Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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      Er stand vor Anna, küßte sie auf Aug’ und Mund und setzte sich an ihre Seite. Das Tier war ihm nachgeschlichen und streckte sich zu seinen Füßen hin.

      »Wie gehts, mein Schatz?« fragte er, indem er seinen Arm um ihren Nacken legte.

      Es ging ihr sehr gut, wie gewöhnlich, und heute war ein besonders schöner Tag gewesen. Seit dem Morgen schon war sie sich ganz selbst überlassen, denn Frau Golowski hatte wieder einmal in die Stadt fahren müssen, um nach den Ihren zu sehen. Es war wirklich nicht übel, manchmal so völlig allein mit sich zu bleiben. Da konnte man sich ungestört in seine Träume versenken. Es waren freilich immer dieselben, aber sie waren so hold, daß man ihrer nicht müde wurde. Von ihrem Kinde hatte sie sich träumen lassen. Wie sehr liebte sie es schon heute, noch ehe es geboren war. Nie hätte sie das für möglich gehalten. Ob Georg es denn auch verstünde?… und da er versonnen nickte, schüttelte sie den Kopf. Nein, nein… ein Mann konnte das nicht verstehen, auch der beste, der gütigste nicht. Sie fühlte ja das kleine Wesen schon sich regen, spürte das Klopfen seines zarten Herzens, fühlte diese neue unbegreifliche Seele in ihrer atmen, geradeso wie sie den neuen jungen Leib in ihrem blühen und erwachen fühlte. Und Georg sah vor sich hin, wie beschämt, daß sie dem, was nahe war, mit so viel reinern Sinnen entgegenlebte als er. Denn daß hier, von ihm gezeugt, ein Wesen wurde wie er und selbst wieder bestimmt, neuen Wesen Leben zu verleihen; daß in dem gesegneten Leib dieser Frau, nach dem ihm schon lange nicht mehr verlangte, nach ewigen Gesetzen ein Leben schwoll, das vor einem Jahre noch ein ungeahntes, ungewolltes, im Unendlichen verlorenes war und nun wie ein seit Urzeit vorherbestimmtes zum Licht empordrängte; – daß er selbst sich nun in der geschlossenen Kette von Urahnen zu Urenkeln gleichsam an beiden Händen gefaßt, unentweichbar einbezogen wußte,… von diesem Wunder fühlte er sich nicht so mächtig aufgerufen, als es fordern durfte.

      Und ernsthafter, als sie es sonst zu tun pflegten, besprachen sie heute, was nach des Kindes Geburt zu geschehen hätte. In den ersten Wochen behielt Anna es natürlich bei sich, dann mußte man es wohl zu fremden Leuten geben; jedenfalls aber sollte es ganz nahe wohnen, so daß Anna es zu jeder Zeit ohne Schwierigkeit sehen konnte.

      »Und du«, sagte sie mit einem Mal ganz leicht, »wirst du manchmal herkommen uns besuchen?«

      Er sah ihr in das verschmitzt lächelnde Gesicht, nahm ihre beiden Hände und küßte sie. »Liebste, was soll ich tun, sag selbst? Du kannst dir denken, wie schwer es mir sein wird. Aber was bleibt mir anders übrig? Es muß ein Anfang gemacht werden. Hab ich dir schon gesagt«, setzte er hastig hinzu, als wäre damit jeder Rückzug abgeschnitten, »die Wohnung ist gekündigt. Felician geht wahrscheinlich nach Athen. Ja, wenn ich dich gleich mitnehmen könnte, das wär freilich schön! Aber das ist ja leider nicht möglich, eine gewisse Sicherheit muß vor allem da sein. Ich meine, wenigstens die Sicherheit, daß ich längere Zeit an einem Ort bleibe…«

      Sie hatte ernsthaft-ruhig zugehört. Dann kam sie bedächtig-wichtig auf ihre neueste Idee zu sprechen. Er sollte nicht glauben, daß sie daran dächte, ihm alle Sorgen aufzubürden. Sie war entschlossen, sobald es sich machen ließe, eine Musikschule zu gründen. Wenn er sie noch lange allein ließe, hier in Wien; wenn er bald käme sie holen, dort, wo sie mit ihm zu Hause sein würde. Und wenn sie einmal auf eigenen Füßen stände, dann wollte sie auch ihr Kind zu sich nehmen, ob sie nun seine Frau wäre oder nicht. Sie wäre weit davon entfernt sich zu schämen, das wüßte er wohl. Sie wäre eher stolz… ja stolz, daß sie Mutter wurde!

      Er nahm ihre Hände zwischen die seinen und streichelte sie. »Es wird schon alles werden«, sagte er ein wenig bedrückt. Er sah sich plötzlich in einem sehr bürgerlichen Heim, unter dem bescheidenen Licht einer Hängelampe, beim Abendessen sitzen, zwischen Frau und Kind. Und aus dieser geträumten Familienszene wehte es ihm entgegen wie ein Hauch von sorgenvoller Langeweile. Ah, es war noch zu früh dazu, er war noch zu jung. Wie sollte es denn werden? War es denn möglich, daß sie die letzte Frau blieb, die er umarmt hätte? Vielleicht konnte sie es werden, in Jahren, in Monaten schon… aber heute noch nicht. Trug und Lüge in ein wohlgeordnetes Heim zu tragen, davor scheute er wohl zurück. Doch der Gedanke, von ihr fortzueilen zu andern, die er begehrte, mit dem Bewußtsein, Anna so wieder zu finden, wie er sie verlassen, war lockend und beruhigend zugleich.

