Reise im Glück. Barbara Cartland
ihn zum Bahnhof und legte ihn dem Stationsvorsteher ausdrücklich aus Herz.
In dem Expreßzug nach Liverpool, der nahezu astronomische Geschwindigkeiten zu erreichen imstande war, hatte man für ihn ein Abteil reserviert.
Nachdem er sich von seinem Sekretär verabschiedet hatte, machte Lord Harleston es sich so bequem wie nur möglich.
In seinem Abteil lagen zahlreiche Zeitungen und Magazine für ihn bereit, dazu ein Proviantkorb, bei dessen Zusammenstellung sich der Koch selbst übertroffen hatte, und einige Flaschen Wein.
Hätte mehr Vorbereitungszeit zur Verfügung gestanden, Lord Harleston wäre natürlich in seinem eigenen Salonwagen gereist, der an den Zug angehängt werden konnte. So aber mußte er sich mit dem Abteil begnügen, während Kammerdiener und Gepäck im Nachbarabteil reisten.
Da ihn die vorangegangene sorgenvolle Nacht sehr erschöpft hatte, verbrachte Lord Harleston einen Teil der Fahrt schlafend. Bei der Ankunft in Liverpool wurde er vom Stationsvorsteher empfangen. Der Mann führte ihn zu zwei bereitstehenden Wagen, die ihn zu den Docks brachten, wo er an Bord der Etruria gehen sollte. Dort wurde ihm ein Empfang zuteil wie einem Mitglied der königlichen Familie.
Die Cunard-Gesellschaft verstand es, den Passagieren das Gefühl zu vermitteln, höchst willkommene Gäste zu sein, besonders denjenigen, die einen Adelstitel vorzuweisen hatten.
Ebenso war man entschlossen, Vergleiche mit den höchst unbequemen Atlantiküberquerungen der ersten Cunard-Schiffe gar nicht erst aufkommen zu lassen. Damals, als diese Schiffe noch die Größe von Ausflugsdampfern hatten und Schaufelrad und Maschinen mittschiffs den größten Raum einnahmen, blieb für Passagiere nur vorne und achtern Raum, genau dort, wo man das Schlingern am meisten spürte.
Lord Harleston mußte unwillkürlich an Charles Dickens’ Beschreibung der winzigen Kabine denken, die er und seine Frau bei der ersten Amerikatournee benutzt hatten.
Beim Betreten der Kabine fand Dickens zwei Etagenbetten vor, von denen das obere sich als nahezu unzugänglich präsentierte und ihn zu der Äußerung bewog: »Nur ein Sarg wurde als noch kleinere Schlafgelegenheit ersonnen.«
Eines allerdings hatte die Etruria nicht aufzuweisen, nämlich einen speziellen Deck-Aufbau mit gepolsterten Wänden für die Schiffskuh, die auf Dickens’ Schiff Milch für Frauen, Kinder und Kranke lieferte.
Higgins, Lord Harlestons Kammerdiener, der ihn oft auf Reisen begleitete, hatte in kürzester Zeit alles ausgepackt, was auf der Überfahrt gebraucht wurde, während das übrige Gepäck unter Deck verschwand. In der Salonkabine standen, wie von Zauberhand für Seine Lordschaft bereitgestellt, zwei Karaffen, eine mit Sherry und eine mit Brandy, in einem Eiskübel daneben eine Flasche seines Lieblingschampagners.
Mr. Watson hatte Lord Harleston auch mit Lektüre versorgt. Unter den Büchern befand sich unter anderem ein Reiseführer für Amerika, wie Seine Lordschaft belustigt zur Kenntnis nahm. Schließlich standen in einer Vase sogar Malmaison-Nelken, die Lord Harleston jedoch leider sehr stark an Dolly erinnerten. Die Blumen stammten aus den Gewächshäusern seines Landgutes.
»Werden Sie unten speisen, Mylord?« fragte Higgins.
Lord Harleston überlegte kurz.
»Ich glaube, heute werde ich allein dinieren«, sagte er. »Den Speisesaal werde ich mir morgen ansehen.«
Von seinen bisherigen Seereisen, die ihn in den Orient geführt hatten, wußte Lord Harleston, daß der erste Abend an Bord immer kritisch war.
Traditionsgemäß erschienen die Damen am ersten Abend nach dem Auslaufen nicht in Abendkleidung, und außerdem war es ratsam, seinen Platz an einem der Tische im Salon in aller Ruhe auszuwählen.
Er konnte zu Recht erwarten, am Kapitänstisch einen Platz zu finden. Sollte sich dies aber als langweilig erweisen, würde er einen Tisch für sich allein verlangen.
