Sophienlust Staffel 8 – Familienroman. Diverse Autoren
brummte er und küßte sie heiß.
Pia fuhr zuerst nach Hause, um sich für diesen Abend besonders schön zu machen. Guido begleitete sie bis zu ihrem Appartement, das sich in einem Hochhaus in Schwabing befand.
Im Lift küßte er sie leidenschaftlich.
»Wenn das die Ouvertüre zum ersten Akt sein soll, muß ich dich enttäuschen, mein Lieber«, meinte sie lachend und befreite sich von ihm, als der Fahrstuhl im sechsten Stockwerk stehenblieb. »Wir müssen unbedingt die Verabredung einhalten.« Sie warf ihm einen rätselvollen Blick zu und schloß dann die Wohnungstür auf.
Das Appartement bestand aus einem großen Zimmer mit einer Schlafnische. Weiße Ledersessel statteten den Raum aus. Ein tiefroter Vorhang verbarg die Nische, in der ein französisches Bett stand. Von der Diele aus führte eine Tür in die Küche und eine andere ins Bad, das hellblau gekachelt war.
Pia verschwand im Badezimmer, um sich zu duschen. Sie wählte danach ein grasgrünes Minikleid, das mehr als auffallend war und beinahe ordinär wirkte.
Guido, der sich inzwischen in der Bar bedient hatte, blickte seine Geliebte mißbilligend an, als diese sich vorstellte.
»Mach’ kein so verdrießliches Gesicht«, sagte sie. »Alex hat mich ausdrücklich gebeten, ein auffallendes Kleid anzuziehen, damit ich diesem Herrn Kunze gefalle. Wir wollen doch durch ihn verdienen.« Sie zündete sich eine Zigarette an.
»Untersteh’ dich, mit diesem Kerl zu flirten«, knurrte Guido gereizt. »Ich gehöre nicht zu den Männern, die ihre Frauen als Köder benutzen.«
»Sei doch nicht so entsetzlich spießbürgerlich!« rief sie verärgert. »Alles für das Geschäft! Selbst Könige und Kaiser haben ihre Politik im Bett ihrer Mätressen gemacht.«
»Du hast aber auch auf alles eine Antwort, Pia. Also, dann gehen wir.«
Er faßte sie so fest am Arm, daß sie einen empörten Schmerzensschrei ausstieß. »Du tust mir ja weh!« rief sie und befreite sich mit einem Ruck von ihm. »Manchmal bist du wirklich richtig brutal.«
»Du kannst einen aber auch bis zum Wahnsinn reizen«, knurrte er.
Sie warf ihm einen verachtungsvollen Blick zu und verschwand dann hinter dem Vorhang. Wenige Sekunden später erschien sie mit einer leichten Wolljacke über den Schultern und ihrer weißen Handtasche. »So, jetzt können wir gehen«, erlaubte sie gnädigst.
Guido war noch immer verärgert. Plötzlich dachte er so intensiv an seine Frau, daß er deutlich ihr schmales Gesicht mit den großen tiefblauen Augen und ihr zärtliches Lächeln vor sich sah. Auch glaubte er ihre weiche Stimme zu hören. Danach wandten sich seine Gedanken seinen Kindern zu, die er seit vielen Wochen nicht mehr gesehen hatte.
Doch Pia ließ ihm keine Zeit für weitere sentimentale Anwandlungen. Sie hakte sich bei ihm unter, als sie die Straße überquerten, um ins Auto einzusteigen. Ihre Nähe erregte ihn immer wieder aufs neue, so daß er jetzt nur noch an sie dachte.
*
Ängstlich saßen die Kinder im Gartenpavillon, der ihnen bei schlechtem Wetter als Spielzimmer diente, und lauschten auf das heftige Gewitter, das über das Land tobte. Der Sturm bog die hohen alten Bäume, riß Zweige ab und fuhr fauchend durch Büsche und Sträucher. Donner und Blitz wechselten einander in kurzen Abständen ab. Wolfgang Rennert, der Zeichen- und Musiklehrer von Sophienlust, tat alles, um die verängstigten Kinder abzulenken. Nick, der älteste in der Schar, unterstützte ihn darin. Der Junge war alt genug und dementsprechend vernünftig, um schon zu wissen, daß die Blitz-ableiter auf dem Herrenhaus und auf dem Gartenpavillon genügend Schutz boten.
Die Dogge Anglos schmiegte sich zitternd an ihren kleinen Herrn Fabian, und Barri war unter den Basteltisch gekrochen und hielt die Augen fest geschlossen.
Schwester Regine hatte die kleine Heidi, ihren besonderen Liebling, auf den Knien. Carola, die junge Frau von Wolfgang Rennert, streichelte beruhigend über den dunklen Kopf des kleinen Mathias, der sich furchtsam an sie preßte.
