Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft
Sie schon einmal geangelt?«
»Einmal? Oft genug! Mit der Angelei habe ich mir früher ein schönes Stück Geld verdient, besonders mit Karpfen, unser Müller hatte einen Karpfenteich, er zog sie sich selber, da habe ich in mancher Nacht…«
»Ich meine, ob Sie schon einmal auf offener See geangelt oder überhaupt gefischt haben.«
»Nee, das allerdings nicht.«
»Na, sehen Sie. Und wenn Sie auch von Ihrem Boote aus die Angel ausgeworfen hätten, so wäre das doch noch immer nicht das richtige gewesen, da befanden Sie sich noch immer nahe der Küste, wo sich die Fische schon zahlreicher aufhalten.«
Ich schilderte ihm weiter, was für eine Bewandtnis es mit der Fischerei im allgemeinen und mit der Angelei im besonderen auf offener See habe.
Es ist ja durchaus nicht der Fall, daß die Fische so planlos im Meere herumschwimmen. Vielmehr haben auch die Meeresbewohner ihre Heimatsstriche, die man Fischbänke nennt, wegen der Bodenbeschaffenheit wirkliche Weidegründe, auf denen sie Nahrung finden, und erst, wenn sich diese erschöpft, suchen die Fische in gemeinsamen Scharen andere Weidegründe auf, bis sich die alten nach einiger Zeit wieder ergänzt haben.
Die bekanntesten Fischbänke sind die von Neufundland und von den Lofoten. Natürlich gibt es noch eine ganze Menge andere, aber selbst in der fischreichen Nordsee können die Netze nicht so an beliebiger Stelle ausgeworfen werden, man muß wissen, wo sich die Fische aufhalten, sonst wird sich im Schleppnetz kein einziger befinden, und nun gar auf hoher See wird man die Angel vergebens auswerfen. Höchstens wird der Köder von einem Hai oder von einem anderen großen Raubfisch weggeschnappt.
»Es mögen ja noch genug Bänke existieren, auf denen es von Fischen wimmelt, und von denen wir noch gar nichts wissen, vielleicht mitten im offenen Meere, aber so, wie Sie sich das vorstellen, daß man einfach das Schleppnetz nachschleift und es von Zeit zu Zeit gefüllt wieder heraufholt, immer Angeln aushängen hat – nein, so ist die Sache nicht.«
Karlemann schaute mich mit einem langen Seitenblicke an.
»Ach, was Sie klug sind!«
»Na, wissen Sie es etwa besser?«
»Allerdings.«
»Sie wollen irgendwo auf hoher See die Angel auswerfen und immer einen Fisch dranhaben?«
»Allerdings.«
»Das machen Sie mir einmal vor.«
»Vielleicht haben wir bald die Gelegenheit dazu.«
Ich wußte nicht mehr, was ich sagen sollte. Und ich dachte daran, daß dieser kleine Krösus, der jetzt wie ein ganzer Mann einige hundert Menschen beschäftigte, wie ein Zigeuner zur See gebettelt hatte. Schließlich war alles möglich.
»Und wir können doch nicht immer Fische fangen, um uns nur gerade zu ernähren.«
»Weshalb nicht?«
»Na – fragen Sie doch nicht so – zum Leben gehört doch noch etwas anderes.
»Dann fangen Sie doch Walfische.«
Ich starrte den Sprecher an. Walfische! Dieses Wort wirkte auf mich wie ein Blitz – so erleuchtend fuhr es mir durch den Kopf.
Mein Gott, weshalb war ich selbst noch gar nicht darauf gekommen? Ich war noch auf keinem Walfischfänger gewesen, meines Wissens auch noch keiner meiner Leute, und wäre das der Fall gewesen, so hätte der Betreffende doch sicher schon diesen Vorschlag gemacht – und was man nicht kann, das lernt man, gehört hatte ich schon genug davon – ich konnte ja auch einen Harpunier engagieren – und ein Walfischjäger braucht nichts weiter als warme Kleidung und genügend Proviant – dies alles wollte ich mir schon noch verschaffen, Blodwen hatte ja noch genug reichen Schmuck – und wenn uns das Glück nicht ganz und gar verließ, wollten wir es schon zu etwas bringen …
»Walfische,« wiederholte ich langsam. »Kapitän, da bringen Sie mich auf einen Gedanken!«
»Es brauchen ja nicht gerade Walfische zu sein.«
»Was sonst?«
»Nun, das Meer birgt doch Schätze genug, man muß sie nur zu heben wissen.«
»Schätze?«
»Denken Sie nur an die zahllosen Wracks.«
»Deren Lage muß man aber erst kennen, vorausgesetzt, daß sie nicht zu tief liegen.«
»Lagerstätten von Perlmutter und dergleichen.«
»Das sind alles utopische Schätze – Phantasien – da sind mir reelle Walfische lieber.«
Plötzlich blieb Karlemann stehen und blickte mich von unten auf an.
