Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Артур Шницлер

Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band) - Артур Шницлер


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Meinung nach. Freilich, die Talente sind verschieden, und gegen gelegentliche Umstürze habe ich gewiß nichts einzuwenden. Aber unter uns, das Talent meines Sohnes liegt doch mehr auf der wissenschaftlichen Seite. Nach der andern Richtung treibt ihn mehr das Temperament… vielleicht ausschließlich die Galle. Na, wir werden ja sehen. Aber wie stehts denn mit Ihren Plänen für den Herbst?« fügte er plötzlich hinzu und sah Georg mit seinem gutmütig-väterlichen Blick an. »Wo werden Sie den Taktstock schwingen?«

      »Ja wenn ich das schon selber wüßte«, erwiderte Georg. Und während er dem Arzt, der mit halbgeschlossenen Lidern, die Zigarre im Mund, ihm zur Seite ging, in betonter Wichtigkeit von seinen Bemühungen und Aussichten erzählte, glaubte er zu fühlen, daß alles, was er sagte, von Doktor Stauber nur als Rechtfertigungsversuch für das Aufschieben seiner Verheiratung mit Anna aufgefaßt würde. Eine leichte Gereiztheit gegen sie stieg in ihm auf, die hinter ihnen herging und vielleicht ihre stille Freude daran hatte, daß er von Doktor Stauber gleichsam ins Gebet genommen wurde. Absichtlich schlug er einen immer leichtern Ton an, als hätten seine persönlichen Zukunftspläne mit Anna überhaupt nichts zu tun und sagte endlich lustig: »Ja, wer weiß wo ich im nächsten Jahr um diese Zeit bin, am Ende in Amerika.«

      »Das wäre nicht das Schlimmste«, erwiderte Doktor Stauber ruhig. »Ich habe einen Vetter, der ist Violinspieler in Boston, ein gewisser Schwarz, der verdient dort mindestens sechsmal soviel, als er hier an der Oper gehabt hat.«

      Georg liebte es nicht, mit Violinspielern namens Schwarz verglichen zu werden und behauptete daher mit einer Bestimmtheit, die er selbst als übertrieben empfand, daß es ihm für den Anfang überhaupt nicht aufs Geldverdienen ankäme. Plötzlich, er wußte nicht, woher der Gedanke ihm kam, fuhr es ihm durch den Sinn: Wenn Anna stirbt!… Wenn das Kind ihr Tod wäre! Er erschrak aufs tiefste, als hätte er mit diesem Gedanken eine Schuld auf sich geladen. Und im Geist sah er Anna daliegen, das Bahrtuch bis übers Kinn gezogen, und sah das Licht des Tags und der Kerzen über ihr wachsbleiches Antlitz rinnen. Angstvoll beinahe wandte er sich um, wie um sich zu vergewissern, daß sie da war und lebte. Im Dunkel verschwammen ihm die Züge ihres Gesichts, was ihn erschauern machte. Er blieb mit dem Doktor stehen, bis Anna mit Heinrich herangekommen war. Er war glücklich, sie so nah zu haben. »Jetzt wirst du aber doch schon müd sein«, sagte er zu ihr in zärtlichstem Tone.

      »Mein Pensum hab ich allerdings für heute redlich absolviert«, erwiderte sie. »Im übrigen«, und sie wies zur Veranda hin, wo auf dem gedeckten Tisch die Lampe mit dem grünen Papierschirm stand, »wird auch das Nachtmahl gleich da sein. Es wär hübsch, Herr Doktor, wenn Sie bei uns blieben, ja?«

      »Leider, liebes Kind, ist es mir nicht möglich. Ich sollte schon längst wieder in der Stadt sein. Grüßen Sie die Frau Golowski von mir. Auf Wiedersehen. Adieu Herr Bermann. Na«, fügte er hinzu, »wird man bald wieder etwas Schönes von Ihnen zu hören oder zu lesen bekommen?«

      Heinrich zuckte die Achseln, lächelte gesellschaftlich und schwieg. Warum, dachte er, werden sogar die besterzogenen Menschen meistens taktlos, wenn sie mit unsereinem zusammenkommen? Frag ich ihn nach seinen Angelegenheiten?

      Der Arzt sprach noch mit einigen Worten Heinrich seine Teilnahme an des alten Bermann Tod aus. Er erinnerte sich an dessen berühmt gewordene Rede gegen die Einführung der tschechischen Gerichtssprache in gewissen böhmischen Bezirken. Damals war es an einem Haar gehangen, daß der jüdische Provinzadvokat Justizminister geworden wäre. Ja, die Zeiten hatten sich geändert.

      Heinrich horchte auf. Das ließ sich am Ende für die politische Komödie verwenden.

      Doktor Stauber verabschiedete sich, Georg begleitete ihn zum Wagen, der draußen wartete, und benutzte die Gelegenheit, einige Fragen medizinischer Natur an den Arzt zu richten. Dieser konnte ihn in jeder Hinsicht beruhigen. »Nur schade«, schloß er, »daß die Umstände es Anna nicht gestatten, das Kind selbst zu stillen.«

      Georg stand gedankenvoll. Ihr konnte es doch nicht schaden?… Höchstens dem Kind. Oder auch ihr?… Er fragte den Arzt.

