Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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sah sie an und suchte in ihrem Blick, der aber klar und frei blieb. Leise und dumpf klang die Orgel aus der Kirche herüber.

      »Ja richtig«, sagte Georg, »das Billett für morgen zu ›Carmen‹ hab ich dir mitgebracht.«

      »Dank schön«, erwiderte sie und nahm die Karte entgegen. »Gehst du auch?«

      »Ja. Ich hab eine Loge im dritten Stock und lad mir den Bermann ein. Die Partitur nehm ich mir mit, wie neulich zu Lohengrin und üb’ mich wieder im Dirigieren. Im Hintergrund natürlich. Du kannst dir nicht vorstellen, was man dabei lernt. Ich möcht dir übrigens was vorschlagen«, setzte er zögernd hinzu. »Willst du nicht nach dem Theater mit mir und Bermann nachtmahlen gehen?«

      Sie schwieg.

      Er fuhr fort. »Es wäre mir wirklich angenehm, wenn du ihn näher kennen lerntest. Er ist bei allen seinen Fehlern ein interessanter Mensch und…«

      »Ich bin keine Rattenmamsell«, unterbrach sie ihn scharf und hatte gleich ihr bürgerlich strenges Gesicht. Georg verzog die Mundwinkel. »Das trifft mich nicht, liebes Kind, ich unterscheide mich auch in mancher Beziehung von Guido. Aber wie du willst.« Er ging im Zimmer hin und her, sie blieb auf dem Diwan sitzen. »Du gehst also heute Abend zu Ehrenbergs?« fragte sie dann.

      »Du weißt ja. Ich habe schon zweimal abgesagt in der letzten Zeit. Ich konnte diesmal nicht recht… –

      »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Georg. Ich bin auch geladen.«

      »Wo denn?«

      »Auch bei Ehrenbergs.«

      »Wirklich«, rief er unwillkürlich aus.

      »Was wundert dich denn dran so sehr?« fragte sie spitz. »Offenbar wissen sie dort noch nicht, daß man mit mir nicht mehr verkehren kann.«

      »Aber Anna, was hast du denn heut? warum bist du denn gar so empfindlich? Selbst wenn man wüßte… glaubst du, das würde die Leute hindern, dich einzuladen? Im Gegenteil. Ich bin überzeugt, Frau Ehrenberg bekäme geradezu Respekt vor dir.«

      »Und klein Elschen würde mich vielleicht gar beneiden. Glaubst du nicht? Sie hat mir übrigens ganz nett geschrieben. Da ist ihr Brief, willst du ihn lesen?« Georg flog ihn durch, fand ihn von etwas absichtlicher Liebenswürdigkeit, äußerte sich nicht weiter und gab ihn Anna wieder.

      »Da ist übrigens noch einer«, sagte Anna, »wenn er dich interessieren sollte.«

      »Von Doktor Stauber? So? Wär es ihm recht, wenn er wüßte, daß ich ihn zu lesen bekomme?«

      »Was bist du denn plötzlich so rücksichtsvoll?« Und wie strafend fügte sie hinzu: »Es wär ihm wahrscheinlich manches nicht recht.«

      Georg las den Brief rasch für sich durch. In trockener, zuweilen etwas humoristisch gefärbter Art berichtete Berthold vom Fortgang seiner Arbeiten im Pasteurschen Institut, von Spaziergängen, Ausflügen und Theaterbesuchen und ließ es auch an Bemerkungen allgemeinem Charakters nicht fehlen; doch enthielt der Brief auf seinen acht Seiten keinerlei Anspielung auf Vergangenheit oder Zukunft. Georg fragte beiläufig: »Wie lang bleibt er denn noch in Paris?«

      »Wie du siehst, schreibt er noch kein Wort vom Zurückkommen.«

      »Deine Freundin Therese erwähnte neulich, daß seine Parteigenossen ihn gerne wieder hier haben möchten.«

      »Ah, ist sie wieder im Kaffeehaus gewesen?«

      »Ja. Vor zwei oder drei Tagen hab ich sie dort gesprochen. Ich amüsier mich wirklich sehr über sie.«

      »So?«

      »Anfangs ist sie nämlich immer sehr hochmütig, auch mit mir. Offenbar, weil ich auch mein Leben so mit Kunst und ähnlichen Dummheiten vertrödle, während es doch so viele wichtigere Dinge auf der Welt zu tun gibt. Aber wenn sie ein bissel wärmer wird, dann kommt’s heraus, daß sie sich für alle möglichen Dummheiten geradeso interessiert, wie wir gewöhnlichen Menschen.«

      »Sie wird leicht warm«, sagte Anna unbeweglich.

