Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


Скачать книгу
war ins Herz getroffen, verspürte sogar einen leisen Groll gegen Else, faßte sich aber rasch und erwiderte: »Ich bin ja vielleicht nichts anderes. Und wenn man kein Genie ist, so ist es schon besser, man ist ein ehrlicher Dilettant, als… als ein aufgeblasener Künstler.«

      »Wer verlangt denn, daß Sie gleich das Größte leisten? Aber deswegen muß man sich doch nicht so gehen lassen, wie Sie’s tun, innerlich und äußerlich.«

      »Ich versteh Sie wirklich nicht, Else. Wie können Sie behaupten… Wissen Sie denn auch, daß ich im Herbst nach Deutschland gehe, als Kapellmeister?«

      »Die Karriere wird daran scheitern, daß Sie nicht um zehn Uhr früh bei den Proben sein werden.«

      In Georg wühlte es noch immer. »Wer hat mich denn übrigens einen Dilettanten genannt, wenn ich fragen darf?«

      »Wer? Gott, es ist doch schon in der Zeitung gestanden.«

      »Ach so«, sagte Georg beruhigt, denn er erinnerte sich jetzt, daß ein Kritiker ihn nach dem Konzert, in dem Fräulein Bellini seine Lieder gesungen, als »dilettierenden Aristokraten« bezeichnet hatte. Georgs Freunde hatten damals erklärt, diese animose Besprechung habe ihren Grund darin, daß er dem betreffenden Herrn, der als sehr eitel bekannt war, keinen Besuch gemacht hätte.

      So war es nun einmal! Immer waren äußere Gründe dran schuld, wenn die Leute einen ungünstig beurteilten. Auch die Gereiztheit Elsens heute, was war sie im Grunde anderes, als Eifersucht…

      Die Tafel wurde aufgehoben. Man begab sich in den Salon. Georg trat zu Anna, die am Klavier lehnte und sagte leise zu ihr: »Schön siehst du aus.«

      Sie nickte befriedigt.

      Dann fragte er weiter: »Hast du dich mit Heinrich gut unterhalten? Worüber habt ihr denn gesprochen? Über Therese? Nicht wahr?«

      Sie antwortete nicht, und Georg merkte mit Befremden, wie ihr plötzlich die Augenlider zufielen, und sie zu wanken begann.

      »Was… was haben Sie denn?« fragte er erschrocken.

      Sie hörte ihn nicht und wäre niedergesunken, wenn er sie nicht rasch bei den Handgelenken gefaßt hätte. Frau Ehrenberg und Else waren im selben Augenblick bei ihr.

      Haben sie uns beobachtet? dachte Georg.

      Schon hatte Anna die Augen wieder offen, zwang sich zu einem Lächeln und flüsterte: »O es ist nichts, ich vertrage die Hitze manchmal so schlecht.«

      »Kommen Sie«, sagte Frau Ehrenberg mütterlich, »vielleicht legen Sie sich einen Augenblick hin.«

      Anna schien verwirrt, erwiderte nichts, und die Damen des Hauses geleiteten sie ins Nebenzimmer.

      Georg sah um sich. Den Gästen schien nichts aufgefallen zu sein. Der Kaffee wurde herumgereicht. Georg nahm eine Tasse und rührte zerstreut mit dem Löffel herum. Am Ende, dachte er, wird sie doch nicht im Bürgerlichen enden. Aber zugleich fühlte er sich innerlich so entfernt von ihr, als ginge ihn persönlich die Sache nichts an. Frau Oberberger stand neben ihm. »Also wie denken Sie eigentlich über platonische Liebe, Sie sind ja Fachmann?« Er erwiderte zerstreut, sie redete weiter, in ihrer Art; ohne sich zu kümmern, ob er zuhörte, ob er antwortete. Plötzlich war Else wieder da. Georg erkundigte sich nach Annas Befinden, teilnehmend und höflich.

      »Eine schwere Erkrankung dürfte es wohl nicht sein«, sagte Else und sah ihm fremd ins Gesicht.

      Demeter Stanzides trat heran und bat sie zu singen. »Wollen Sie mich begleiten?« wandte sie sich an Georg. Er verneigte sich und setzte sich ans Klavier.

      »Also was denn?« fragte Else.

      »Was Sie wollen«, erwiderte Wilt, »nur nichts Modernes.« Nach dem Souper liebte er es, wenigstens in künstlerischen Dingen, den Reaktionär zu spielen.