      »Was sollen wir davon reden, wenn es ja doch nicht geht, lieber Baron. Na, machen Sie sich keine Sorgen«, setzte er hinzu und hatte den einen Fuß schon auf dem Wagentritt. »Um das Kind von Ihnen beiden braucht einem nicht bang zu sein.«

      Georg blickte ihm fest ins Auge und sagte: »Ich werde jedenfalls dafür Sorge tragen, daß es seine ersten Lebensjahre in gesunder Luft zubringt.«

      »Das ist ja sehr schön«, sagte Doktor Stauber mild. »Aber gesündere Luft als im Elternhaus gibts im allgemeinen für Kinder nirgends auf der Welt.« Er reichte Georg die Hand, und der Wagen rollte davon.

      Georg blieb einen Augenblick stehen, fühlte eine lebhafte Verstimmung gegen den Arzt und gab sich selbst das Versprechen, es nie wieder zu Gesprächen mit ihm kommen zu lassen, die diesem gewissermaßen das Recht gaben, ungebetene Ratschläge oder gar versteckte Vorwürfe vorzubringen. Was wußte der alte Mann? Was verstand er im Grunde von der Sache? Immer heftiger wehrte es sich in Georg. Wann es mir beliebt, sagte er bei sich, werde ich sie heiraten. Könnte sie übrigens nicht das Kind bei sich behalten? Hat sie nicht selbst gesagt, daß sie stolz darauf sein wird, ein Kind zu haben? Ich will es ja auch nicht verleugnen. Und ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht. Und später, später einmal… Aber ich beginge ein Unrecht an mir, an ihr, an dem Kind, wenn ich mich heut schon zu etwas entschlösse, wofür es zum mindesten noch zu früh ist.

      Langsam war er an der Schmalseite des Hauses vorbei in den Garten spaziert. Auf der Veranda sah er Anna und Heinrich sitzen. Eben kam die Marie aus dem Haus, sehr rot im Gesicht, und setzte auf den Tisch eine warme Schüssel, von der der Dampf aufstieg. Wie ruhig Anna dasitzt, dachte Georg, und blieb im Dunkel stehen. Wie wohlgelaunt, wie sorgenlos, als könnte sie mir völlig vertrauen. Als gäbe es nicht Tod, Armut, treuloses Verlassen. Als liebte ich sie so, wie sie es verdient! Und wieder erschrak er. Lieb ich sie denn weniger? Darf sie mir denn nicht vertrauen? Wenn ich dort oben auf der Bank am Waldesrand sitze, quillt manchmal soviel Zärtlichkeit in mir auf, daß ich vergehen möchte. Warum spür ich jetzt so wenig davon? Er stand nur wenige Schritte entfernt, sah, wie sie verteilte; dann, wie sie ins Dunkel hineinstarrte, aus dem er kommen mußte, und wie ihre Augen zu leuchten begannen, als er plötzlich ins Licht trat. Einzig Geliebte! dachte er. Wie er dann bei den andern saß, sagte Anna: »Du hast ja mit dem Doktor eine so lange Konferenz gehabt.«

      »Keine Konferenz, wir haben geplaudert. Auch von seinem Sohn hat er mir erzählt, der bald wieder zurückkommt.«

      Heinrich fragte nach Berthold. Der junge Mann interessierte ihn, und er hoffte sehr, ihn im nächsten Winter kennen zu lernen. Die Rede voriges Jahr über den Fall Therese Golowski und dann der offene Brief an seine Wähler, in dem er die Gründe seines Rücktrittes dargelegt hatte, das waren Leistungen hohen Ranges gewesen… Ja und mehr als das – Dokumente der Zeit.

      Über Annas Antlitz flog ein leichtes, beinahe stolzes Lächeln. Sie sah auf ihren Teller nieder und dann rasch zu Georg auf. Auch Georg lächelte. Keine Spur von Eifersucht regte sich in ihm. Ob Berthold ahnte…? Gewiß. Ob er litt?… Wahrscheinlich. Ob er Anna verzeihen könnte? Daß man da erst verzeihen mußte! Wie dumm.

      Ein Gericht Schwämme wurde aufgetragen, bei dessen Erscheinen Heinrich die Frage nicht unterlassen konnte, ob sie etwa giftig wären. Georg lachte.

      »Sie brauchen mich nicht zu verhöhnen«, sagte Heinrich. »Wenn ich mich umbringen wollte, würde ich weder vergiftete Schwämme, noch verdorbene Wurst, sondern ein edleres und rascheres Gift wählen. Man ist zuweilen lebensüberdrüssig, aber man ist nie gesundheitsüberdrüssig, selbst für die letzte Viertelstunde seiner Existenz. Und im übrigen ist die Ängstlichkeit eine ganz rechtmäßige, nur meistens schändlich verleugnete Tochter des Verstandes. Denn was heißt Ängstlichkeit? Alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, die aus einer Handlung erfolgen können, die schlimmen geradeso wie die guten. Und was ist Mut? Ich meine natürlich den wirklichen, der viel seltener vorkommt, als man glaubt. Denn der affektierte, oder kommandierte, oder suggerierte Mut zählt doch nicht. Der echte Mut ist oft gewiß nichts anderes als der Ausdruck für eine sozusagen metaphysische Überzeugung von der eigenen Überflüssigkeit.«

      Du Jude, dachte Georg ohne Feindseligkeit,


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