Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
auf, lieber Baron. Wenn Sie nicht wollen, halt ich natürlich das Maul.«
»Sie mißverstehen mein Schweigen«, entgegnete Georg liebenswürdig, doch nicht ohne Hochmut. »Aber ich weiß wirklich nicht – –«
»So ein kleines Hoftheater«, fuhr Eißler fort, »stell ich mir gerade für den Anfang als den richtigen Boden für Sie vor. Daß Sie von Adel sind, wird Ihnen gerade auch nicht schaden, sogar bei meinem Freunde Malnitz nicht, obwohl der gerne den Demokraten spielt, zuweilen sogar den Anarchisten… mit Nachsicht der Bomben selbstverständlich. Aber er ist ein charmanter Mensch und wirklich enorm musikalisch… wenn er nicht grad komponiert.«
»Nun«, erwiderte Georg etwas befangen, »wenn Sie die Güte haben wollen, mit ihm zu reden… man biete dem Glücke die Hand. Jedenfalls dank ich Ihnen sehr.«
»Keine Ursache. Ich garantiere ja nicht für den Erfolg. Es ist eben eine Chance unter andern.«
Frau Oberberger und Sissy traten ein, von Demeter Stanzides begleitet.
»Was haben wir da für ein interessantes Gespräch unterbrochen?« fragte Frau Oberberger. »Der erfahrene Platoniker und der unerfahrene Wüstling! Da hätt man dabei sein sollen.«
»Beruhigen Sie sich, Katharina«, sagte Eißler, und seine Stimme hatte wieder ihren tremolierend tiefen Klang. »Man spricht zuweilen auch von anderen Dingen, als von der Zukunft des Menschengeschlechts.«
Sissy nahm eine Zigarette zwischen die Lippen, ließ sich von Georg Feuer geben und setzte sich in die Ecke des grünen Lederdiwans. »Sie kümmern sich ja heute gar nicht für mich«, begann sie mit dem englischen Akzent, den Georg so sehr an ihr liebte. »Als wenn man überhaupt gar nicht auf der Welt wäre. O, es ist so. Ich bin doch eine treuere Natur als Sie. Bin ich nicht?«
»Sie treu, Sissy…?« Er schob einen Fauteuil ganz nahe zu ihr hin. Sie sprachen von dem vergangenen Sommer und von dem kommenden.
»Voriges Jahr«, sagte Sissy, »haben Sie mir Ihr Wort versprochen, daß Sie hinkommen werden, wo ich bin. Sie haben es nicht getan. Heuer aber müssen Sie Ihr Wort halten.«
»Gehn Sie wieder nach der Isle of Wight?«
»Nein, wir werden diesmal ins Gebirge gehen, nach Tirol oder ins Salzkammergut. Ich will Ihnen schon sagen. Werden Sie kommen?«
»Sie dürften jedenfalls wieder ein großes Gefolge haben?«
»Ich werde mich für keinen kümmern als für Sie, Georg.«
»Auch wenn Willy Eißler sich zufällig in Ihrer Nähe aufhalten sollte?«
»O«, sagte sie mit einem verworfenen Lächeln und drückte das Feuer ihrer Zigarette gewaltsam in der gläsernen Aschenschale aus.
Sie redeten weiter. Es war eines jener Gespräche, wie sie es in den letzten Jahren so oft geführt hatten. Scherzend und leicht fing es an und glühte am Ende von zärtlichen Lügen, die einen Augenblick lang Wahrheit waren. Georg war wieder einmal berückt von Sissy.
»Am liebsten möcht ich mit Ihnen eine Reise machen«, flüsterte er ganz nah bei ihr.
Sie nickte nur, ihr linker Arm lag auf der breiten Lehne des Diwans. »Wenn man könnte, wie man wollte«, sagte sie und hatte einen Blick, der von hundert Männern träumte.
Er beugte sich über ihren zitternden Arm, redete weiter und berauschte sich an seinen eigenen Worten. »Irgendwo, wo niemand uns kennt, wo man sich um keinen Menschen kümmern müßte, möchte ich mit Ihnen zusammen sein, Sissy. Viele Tage und Nächte.«
Sissy bebte. Das Wort Nächte jagte ihr Schauer durchs Blut.