      Georg ging auf und ab und sprach weiter. »Köstlich war sie ja neulich beim Fechtturnier im Musikvereinssaal. Wer war übrigens der Herr, mit dem sie oben auf der Galerie gesessen ist?«

      Anna zuckte die Achseln. »Ich hatte nicht den Vorzug, dem Turnier beizuwohnen. Und übrigens kenn ich die Begleiter Theresiens nicht alle.«

      »Ich nehme an«, sagte Georg, »es war ein Genosse, in jeder Beziehung. Sehr düster und ziemlich schlecht angezogen war er jedenfalls. Wie Therese nach Felicians Sieg applaudiert hat, hat er sich vor Eifersucht geradezu zusammengerollt.«

      »Was hat dir Therese eigentlich von Doktor Berthold erzählt?« fragte Anna.

      »O«, scherzte Georg, »man interessiert sich ja noch sehr lebhaft, wie es scheint.«

      Anna antwortete nicht.

      »Also«, berichtete Georg, »ich kann dir die Mitteilung machen, daß man ihn im Herbst für den Landtag kandidieren will, was ich übrigens sehr begreiflich finde, mit Rücksicht auf seine glänzenden Rednergaben.«

      »Was weißt denn du! Hast du ihn schon sprechen gehört?«

      »Natürlich, erinnerst du dich denn nicht! In Eurer Wohnung!«

      »Du hast’s wirklich nicht notwendig, dich über ihn lustig zu machen.«

      »Aber das fällt mir ja gar nicht ein.«

      »Ich hab’s ja gleich bemerkt, er ist dir damals ein bißchen komisch vorgekommen. Er, und sein Vater auch. Du hast ja geradezu die Flucht ergriffen vor ihnen.«

      »Ganz und gar nicht, Anna. Du tust sehr unrecht, mir solche Dinge zu insinuieren.«

      »Sie mögen ja ihre Schwächen haben, beide, aber sie gehören wenigstens zu den Menschen, auf die man sich verlassen kann. Das ist auch etwas.«

      »Hab ich das bestritten, Anna? Wahrhaftig, niemals hab ich dich so unlogisch reden gehört. Was willst du denn eigentlich von mir? Hätt ich vielleicht eifersüchtig werden sollen wegen dieses Briefes?«

      »Eifersüchtig? Das fehlte noch, du mit deiner Vergangenheit.«

      Georg zuckte die Achseln. In seinem Geist tauchten Erinnerungen auf, an ähnliche Wortzwiste im Verlaufe früherer Beziehungen, an jene plötzlichen rätselhaften Uneinigkeiten und Entfremdungen, die meist nichts anderes zu bedeuten gehabt hatten, als den Anfang vom Ende. Sollte er mit seiner klugen, guten Anna heute wirklich schon so weit sein? Verstimmt, beinahe traurig ging er im Zimmer auf und ab. Zuweilen warf er einen flüchtigen Blick nach der Geliebten, die schweigend in ihrer Diwanecke saß und leicht die Hände aneinanderrieb, als wäre ihr kalt. In das Schweigen des mit einmal trübselig gewordenen Raums klang die Orgel schwerer als zuvor, singende Menschenstimmen wurden vernehmbar, und die Fensterscheiben klirrten leise. Georgs Blick fiel auf den kleinen Weihnachtsbaum, der auf der Kommode stand und dessen Kerzen vorgestern Abend für ihn und Anna gebrannt hatten. Halb gelangweilt, halb zerstreut nahm er Zündhölzchen aus der Tasche und begann die kleinen Kerzen eine nach der andern anzuzünden. Da klang plötzlich Annas Stimme zu ihm her: »In einer ernsten Sache«, sagte sie langsam, »würde ich mich doch keinem andern anvertrauen, als dem alten Doktor Stauber.«

      Befremdet wandte sich Georg nach ihr um, und blies ein brennendes Zündhölzchen aus, das er noch in der Hand hielt. Er wußte sofort, was Anna meinte, wunderte sich, daß er seit dem letzten Zusammensein selbst nicht mehr daran gedacht hatte, trat zu ihr hin und faßte ihre Hand. Nun erst schaute sie auf, undurchdringlich, mit bewegungslosen Zügen.

      »Du Anna sag doch…«, er setzte sich an ihre Seite auf den Diwan, ihre beiden Hände in den seinen.

      Sie schwieg.

      »Warum redest du nicht?«

      Sie zuckte die Achseln. »Es ist eben gar nichts Neues zu berichten«, erklärte sie dann einfach.

      »So«, sagte er langsam. Es ging ihm durch den Sinn, ob nicht ihre heutige sonderbare


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