Reise im Glück. Barbara Cartland
Und in diesen Dingen war er eigen.
Daß er London schon um die Mittagszeit verlassen und um Mitternacht, kurz vor Auslaufen der Etruria, in Liverpool an Bord gehen konnte, verdankte Lord Harleston, der immer die prompte Erledigung aller Anordnungen erwartete, ebenfalls seinem Sekretär. Mr. Watson hatte es im Laufe der Zeit in dieser Hinsicht zu wahrer Perfektion gebracht.
Die Atlantiküberquerung würde mindestens zehn Tage in Anspruch nehmen, ein Umstand, der Lord Harlestons schlechte Laune nicht gerade hob, doch hatte sein Freund Robert ihm zum Abschied die tröstlichen Worte mitgegeben: »Selby, du mußt dir vor Augen halten, daß sämtliche Unannehmlichkeiten, die dir begegnen mögen, in vier bis fünf Monaten ausgestanden sein werden, während eine Ehe meist ein Leben lang dauert.«
Lord Harleston hatte es mit Schaudern vernommen. Daneben beschäftigte ihn die Frage, was der Prince of Wales von ihm halten würde, wenn er erfuhr, daß er die Flucht ergriffen hatte.
Mit Roberts Hilfe hatte er es jedoch so eingerichtet, daß seine Abreise wie ein Zufall aussah und keineswegs als Versuch, dem königlichen Befehl zu entgehen.
Zu diesem Zweck hatte er der Countess of Derwent einen, wie er hoffte, klugen Brief geschrieben. Dies hatte sich geradezu angeboten, da der Butler ihm eine Nachricht der Countess übergeben hatte, als er noch mit Robert beim Frühstück saß. Ein Blick auf das lilafarbene Papier und die Handschrift, die bereits Dutzende von Briefbögen in seiner Schreibtischlade bedeckte, und Lord Harleston wollte abwinken, als ein Blick seines Freundes ihn nach dem Brief greifen ließ.
Kaum war der Butler gegangen, sagte Robert: »Ich würde ihn öffnen.«
»Warum?«
»Es wäre interessant zu erfahren, ob sie schon weiß, daß der Prinz mit dir gesprochen hat.«
»Ja, natürlich.«
Lord Harleston öffnete den Umschlag, las den Brief und sagte: »Das Schreiben enthält nichts Sensationelleres als eine Dinner Einladung für heute abend.«
Daß der Brief auch Beteuerungen ihrer Liebe enthielt, erwähnte er nicht, denn das ging Robert schließlich nichts an.
»Sehr gut!« rief Robert aus. »Damit liefert sie uns den Anlaß, den wir brauchen.«
»Wie meinst du das?«
»Du mußt ihr mitteilen, daß du England verläßt. Einfach so zu verschwinden wäre ein Fehler.«
Lord Harleston gab ihm nach kurzer Überlegung recht.
»Stimmt«, sagte er. »Komm mit in mein Arbeitszimmer und sag mir, was ich schreiben soll.«
Als schließlich der Brief fertig vorlag, hielten ihn beide für ein wahres Meisterwerk.
Meine liebe Dolly,
zu meinem tiefsten Bedauern kann ich Deine liebenswürdige Einladung nicht annehmen, da ich überraschend davon in Kenntnis gesetzt wurde, daß ein in Amerika lebendes Mitglied meiner Familie in große Schwierigkeiten geraten ist.
Dies bedeutet, daß ich heute nach New York abreise, um nach dem Rechten zu sehen und zu helfen.
Ich bedaure sehr, daß keine Zeit mehr für einen Besuch bleibt, um von Dir Abschied zu nehmen und mir Gute Reise wünschen zu lassen. Eine weitere Enttäuschung bedeutet es für mich, daß ich meine Partys in Derby und Ascot absagen muß.
Mit besten Wünschen
Selby.
»Ausgezeichnet!« lautete Roberts Kommentar. »Besonders raffiniert erscheint es mir, daß du unausgesprochen läßt, ob das Mitglied deiner Familie männlichen oder weiblichen Geschlechts ist.«
»Was Dolly vermuten wird, weiß ich«, erwiderte Lord Harleston, »aber sie wird es nicht beweisen können.«
Er klingelte und ließ Mr. Watson kommen, worauf sich die Rädchen der Harleston-Maschinerie, wie Robert es nannte, zu drehen begannen.
