Dr. Norden (ab 600) Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
und Fee Norden kennen Constantin und Conchita. Es war ein Zufall, daß sie mich dadurch gleich fanden.«
»Es war Schicksal von Gott gewollt, mein Kind«, sagte Viktoria weich. »Du ahnst nicht, wie glücklich ich war, als ich die Nachricht bekam.«
»Es war wie ein Wunder! Ich hatte plötzlich eine Großmama.«
»Und wie hat es deine Mutter aufgenommen?«
»Ich konnte nicht lange mit ihr darüber sprechen. Sie hat vor drei Jahren geheiratet und lebt in Paris. Es geht ihr gut, aber ich kann mit ihrem Mann nichts anfangen. Maman war immer sehr lieb zu mir und sehr besorgt um mich. All die Jahre waren wir unzertrennlich. Sie hat immer voller Liebe von meinem Vater gesprochen. Ich konnte gar nicht begreifen, warum sie einen anderen Mann geheiratet hat.«
»Es ist verständlich. Sie ist noch jung, und er wird ihr hoffentlich etwas bieten können.«
»Darum sollte es aber nie gehen bei einer Partnerschaft. Sie hat meinen Vater bestimmt sehr geliebt.«
»Ich bedauere es zutiefst, daß ich davon nichts wußte, Michelle. Es ist eine traurige Geschichte, und ich wüßte heute noch nichts von dir, wäre Viktors Freund nicht gestorben und hätte man mir nicht den alten Koffer geschickt. Aber darüber wollen wir morgen sprechen.«
Viktoria hatte eine Schlafcouch in ihren Salon stellen lassen, damit Michelle es bequem haben sollte. Für kurze Zeit konnten sie sich so behelfen, aber Viktoria wußte, daß Dr. Clementis sich schon nach einer Wohnung umsah.
*
Michelle war jung und glücklich. Sie hätte überall schlafen können. Sie brauchte keine Gewissensbisse zu haben wie ihre Mutter, auch nicht in bezug auf Claude.
In dieser Nacht dachte Madeleine an Michelles Warnungen. Immerhin hatte Madeleine selbst ihre Tochter zur Wahrheit erzogen. Sie war immer eine gute Mutter gewesen.
Michelle hatte manches nicht bekommen, was sie sich als Teenager gewünscht hatte. Sparen war Madeleines Devise gewesen, und auch als sie die Grundstücke, die sie unerwartet von ihrem Vater geerbt hatte und die plötzlich viel mehr wert waren, als es anfangs schien, verkauft hatte, hatte sie das Geld zusammengehalten, bis Claude in ihr Leben trat und ihr erzählte, welchen Profit man mit einer guten Kapitalanlage machen konnte. Ihm hatte sie ihr Geld ohne zu zögern anvertraut, geblendet von seiner Erscheinung, seinem Auftreten.
Plötzlich war ihr bewußt geworden, daß er sie nicht geheiratet hätte, wäre ihr Vermögen nicht gewesen. Damit hatte er nicht genug, jetzt wollte er auch an das Geld der Baronin heran. Das durfte keinesfalls geschehen. Es mußte unweigerlich ein Schock für Viktors Mutter sein, die nicht zu den Neureichen gehörte. Sie durfte nicht dulden, daß diese Zuneigung, die jetzt zwischen der Baronin und Michelle zu wachsen begann, gestört wurde.
*
Zum Glück wußte Michelle nicht, was Madeleine beschäftigte.
So konnte sie das erste Frühstück mit ihrer Großmama unbeschwert genießen. Sie konnten auf der Dachterrasse sitzen, und Michelle staunte, was alles auf dem Tisch vorhanden war!
