Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Er sagte: »Auf Wiedersehen, Schatz« und begab sich ins Rauchzimmer. An einem grünen Tischchen hatten sich der alte Ehrenberg, Nürnberger und Wilt zum Tarockspiel niedergelassen. Auf zwei riesigen, grünen Lederfauteuils, nebeneinander, saßen der alte Eißler und sein Sohn und benützten die Gelegenheit, sich endlich einmal ordentlich miteinander auszuplaudern. Georg nahm eine Zigarre aus einem Kistchen, steckte sie sich an und betrachtete ohne besondere Anteilnahme die Bilder an der Wand. Auf einem grotesk gehaltenen Aquarell, das ein von rot befrackten Herren gerittenes Hürdenrennen vorstellte, sah er unten in der Ecke mit blaßroten Buchstaben auf die grüne Wiese gezeichnet Willys Namen. Unwillkürlich wandte er sich nach dem jungen Mann um und sagte: »Das hab ich noch gar nicht gekannt.«
»Es ist ziemlich neu«, bemerkte Willy beiläufig.
»Ein fesches Bild, was?« sagte der alte Eißler.
»Ah, schon etwas mehr als das«, erwiderte Georg.
»Na, hoffentlich werde ich bald mit etwas Besserem aufwarten können«, sagte Willy.
»Er geht nach Afrika auf die Löwenjagd«, erläuterte der alte Eißler, »mit dem Fürsten Wangenheim.«
»So?« sagte Georg, »Felician soll auch von der Partie sein. Aber er hat sich noch nicht entschlossen.«
»Warum denn?« fragte Willy.
»Er will im Frühjahr seine Diplomatenprüfung machen.«
»Aber das kann er doch verschieben«, sagte Willy. »Die Löwen sind ja im Aussterben, was man von den Professoren leider nicht behaupten kann.«
»Ich pränumerier mich auf ein Bild, Willy«, rief Ehrenberg vom Kartentisch herüber.
»Seien Sie später Mäcen, Vater Ehrenberg«, sagte Wilt, »ich hab einen Dreier angesagt.«
»Einen Untern«, replizierte Ehrenberg und fuhr fort: »Wenn ich mir was anschaffen darf, Willy, so malen Sie mir eine Wüstenlandschaft, in der der Fürst Wangenheim von den Löwen aufgefressen wird… aber womöglich nach der Natur.«
»Sie irren sich in der Person, Herr Ehrenberg«, sagte Willy. »Der berühmte Antisemit, den Sie meinen, ist der Cousin von meinem Wangenheim.«
»Von mir aus«, erwiderte Ehrenberg, »können sich die Löwen auch irren, es muß ja nicht jeder Antisemit berühmt sein.«
»Sie werden die Partie verlieren, wenn Sie nicht aufpassen«, mahnte Nürnberger.
»Sie hätten sich doch in Palästina ankaufen sollen«, sagte Hofrat Witt.
»Gott soll mich davor behüten«, erwiderte Ehrenberg.
»Nun, da er das bis jetzt in allen Dingen getan hat…«, sagte Nürnberger und spielte sein Blatt aus.
»Mir scheint, Nürnberger, Sie werfen mir schon wieder vor, daß ich nicht mit alten Kleidern handeln geh.«
»Dann hätten Sie wenigstens das Recht, sich über den Antisemitismus zu beklagen«, sagte Nürnberger. »Denn wer spürt in Österreich etwas davon, als die Hausierer… leider Gottes nur die, könnte man sagen.«
»Und einige Leute mit Ehrgefühl«, entgegnete Ehrenberg. »Siebenundzwanzig… einunddreißig… achtunddreißig… nu, wer hat die Partie gewonnen?«
Willy hatte sich wieder in den Salon begeben, Georg saß rauchend auf der Lehne eines Fauteuils, sah plötzlich den Blick des alten Eißler auf sich gerichtet, in einer sonderbar wohlwollenden Weise, und fühlte sich an irgend etwas erinnert, ohne zu wissen woran.
»Neulich«, sagte der alte Herr, »hab ich Ihren Bruder Felician flüchtig gesprochen, bei Schönsteins. Es ist frappant, wie er Ihrem seligen Papa ähnlich sieht. Besonders, wenn man Ihren Papa als ganz jungen Menschen gekannt hat, wie ich.«
Jetzt wußte Georg mit einemmal, woran der Blick des alten Eißler ihn erinnerte: mit dem gleichen, väterlichen Ausdruck hatten des alten Doktor Stauber Augen bei Rosners auf ihm geruht. Diese alten Juden! dachte er spöttisch, aber in einem entlegenen Winkel seiner Seele war er ein wenig gerührt. Es fiel ihm ein, daß sein Vater mit Eißler, vor dessen Kunstverständnis er großen Respekt gehabt hatte, manchmal des Morgens im Prater spazierengegangen war.