      »Justament«, sagte Else und reichte Georg ein Heft. Sie sang »Das alte Bild« von Hugo Wolf, mit ihrer kleinen, wohlgebildeten und etwas rührenden Stimme. Georg begleitete mit Geschmack, doch ziemlich zerstreut. Er war ein wenig ärgerlich über Anna, so sehr er sich dagegen wehrte. Im übrigen schien wirklich niemand den Vorfall bemerkt zu haben, als Frau Ehrenberg und Else. Ach, was lag am Ende daran… Wenn sie’s auch alle wußten… Wen ging es an… Ja, wer kümmerte sich nur darum… Nun hören sie alle Else zu, dachte er weiter, und empfinden die Schönheit dieses Liedes. Sogar Frau Oberberger, die gar nicht musikalisch ist, vergißt auf einige Minuten, daß sie ein Weib ist, und hat ein stilles, geschlechtsloses Gesicht. Auch Heinrich hört gebannt zu, denkt in diesem Moment vielleicht nicht an seine Werke, nicht an das Los der Juden, nicht an die ferne Geliebte, und nicht einmal an die nahe, die kleine Blondine, der zuliebe er in der letzten Zeit geradezu elegant geworden ist. Wahrhaftig, der Frack sitzt ihm nicht übel, und die Krawatte ist keine von den fertig gekauften, wie er sie sonst trägt, sondern sorgsam geknüpft… Wer steht denn so nah hinter mir, dachte Georg weiter, daß ich den Atem über dem Haar spüre?… Sissy vielleicht…? Wenn morgen früh die Welt unterginge, Sissy wäre es, die ich mir für heute Nacht erwählte. Ja das ist sicher. Ah, da kommt Anna mit Frau Ehrenberg… Es scheint, ich bin der einzige, der es merkt, obwohl ich doch zugleich auf mein Spiel und auf Elses Gesang aufpassen muß. Ich grüße sie mit den Augen… Ja, ich grüße dich, Mutter meines Kindes… Wie sonderbar ist das Leben…

      Das Lied war zu Ende. Man applaudierte, verlangte nach mehr. Georg begleitete Else zu einigen anderen Liedern, von Schumann, von Brahms, zum Schluß auf allgemeinen Wunsch zu zwei eigenen, die ihm persönlich zuwider geworden waren, seit irgendwer behauptet hatte, sie erinnerten an Mendelssohn. Während er begleitete, glaubte er jeden Zusammenhang mit Else zu verlieren und gab sich durch sein Spiel Mühe, sie wiederzugewinnen. Er spielte mit übertriebener Empfindung, er warb geradezu um sie und fühlte, daß es vergebens war. Zum erstenmal in seinem Leben war er unglücklich verliebt in sie. Der Beifall nach Georgs Liedern war stark.

      »Das war Ihre beste Zeit«, sagte Else leise zu ihm, während sie die Noten weglegte. »So vor zwei, drei Jahren.«

      Die andern sagten ihm Freundliches, ohne Epochen in seiner künstlerischen Entwicklung zu unterscheiden.

      Nürnberger erklärte, durch die Lieder Georgs aufs angenehmste enttäuscht worden zu sein. »Ich will Ihnen nämlich nicht verhehlen«, bemerkte er, »daß ich sie mir nach den Ansichten, die ich manchmal von Ihnen vertreten höre, lieber Baron, beträchtlich unverständlicher vorgestellt hätte.«

      »Wirklich charmant«, sagte Wilt. »Alles so melodiös, und einfach, ohne Affektion und Schwulst.«

      Er ist es, dachte Georg grimmig, der mich einen Dilettanten geheißen hat.

      Willy war herzugetreten. »Jetzt sagen S’ nur noch Herr Hofrat, daß Sie sie nachpfeifen können, und wenn ich mich auf Physiognomien verstehe, so schickt Ihnen der Baron morgen früh zwei Herren.«

      »O nein«, sagte Georg, sich auf sich besinnend und lächelte. »Die Lieder stammen glücklicherweise aus einer längst überwundenen Zeit. Ich fühle mich also durch keinerlei Tadel und keinerlei Lob verletzt.«

      Ein Diener brachte Eis, die Gruppen lösten sich, und Anna stand mit Georg allein am Klavier. Er fragte sie rasch: »Was hat denn das zu bedeuten gehabt?«

      »Ja ich weiß nicht«, erwiderte sie und sah ihn mit großen Augen an.

      »Ist dir denn auch schon ganz wohl?«

      »Aber vollkommen«, antwortete sie.

      »Und ist dir das heute zum erstenmal passiert?« fragte Georg etwas zögernd.

      Sie erwiderte: »Gestern Abend zu Haus hab ich was ähnliches gehabt. So eine Art von Ohnmacht. Es hat sogar noch etwas länger gedauert. Während wir noch beim Nachtmahl gesessen sind. Es hat’s aber niemand bemerkt.«

      »Warum hast du mir denn gar nichts davon gesagt?«

      Sie zuckte leicht die Achseln.

      »Du Anna«, sagte er lebhaft und etwas schuldbewußt, »ich möcht dich jedenfalls noch sprechen. Gib mir ein Zeichen, wenn du fortgehen


Скачать книгу