen könnte, machte sie hektisch.
Ich muß etwas unternehmen, dachte sie. Michelle hat auf viel verzichten müssen. Als ich Claude geheiratet habe, habe ich auch nicht an sie gedacht. Ich kann es nicht zulassen, daß sie um diese Chance gebracht wird.
Sie brauchte nicht lange zu überlegen, nachdem sie sich beruhigt hatte. Sie war eine kluge Frau und auch diplomatisch. Jetzt wollte sie Claude auf keinen Fall verärgern.
Sie trafen sich zum Abendessen mit auswärtigen Gästen. Seine Miene war noch mürrisch, aber es gelang ihr, schnell ein paar Worte mit ihm zu wechseln.
»Ich habe über alles nachgedacht. Ich werde nach München fliegen, aber bitte halt du dich heraus.«
»Na also! Du bist doch eine kluge Frau! Ich fliege nächste Woche nach Südamerika, da kannst du diese Angelegenheit regeln.«
»Das wird schon, Claude. Ich will keinen Streit. Aber jetzt mach ein anderes Gesicht.«
Das ging bei ihm sehr schnell.
Plötzlich wurde es Madeleine bewußt, daß er zwei Gesichter hatte. Mußte das erst geschehen, damit sie ihn durchschauen lernte?
Später konnte sie zufrieden sein. Claude war bestens gelaunt und zeigte sich von seiner charmantesten Seite, mit der er sie für sich eingenommen hatte. Es fiel gar nicht auf, daß sie still war und sich nur bemühte, höfliche Konversation zu machen.
Als sie heimkamen, fiel er gleich ins Bett.
Er hatte etwas zuviel getrunken, wenn man ihm das auch nicht anmerken konnte. Sie zog ihm die Schuhe aus, löschte das Licht und ging in ihr Zimmer.
Er hatte auf getrennte Schlafzimmer bestanden, und ihr war das recht gewesen.
*
Michelle sah gegen acht Uhr abends die Silhouette Münchens vor sich. Es war eine romantische Stimmung, die Frauentürme schienen ganz nah zu sein.
»Der Föhn hat uns wieder«, sagte Constantin, »hoffentlich macht es dir nicht zu schaffen, Michelle.«
»Was ist Föhn?« fragte sie.
»Das ist der Fallwind, der vom Gebirge kommt und manchen Menschen Kopfschmerzen bereitet.«
»Und man meint dann, das Gebirge fängt gleich bei München an, so nahe erscheint es«, sagte Conchita. »Mir ist das noch immer unbegreiflich.«
»Das sind halt die Geheimnisse der Natur. Die wissenschaftliche Erklärung lautet, daß die vom Gebirge mit großer Geschwindigkeit abfallenden Luftmassen infolge Erwärmung die Feuchtigkeit verlieren. So lösen sich die Wolken auf. Wenn Föhn ist, haben wir länger schönes Wetter als andere. Ich hoffe, daß ich nicht was Falsches gesagt habe.«
»Nein, es stimmt schon«, sagte Conchita, »so ähnlich habe ich es mal im Lexikon gelesen.«
»Mir genügt es, daß bei Föhn schönes Wetter ist. Aber meint ihr, daß es nicht zu spät ist, um Großmama jetzt noch zu stören?«
»Sie wird sich gern stören lassen, aber wir können sie ja anrufen. Nimm das Handy, Conchita, die Nummer steht vorn auf dem Zettel.«
Conchita wechselte einen Blick mit Michelle und wählte dann die Nummer. Dann gab sie das Handy an Michelle weiter.
Deren Stimme zitterte, als sie sagte: »Wir kommen gerade in München an. Ich wollte dich fragen, ob ich jetzt noch zu dir kommen kann, Großmama.«
»Selbstverständlich. Ein kleines Essen wartet schon auf dich und deine Freunde.«
»Dann werden wir kommen, danke.«
»Ein Essen wartet auf uns«, sagte sie, »sie ist lieb.«
»Wir sollten nicht gleich am ersten Abend stören«, wandte Conchita ein.
»Vielleicht ist es besser so, damit wir nicht zu melancholisch werden«, meinte Michelle.
»Sehr vernünftig«, warf Constantin ein.
»Du willst die Baronin ja nur beobachten«, wurde er von Conchita geneckt.
Zwanzig Minuten später waren sie am Ziel. Die Wohnanlage war beeindruckend und wirkte keineswegs wie ein Seniorenheim.
»Jeder kann sich so was nicht leisten«, meinte Constantin. »Wir müssen früh zu sparen anfangen, wenn wir im Alter mal so untergebracht sein wollen, meine Süße.«
»Komiker«, scherzte sie.
Michelle hatte sich an diesen lockeren Umgangston gewöhnt. Sie wußte, daß keiner dem anderen etwas übelnahm.
Jetzt begann ihr Herz zu klopfen, denn ein großer Augenblick stand ihr bevor.
Conchita und Constantin hielten sich zurück. Sie wollten in der Halle vor der Wohnung warten, die für Besucher eingerichtet war.
Sie sahen, wie die Tür geöffnet wurde, wie Viktoria die Arme nach Michelle ausstreckte und für den Augenblick alles vergaß.
»Mein kleines Mädchen, mein geliebtes kleines Mädchen«, flüsterte sie unter Tränen. »Es ist der glücklichste Tag meines Lebens.«
»Ich bin auch sehr glücklich, Großmama«, sagte Michelle andächtig.
»Wir werden noch viel Zeit miteinander verbringen können, mein Kind. Jetzt möchte ich auch deine Freunde begrüßen und ihnen danken, daß sie dich hergebracht haben.«
Das ›kleine‹ Essen war köstlich und so ausgewählt, daß es auch nach einer weiten Fahrt bekömmlich war.
Es mußte nicht viel geredet werden. Sie genossen alle die feierliche Stimmung.
Es wurde dann aber doch noch erzählt, wenngleich Constantin bald erklärte, daß sie sich nun verabschieden wollten.
»Ich hoffe doch, daß wir uns bald wiedersehen«, sagte die Baronin.
»Michelle soll sich nicht fremd fühlen in der ungewohnten Umgebung.«
*
Viktoria von Giebingerode und Michelle tranken noch einen guten Wein und genossen ihr Beisammensein.
»Wie hast du dieses nette Ehepaar kennengelernt, Michelle?« fragte Viktoria.
»Sie wohnten im Hotel. Ich habe mich gleich gut mit Conchita verstanden. Dann kamen die Nordens nach Nizza, und zufällig traf Dr. Norden Constantin am Strand, als er dort malte. Er ist ein