Anna erschien in der Tür, gab Georg mit dem Blick ein Zeichen und verschwand gleich wieder. Er lehnte sich innerlich auf, und doch war es ihm ganz recht, daß er sich gerade jetzt von Sissy verabschieden durfte. In der Tür zum Salon begegnete er Heinrich, der ihn ansprach. »Wenn Sie gehen, sagen Sie mir’s bitte, ich möchte gern noch mit Ihnen reden.«
»Mit Vergnügen. Aber ich muß… ich habe nämlich Fräulein Rosner versprochen, sie nach Hause zu begleiten. Dann komm ich gleich ins Kaffeehaus. Auf Wiedersehen also.«
Ein paar Minuten später stand er auf der Schwarzenbergbrücke. Der Himmel war voller Sterne, die Straßen lagen weiß und still. Georg schlug den Kragen auf, obwohl es gar nicht mehr kalt war und ging hin und her. Ob aus der Detmolder Geschichte was werden wird? dachte er. Nun, ist es nicht Detmold, so ist es irgendeine andre Stadt. Jedenfalls wird es nun ernst. Und vieles, vieles wird bis dahin hinter mir liegen. Er versuchte in Ruhe zu überlegen. Wie wird das alles nur werden? Nun haben wir Ende Dezember. Im März müßten wir fort – spätestens… Man wird uns für ein Ehepaar halten. Ich werde Arm in Arm mit ihr spazieren gehen, in Rom, am Posilipp, in Venedig… Es gibt Frauen, die sehr häßlich werden in diesem Zustand… Sie nicht, nein, sie nicht… Immer hatte sie so was Mütterliches in ihrem Aussehen… Im Sommer wird sie in irgendeiner stillen Gegend wohnen, wo niemand sie kennt… Im Thüringer Wald vielleicht, oder am Rhein… Wie sonderbar sie das heute sagte: das Haus, in dem das Kind zur Welt kommen wird, das existiert schon. Ja!… Irgendwo in der Ferne, oder vielleicht auch ganz nah steht dieses Haus – und Leute wohnen drin, die wir nie gesehen haben. Wie seltsam… Wann wird es zur Welt kommen? Im Spätsommer… Anfangs September ungefähr. In dieser Zeit werde ich am Ende schon fort sein müssen. Wie werd ich das nur machen?… Und heut ein Jahr ist das kleine Wesen schon vier Monate alt. Es wird aufwachsen… groß werden. Eines schönen Tags ist ein junger Mann da, mein Sohn. Oder ein junges Mädchen. Ein schönes Mädchen von siebzehn Jahren, meine Tochter… Dann bin ich vierundvierzig… Mit sechsundvierzig kann ich Großvater sein… Vielleicht auch Direktor einer Opernbühne und ein berühmter Komponist, trotz Elses Prophezeiungen. Aber dazu muß man arbeiten, das ist schon wahr. Mehr als ich es bisher getan habe. Else hat recht, ich laß mich zu sehr gehen. Das muß anders werden… Es wird auch. Ich fühle ja, wie es in mir sich regt. Ja – auch in mir regt es sich.
Von der Heugasse her kam ein Wagen, jemand beugte sich aus dem Fenster. Unter dem weißen Shawl erkannte Georg Annas Antlitz. Er war sehr froh, stieg zu ihr ein und küßte ihr die Hand. Sie plauderten vergnügt, spotteten ein wenig über die Gesellschaft, aus der sie eben kamen, und fanden es im Grunde lächerlich, einen Abend in so leerer Weise hinzubringen. Er hielt ihre Hände in den seinen und war ergriffen von ihrer Gegenwart. Vor ihrem Hause stieg er aus und klingelte, dann trat er zu dem offenen Wagenschlag, und sie verabredeten ein Wiedersehen für den nächsten Tag. »Ich glaube, wir haben manches zu besprechen«, sagte Anna. Er nickte nur. Das Haustor wurde geöffnet, sie stieg aus dem Wagen, ließ einen innigen Blick auf Georg ruhen und verschwand im Flur.
Geliebte, dachte Georg mit einem Gefühl von Glück und Stolz. Das Leben lag vor ihm, als etwas ernst-geheimnisvolles, voll Aufgaben und Wundern.
Als er ins Kaffeehaus trat, saß Heinrich in einer Fensternische, neben ihm ein sehr junger, bartloser, grünlich blasser Mensch, den Georg schon einige Male flüchtig gesprochen hatte, in Smoking mit Samtkragen, aber mit einer Hemdbrust von zweifelhafter Reinheit. Als Georg herzutrat, sah der junge Mensch eben mit glühenden Augen von einem Heftchen auf, das er in unruhigen, nicht sehr gepflegten Händen hielt.
»O ich störe«, sagte Georg.
»Durchaus nicht«, erwiderte der junge Mann mit irrsinnigem Lachen. »Je mehr Publikum, je lieber.«
»Herr Winternitz«, erklärte Heinrich, während er Georg die Hand reichte, »liest mir eben einen Gedichtenzyklus vor. Wir werden’s vielleicht für diesmal unterbrechen.«
Georg, von dem enttäuschten Blick des jungen Mannes ein wenig gerührt, behauptete, daß er mit Vergnügen zuhören möchte, wenn es gestattet sei.
»Es dauert auch nicht mehr lange«, erklärte Winternitz dankbar. »Nur schade, daß Sie den Anfang versäumt haben. Ich könnte…«
»Ja, ist es denn zusammenhängend?« fragte Heinrich erstaunt.
»Wie, das haben Sie nicht bemerkt?« rief Winternitz und lachte wieder irrsinnig.
»Ach