Der alte Eißler sprach weiter: »Sie Georg, geraten wohl mehr Ihrer Mutter nach, denk ich mir.«
»Es behaupten’s manche. Selbst kann man das ja schwer beurteilen.«
»Ihre Mutter soll eine so schöne Stimme gehabt haben.«
»Ja, in ihrer frühen Jugend. Ich selbst habe sie ja nie wirklich singen gehört. Zuweilen hat sie’s wohl versucht. Drei oder vier Jahre vor ihrem Tod, da hat ihr ein Arzt in Meran sogar den Rat gegeben, ihre Singstimme zu üben. Eine Lungengymnastik sollte es sein. – Aber es hat leider nicht viel Erfolg gehabt.«
Der alte Eißler nickte und sah vor sich hin. »Daran werden Sie sich wahrscheinlich nicht mehr erinnern können, daß damals meine arme Frau mit Ihrer verstorbenen Mutter zugleich in Meran gewesen ist.«
Georg suchte in seinem Gedächtnis. Es war ihm entfallen.
»Einmal«, sagte der alte Eißler, »bin ich mit Ihrem Vater im selben Kupee hinuntergefahren. In der Nacht, wir haben beide nicht schlafen können, hat er mir sehr viel von euch zweien erzählt. Von Ihnen und Felician mein ich.«
»So…«
»Zum Beispiel, daß Sie in Rom als Bub irgendeinem italienischen Virtuosen eine eigne Komposition vorgespielt haben, und daß er Ihnen eine große Zukunft prophezeit hat.«
»Große Zukunft… ach Gott! Es war aber kein Virtuose; Herr Eißler, es war ein Geistlicher, bei dem ich dann übrigens Orgelspielen gelernt hab.«
Eißler fuhr fort: »Und abends, wenn Ihre Mutter schon zu Bett gegangen war, haben Sie ihr manchmal stundenlang im Zimmer nebenan vorphantasiert.«
Georg nickte und seufzte im stillen. Es war ihm, als hätte er zu jener Zeit viel mehr Talent gehabt als jetzt. Arbeiten, dachte er mit Inbrunst, arbeiten… Er blickte wieder auf. »Ja«, sagte er wie humoristisch, »das ist halt das Malheur, daß aus Wunderkindern so selten was wird.«
»Ich höre ja, Sie wollen Kapellmeister werden, Baron?«
»Ja«, erwiderte Georg mit Entschiedenheit. »Nächsten Herbst geh ich nach Deutschland, vielleicht zuerst als Korrepetitor an irgendein kleines Stadttheater, wie es sich eben trifft.«
»Aber gegen ein Hoftheater hätten Sie auch nichts einzuwenden?«
»Gewiß nicht. Aber wie kommen Sie darauf, Herr Eißler, wenn ich fragen darf –?«
»Ich weiß ganz gut«, sagte Eißler lächelnd und ließ das Monokel fallen, »daß Sie auf meine Protektion nicht angewiesen sind, aber andererseits kann ich mir denken, daß es ihnen vielleicht nicht unsympathisch wäre, auf die Vermittlung von Agenten und andere Annehmlichkeiten dieser Art verzichten zu dürfen… ich meine nicht wegen der Perzente.«
Georg blieb kühl. »Wenn man einmal entschlossen ist eine Theaterkarriere einzuschlagen, so weiß man ja auch, was man alles mit in den Kauf zu nehmen hat.«
»Kennen Sie vielleicht den Grafen Malnitz?« fragte Eißler, unbekümmert um Georgs Lebensweisheit.
»Malnitz? Meinen Sie den Grafen Eberhard Malnitz, von dem vor ein paar Jahren eine Suite aufgeführt worden ist?«
»Ja, den mein ich.«
»Persönlich kenn ich ihn nicht und was die Suite anbelangt…«
Durch eine Handbewegung gab Eißler den Komponisten Malnitz preis. »Seit Beginn dieser Saison«, sagte er dann »ist er Intendant in Detmold. Darum hab ich Sie gefragt, ob Sie ihn kennen. Ein guter, alter Freund von mir. Er hat früher in Wien gelebt. Seit zehn oder zwölf Jahren treffen wir uns jedes Jahr, in Karlsbad oder in Ischl. Heuer wollen wir um Ostern eine kleine Mittelmeerreise machen. Erlauben Sie mir, lieber Baron, bei dieser Gelegenheit Ihren Namen zu nennen