Pünktchen wagte es endlich, aufzustehen, um sich neben Nick zu stellen, der aus einem der hohen schmalen Fenster in das Unwetter hinausblickte. »Glaubst du nicht, daß wir lieber ins Herrenhaus laufen sollten?« fragte sie.
»Im Augenblick ist das noch unmöglich, Pünktchen. Aber du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Es schlägt ganz bestimmt nicht hier ein.«
Peter Heidenreich und Kuni saßen dicht aneinandergedrängt auf der weißen Holzbank und wisperten miteinander. Der Junge erklärte, er habe keine Angst. Nick habe recht. Ein Blitzableiter biete Schutz und Sicherheit.
»Glaubst du das wirklich, Peter?« fragte Kuni und unterdrückte gewaltsam die Tränen, die ihr in die Augen schießen wollten. In den letzten Tagen hatten sie keine Minute Heimweh gehabt, doch nun überfiel es sie so heftig, daß sie leise vor sich hin weinte.
»Hört mal!« rief Angelika. »Da piepst doch was.«
»Tatsächlich«, stimmte Vicky ihr bei, was nur sehr selten vorkam. Meistens war sie anderer Meinung als ihre ältere Schwester.
»Das ist bestimmt irgendein Tier«, stellte Fabian aufgeregt fest. »Ob ich mal hinausschaue?« fragte er unsicher, denn auch er fürchtete sich vor dem heftigen Donner und den grellen Blitzen.
»Laß nur, ich mach’ das schon«, bot Nick sofort an. Er lief zur Tür und öffnete sie. »O je!« rief er dann, hockte sich nieder und nahm ein völlig durchnäßtes Entenküken zwischen beide Hände.
»Zeig! Was hast du da?« Aufgeregt umringten die Kinder ihn.
»Ein Entenküken. Es muß sich verlaufen haben.« Nicks Blick fiel auf Kuni, die schluchzend auf der Bank saß. »Kuni, komm doch mal her«, forderte er die Kleine auf.
Das Mädchen zog nur widerwillig die Hände vom Gesicht fort und sah den großen Jungen aus verweinten Augen an. Doch als es das gelbe Küken erblickte, erhob es sich und kam näher. »Ob es friert?« fragte es mitfühlend.
»Das glaube ich weniger. Enten sind doch Wasservögel. Aber es scheint sich sehr zu fürchten. Willst du es mal nehmen?«
»O ja.« Kuni lächelte ihn selig unter Tränen an. Ihr Heimweh war verschwunden. Behutsam nahm sie das Küken, das noch immer jämmerlich piepste. »Sei ganz ruhig«, redete sie dem Tierchen zu. »Ich tue dir ja nichts. Ob ich es behalten darf?« fragte sie.
»Dann würde seine Mutter bestimmt traurig sein«, meinte Schwester Regine. »Wahrscheinlich sucht sie ihr Kind schon verzweifelt. Doch vorläufig darfst du das Küken behalten«, fügte sie schnell hinzu, als die Lippen der Kleinen zu zittern begannen.
Kuni nickte und streichelte über das winzige pflaumenweiche Köpfchen.
Dieses kleine Intermezzo hatte die Kinder von dem Unwetter abgelenkt. Erstaunt stellten sie fest, daß es kaum noch donnerte. Dafür prasselte nun ein heftiger Regen nieder, der das ganze Land zu überschwemmen schien.
»Wenn wir doch nur Regenschirme hätten«, seufzte Carola. »Dann könnten wir wenigstens zum Herrenhaus hinüberlaufen.«
»Rettung naht!« rief Nick in diesem Augenblick übermütig und deutete auf das Hausmädchen Ulla und den Chauffeur Hermann, die beide Regenschirme und Regenmäntel brachten.
Kurz darauf liefen die Kinder und Erwachsenen zum Herrenhaus hin-über, das sie einigermaßen trocken erreichten. Ängstlich hielt Kuni ihr Küken fest, damit es ihr nicht entwischte und sich vielleicht noch einmal verlief.
Aufatmend betraten alle die große Halle. Im Kamin prasselte ein anheimelndes Feuer, denn um diese Jahreszeit kohlte es sich nach einem solchen Wetter meist stark ab.
Auf Kuni und Mathias wartete noch eine freudige Überraschung. Ingrid hatte sich nach ihrer bitteren Enttäuschung mit ihrem Mann einige Tage Urlaub genommen. Diesen wollte sie zusammen mit ihren Kindern in Sophienlust verbringen. Doch sie hatte Frau Rennert, mit der sie zuvor telefonisch gesprochen hatte, um ihren Besuch anzukündigen, gebeten, Kuni und Mathias nichts davon zu erzählen.