»Das ist der Vorteil, hier zu wohnen, man lebt wie im Hotel. Es wird alles serviert, ich brauche mich um nichts zu kümmern.«
»Dann wäre es dir wohl gar nicht recht, wenn wir in einer anderen Wohnung zusammen leben könnten, Großmama?«
Liebevoll ruhte Viktorias Blick auf Michelles reizvollem Gesicht. »Schau, mein Kind, es fiel mir schwer, mein Haus aufzugeben. Es dauerte seine Zeit, bis ich mich eingewöhnt hatte, aber jetzt bin ich rundherum zufrieden. Für dich ist es besser, wenn du eine eigene Wohnung hast. Du bist jung, du sollst dich nicht eingeengt fühlen. Vielleicht wirst du auch bald einen netten jungen Mann kennenlernen, mit dem du leben willst. Ich werde glücklich sein, wenn du Zeit für mich hast, wenn wir vielleicht auch mal zusammen verreisen können. Aber du sollst nicht ständig Rücksicht auf mich nehmen.«
»Ich möchte dich aber nicht mehr missen, Großmama. Du bist jetzt der wichtigste Mensch für mich. Für Männer habe ich nicht viel übrig.«
»Bist du schon enttäuscht worden?«
»So könnte man es nennen, wenn ich dadurch nicht bedeutend klüger geworden wäre.«
»Aber in so jungen Jahren braucht man noch nicht über den Dingen zu stehen.«
»So ist es auch nicht, aber ich möchte jetzt viel über meinen Vater erfahren. Ich verstehe ja, daß du deine Bequemlichkeit brauchst und die Wohnung für zwei Personen nicht geeignet ist.«
»Ich möchte dir nicht zumuten, nur unter alten Leuten zu leben. Wir werden das alles noch in Ruhe besprechen. Heute nachmittag kommt mein Anwalt. Ich habe ihn schon gebeten, nach einer hübschen Wohnung für dich Ausschau zu halten.«
»Ich möchte nicht, daß du viel Geld für mich ausgibst. Ich muß mir eine Stellung suchen und selbst etwas verdienen.«
»Du wirst dir in aller Ruhe überlegen, was du gern machen würdest. Hast du nicht studieren wollen?«
»Dazu hatten wir kein Geld, und jetzt bin ich zu alt. Ins Hotelfach möchte ich allerdings nicht gern wieder gehen. Da muß man ohne Berechtigung viel einstecken.«
»Hattest du als junges Mädchen keine Träume?«
»O doch. Ich wäre gern Graphikerin geworden. Constantin sagt, daß ich Talent habe.«
»Dann lebe deinen Neigungen, du brauchst dir keine finanziellen Sorgen zu machen, Kleines.«
»Es gefällt mir nicht, daß ich auf deine Kosten leben soll. Du sollst nicht denken, daß das für mich ausschlaggebend wäre.«
»Das denke ich nicht. Ich frage mich nur, warum deine Mutter niemals Verbindung zu mir aufgenommen hat. Wenn du sagst, daß sie Viktor geliebt hat, hätte uns doch sein plötzlicher Tod zusammenführen müssen.«
»Aber sie dachte bestimmt, daß man sie schief ansehen würde mit dem unehelichen Kind. Sie wollte sich keinen Demütigungen aussetzen.«
»Ich fürchte, Viktor hat etwas falsch gemacht oder falsch verstanden, was ich gesagt habe. Der Tod seines Vaters hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich war dazu auch noch krank. Vielleicht hat er gesagt, daß er mir Madeleine gern vorstellen würde und ich gesagt habe, daß ich dazu jetzt nicht in der Lage sei. Ach, Kind, ich mache mir so viele Vorwürfe.«
»Das brauchst du nicht. Maman ist sehr eigensinnig. Sie wollte mich mit niemand teilen.«
»Was hat sie gesagt, daß du zu mir nach München fahren wolltest?«
Michelle zuckte die Schultern. »Nicht viel. Erzähl mir lieber von meinem Vater«, bat sie.
»Hol die Fotoalben, die oben im Wandschrank sind, Michelle. Ich kann nicht mehr auf die Leiter steigen. Du mußt auch aufpassen, denn sie sind schwer. So kann ich dir alles am besten erklären.«
*
In dem Wandschrank befanden sich nicht nur Fotoalben, sondern viele Erinnerungsstücke, hübsches Spielzeug und auch ein Karton mit Babykleidung.
Michelle holte erst ein Fotoalbum herunter, dann das zweite. Sie waren wirklich schwer, und so sicher erschien ihr die Leiter nicht.
»Das nehmen wir zuerst«, sagte Viktoria. »Schau, das ist Viktor kurz nach der Geburt.«
»Ein niedliches Baby, aber du siehst wunderschön aus, Großmama.«
»Ich war noch ziemlich mitgenommen von der Geburt, aber ich war so glücklich. Ja, er war ein hübsches Baby. Auch als er heranwuchs, blieb er ein goldiger Bub. Er war immer fröhlich und weinte selten, nur dann, wenn ihm was fehlte. Da schau, schaut er nicht lieb aus mit seinem Lockenkopf?«
»Ich hatte als Baby auch so einen Lockenkopf«, sagte Michelle gedankenverloren.
»Ich muß Maman mal um die Fotos bitten, damit wir sie vergleichen können.«
»Ich werde Madeleine doch hoffentlich auch