      Der bekannte Pfiff von drüben tönte. Die Hündin erhob sich, ließ sich von Georg noch einmal über den gelb gefleckten Rücken streichen und schlich traurig ihren Weg hinab.

      »Herr Gott«, sagte Georg, »das hätte ich ja beinahe vergessen. Heinrich kann jeden Augenblick da sein.« Er erzählte Anna von seinem Besuch und verschwieg auch nicht, daß er zwischen Tür und Angel die ungetreue Schauspielerin kennen gelernt hatte.

      »Ist es ihr also gelungen?« rief Anna aus, die für Damen mit irrenden Augen keine Neigung fühlte.

      »Ich glaube nicht«, erwiderte Georg, »daß ihr irgend etwas gelungen ist. Heinrich war von ihrem Erscheinen sogar ziemlich unangenehm berührt, kam mir vor.«

      »Nun, vielleicht bringt er sie mit«, sagte Anna mit Spott, »und du hast wieder wen zum kokettieren wie in Lugano die Königsmörderin.«

      »Ach Gott«, machte Georg unschuldig, und beiläufig fügte er hinzu: »Was ist’s denn übrigens mit Therese, warum kommt sie denn gar nicht mehr zu dir? Demeter ist ja nicht mehr in Wien. Sie hätte wohl Zeit genug.«

      »Sie war erst vor ein paar Tagen da. Ich hab dir’s ja gesagt, stell dich doch nicht so.«

      »Ich hatte es wirklich vergessen«, erwiderte er mit Aufrichtigkeit. »Was hat sie dir denn erzählt?«

      »Alles mögliche. Die Geschichte mit Demeter ist aus. Ihr Herz schlägt wieder ausschließlich für die Armen und Elenden – bis auf Widerruf.« Und unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit vertraute ihm Anna Theresens Winterpläne an. Als armes Weib verkleidet, wollte sie Wanderungen durch Wärmestuben, Suppen-und Teeanstalten, Asyle für Obdachlose und Arbeitshäuser unternehmen, um einmal dem sogenannten goldnen Herzen von Wien in die verborgensten Winkel hineinzuleuchten. Sie schien gefaßt und hoffte vielleicht ein wenig darauf, Ungeheuerlichkeiten zu entdecken.

      Georg sah vor sich hin. Er erinnerte sich der eleganten Dame, im weißen Kleid, die im Sonnenglanz von Lugano vor dem Postgebäude gestanden war, fern von allem Jammer der Welt. Sonderbares Geschöpf, dachte er. »Sie will natürlich ein Buch daraus machen«, sagte Anna. »Also daß du keinem Menschen was davon erzählst, auch deinem Freund Bermann nicht.«

      »Fällt mir nicht ein. Aber sag, Anna, mußt du nicht was vorbereiten für abend?«

      Sie nickte. »Komm, begleit mich hinunter, ich will nachsehen, was da ist, und mich im übrigen mit der Marie beraten… soweit das möglich ist.«

      Sie standen auf. Die Schatten waren lang. Im Garten nebenan lärmten die Kinder. Anna nahm den Arm des Geliebten und ging langsam mit ihm hinab. Sie erzählte die neuesten Beispiele von der fabelhaften Dummheit der Magd. Ich Ehemann, dachte Georg und hörte mit Nachsicht zu. Beim Haus angelangt sprach er die Absicht aus, Heinrich entgegenzusehen, verließ Anna und begab sich auf die Straße. Da rüttelte eben ein Einspänner heran; Heinrich sprang heraus und entließ den Kutscher. »Grüß Sie Gott«, sagte er zu Georg, »haben Sie mich am Ende schon erwartet? Es ist ja noch gar nicht so spät.«

      »Gewiß nicht, Sie sind sehr pünktlich. Ist es Ihnen recht, so machen wir noch einen kleinen Spaziergang.«

      »Gern.«

      Sie spazierten weiter, vorbei an dem gelben Gasthof mit den roten Terrassen, in den Wald.

      »Hier ist’s ja wundervoll«, sagte Heinrich. »Und auch Ihre Villa sieht ganz nett aus. Warum wohnen Sie eigentlich nicht heraußen?«

      »Ja, es ist ein Unsinn«, gab Georg zu, ohne weitere Erklärungen. Dann schwiegen sie eine Weile.

      Heinrich war in hellgrauem Sommeranzug und trug auf dem Arm seinen Mantel, den er ein wenig nachschleppen ließ. »Haben Sie sie wiedererkannt?« fragte er plötzlich, ohne aufzusehen.

      »Ja«, erwiderte Georg.

      »Sie ist nur auf einen Tag hergefahren, aus ihrem Sommerengagement.


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