In den nächsten Stunden packte der Kammerdiener Seiner Lordschaft mit Hilfe einiger anderer Bediensteten die Koffer, Mr. Watson legte ihm einen Stapel Briefe und Papiere vor, die zu unterzeichnen waren, und Robert bekam genaue Anweisungen, was er während der Abwesenheit des Freundes zu tun hatte.
»Meine Loge im Derby steht dir selbstverständlich zur Verfügung«, sagte Lord Harleston. »Ebenso die Loge in Ascot. Du mußt aller Welt zeigen, daß du keineswegs als mein Stellvertreter agierst, sondern zu deinem eigenen Vergnügen da bist.«
»Manche werden sich wundern, daß ich mir dieses Vergnügen leisten kann«, meinte Robert mit einem Anflug von Spott.
»Du mußt ihnen, und besonders dem Prinzen, zu verstehen geben, daß meine überstürzte Abreise mich sehr verärgert hat. Über den Termin meiner Rückkehr sollst du alle im Unklaren lassen.«
»Und wann gedenkst du tatsächlich zurückzukommen?«
»Sobald du mir mitteilst, daß Dolly ihre Gunst einem anderen geschenkt hat«, antwortete Lord Harleston, »und auch der Prinz vergessen hat, daß ich mich ihm widersetzte.«
»Ich glaube, du wirst ihm fehlen.«
»Das hoffe ich. Das bedeutet nämlich, daß er meine Rückkehr mit Ungeduld erwartet. Und ich versichere dir, Robert, daß ich ebenso ungeduldig sein werde.«
»Vielleicht gefällt es dir drüben!«
»Ich habe nie auch nur den leisesten Wunsch verspürt, Amerika zu besuchen. Obwohl einige Amerikaner aus unserem Bekanntenkreis nette Leute sind und die Frauen überaus attraktiv, hatte ich immer das Gefühl, Europa und nicht der Wilde Westen sei meine geistige Heimat.«
»Na, man kann nie wissen. Vergiß nicht, in New York die Vanderbilts zu besuchen. Als sie vergangenes Jahr hier gewesen sind, haben sie dich sehr herzlich eingeladen - meiner Meinung nach fast aufdringlich - doch deine Antwort war ausweichend.«
»Besuchen werde ich sie«, erklärte Lord Harleston, »aber bevor ich ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehme, möchte ich mich bei ihnen erst umsehen.«
Robert lächelte. Er wußte, Lord Harleston war nicht nur überaus wählerisch, was seine engsten Freunde betraf, er legte auch großen Wert darauf, mit Bekannten, die ihm nicht so nahestanden, keinen zu freundschaftlichen Umgang zu pflegen. William Henry Vanderbilt, Sohn des drei Jahre zuvor verstorbenen Cornelius, war ihm persönlich sehr sympathisch gewesen.
Dieser William Henry Vanderbilt, dessen Äußerung: »Verdammt sei die Öffentlichkeit!« immer wieder zitiert wurde, war nun Präsident der New York Central und der reichste Mann der Welt.
Anläßlich Vanderbilts letzter Europareise hatte Robert dessen Gesellschaft sehr genossen, obschon er sich die zynische Bemerkung nicht verkneifen konnte: »Leider färbt die goldene Aura der Reichen nur selten auf jene ab, mit denen sie Umgang haben.«
»Du wirst entdecken, daß du in New York ziemlich viele Leute kennst«, fuhr Robert fort. »Aber vergiß nicht, daß du eigentlich nach Colorado wolltest. Ich möchte später deine Meinung über das Land hören . . . schade, daß ich nicht mitkommen kann.«
»Wenn ich die Einsamkeit nicht ertrage, lasse ich dich nachkommen.«
»Nichts wäre mir lieber«, gestand Robert, »aber du weißt, daß ich meinen Vater nicht allein lassen kann. Die Ärzte sagen, er könne jeden Augenblick sterben.«
»Das tut mir leid«, sagte Lord Harleston voller Mitgefühl.
»Es wäre das Beste, was geschehen könnte«, seufzte Robert. »Die meiste Zeit hat er keine Ahnung, was um ihn herum geschieht, oder er hat unerträgliche Schmerzen.«
»Ich kann nur hoffen, daß mir dies nie passiert!« rief Lord Harleston aus. »Da ziehe ich einen raschen und unkomplizierten Tod durch eine Kugel vor.«
»Ich denke ähnlich darüber«, gab Robert ihm recht.
Da