»Ich weiß einen Schatz im Meere.«
»Wo?«
»Ja, wo – so fragt man die Dummen aus,« entgegnete Karlemann ungeniert, was ich ihm nicht verübeln konnte. Aber ich war tatsächlich äußerst gespannt. Denn was dieser Junge sprach und tat, das hatte doch alles Hand und Fuß, und wie er nun auch dies gesagt hatte!
»Tatsache, Sie wissen einen Schatz?«
»Ja.«
»Einen natürlichen oder einen von Menschenhand versenkten?«
»Sie wissen gleich den richtigen Unterschied zu machen. Es ist ein natürlicher, der sich mit der Zeit dort angesammelt hat.«
»Darf ich wenigstens erfahren, was es ist?«
Zunächst blieb mir Karlemann die Antwort schuldig.
»Gold?«
»Nein, kein Gold.«
»Edelsteine?«
»Ich – ich weiß es selber nicht,« kam es schließlich zögernd heraus.
Das war allerdings höchst seltsam. Und schließlich doch nicht. Man kann doch irgendwo einen Schatz vergraben wissen, ohne zu ahnen, woraus er besteht.
Da aber kam mir eine böse Vermutung. »Von wem haben Sie dies denn erfahren?«
»Das … muß mein Geheimnis bleiben.«
»Hören Sie, das hat Ihnen wohl ein alter Matrose gesagt – oder es kann auch ein junger gewesen sein – er hat Ihnen von einem Schatze erzählt, den er an irgendeiner entlegenen Meeresküste oder irgendwo auf dem Meeresgrunde liegen weiß, ein gesunkenes Wrack oder etwas Aehnliches.«
Um zu verstehen, was ich meine, muß man einmal in eine Schifferkneipe gehen. Ich glaube, es gibt keinen einzigen alten Seemann, der nicht irgendwo seinen Schatz oder speziell sein Wrack weiß, welches nur der Hebung wartet. Und die jüngeren Matrosen machen mit. Das geht eben so von Mund zu Mund, einer vertraut es unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit – meistenteils in einer besoffenen Stunde – seinem besten Freunde und … glaubt selbst nicht daran.
Was mich anbetrifft, so wußte ich in der Südsee eine kleine Insel, die meterhoch mit Perlmutterschalen bedeckt war, eine sehr kostbare Ware, die mich sofort zum vielfachen Millionär gemacht hätte – und zweitens war mir ganz genau die Lage der ›Ariadne‹ bekannt, ein spanisches Schiff, welches vor hundert oder fünfhundert Jahren – so genau kommt es dabei nicht darauf an – an der Küste von Yukatan gesunken war, ganz vollgepfropft mit Gold und Perlen und Edelsteinen, den alten Azteken abgenommen, und dabei war das Wrack in ganz bequemer Tiefe erreichbar.
Aber mir fiel es gar nicht im Traume ein, dorthin zu gehen, um mir meine Schätze abzuholen. Ich wollte immer andere hinschicken.
Nebenbei bemerkt: man findet eine ganz ähnliche Manie bei den deutschen Handwerksburschen, bei den deutschen Walzbrüdern, die überhaupt eine gewisse Aehnlichkeit mit Seeleuten haben, indem sie einmal in der ganzen Welt zu Hause sind, dann sprechen sie mit Stolz von so und so vielen Jahren Wanderzeit, usw. Und unter diesen Pennbrüdern findet man keinen einzigen, der nicht sein Patentchen hat, das er verkaufen will. Das heißt noch kein Patent, sondern seine Erfindung, die er patentieren lassen