Auf jeden Fall war es besser, abzuwarten und zu sehen, was sich ergeben würde.
Die Mahlzeit, die ihm in der Kabine serviert wurde, war ausgezeichnet, ebenso der Service, der von Higgins überwacht wurde.
Kaum aber war er allein, da sein Kammerdiener sich für die Nacht zurückgezogen hatte, überfielen ihn Einsamkeit und Heimweh. Hatte er sich zwar am Abend zuvor in Marlborough House gelangweilt, so war ihm doch ein glanzvoller Eindruck zurückgeblieben . . . schöne Frauen, die unter Kristalllüstern tanzten, Herren, die über eine witzige Bemerkung des Marquis de Soveral lachten.
Dies alles war einem unfreiwilligen Aufbruch vorzuziehen, an dem allein Dolly schuld war. Daß sie sich an Prinzessin Alexandra gewandt und ihm Schwierigkeiten gemacht hatte, würde er ihr nie verzeihen.
»Verdammte Frauenzimmer!« stieß er hervor. »Aus mir wird noch ein richtiger Frauenhasser!«
Insgeheim wußte er aber, wie unwahrscheinlich dies war. Gleichzeitig hoffte er, es würde längere Zeit verstreichen, ehe er sich wieder für ein weibliches Wesen interessierte.
Er zwang sich, seine Gedanken auf seine Pferde zu lenken. Doch immer wieder kehrte die Erinnerung an die Frauen zurück, die während der vergangenen fünf Jahre Teil seines Lebens gewesen waren.
Und es waren sehr viele, wie er voller Unbehagen feststellte. Noch beunruhigender war der Umstand, daß es keiner gelungen war, sich tiefer in sein Gedächtnis einzugraben.
Natürlich waren sie schön und amüsant gewesen, und er hatte seinen und ihren Ruf bei diesen Affären aufs Spiel gesetzt.
Warum wohl wollte ihm der Ausspruch jenes zynischen Franzosen nicht aus dem Sinn gehen, der gesagt hatte: »In der Nacht sind alle Katzen grau«, und je länger er darüber nachdachte, desto treffender erschien ihm diese Feststellung.
Ich werde nie heiraten, schwor er sich, während ihm gleichzeitig bewußt war, daß er diesen Entschluß wahrscheinlich nicht würde halten können.
Natürlich würde er eines schönen Tages heiraten müssen, da er einen Sohn und Erben brauchte, der nicht nur seinen Titel fortführte, der ihm verhältnismäßig wenig bedeutete, sondern die lange Tradition der Harles fortsetzte, die seit den Tagen Charles’ II das Herrenhaus in Buckinghamshire bewohnten.
Viele seiner Vorfahren hatten dem Land gedient und dem Namen der Familie einen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert.
Verdammt nochmal, ich bin stolz auf das Blut, das in meinen Adern fließt! dachte Lord Harleston mit einem Anflug von Trotz.
Dies bedeutete aber, daß er früher oder später wie so viele Männer vor ihm sich dem Zwang beugen und heiraten mußte, und sei es auch nur, um Söhne und Enkel in die Welt zu setzen, ehe seine Zeit ablief.
Nun, dafür hatte er noch lange Zeit, entschied er. Da er müde war und sich langweilte, begab er sich nach nebenan in die Schlafkabine und ging zu Bett.
Er schlief erstaunlich gut. Als er erwachte, war die See aufgewühlt. Folglich würden die meisten Passagiere unter Deck bleiben, und er konnte ungestört seine Sportübungen machen, wie er zufrieden feststellte.
Er hatte immer Seetüchtigkeit bewiesen, obwohl er Stürme in der Biskaya, den Mistral im Mittelmeer und einen unangenehmen Taifun im Chinesischen Meer miterlebt hatte. Lord Harleston dachte nicht daran, seinen Frühsport, den er absolvierte, wo immer er sich aufhielt, ausfallen zu lassen.
In London wie auch auf dem Land pflegte er allmorgendlich auszureiten. Im Winter ging er eifrig auf die Jagd, während er sich im Sommer in Hurlingham als ausgezeichneter Polospieler hervortat. Daneben hielt er sich einen Tennistrainer und boxte hin und wieder ein paar Runden mit den Armee-Champions, da er während seiner Zeit beim Militär entdeckt hatte, daß er kein schlechter Boxer war.
Nach dem Frühstück, das ihm Higgins sehr zeitig servierte, unternahm er einen Spaziergang auf Deck und ließ sich von den Brechern nicht stören, die den Bug überspülten.
Wie erwartet, hatten nur wenige Passagiere den Mut, diesem Wetter zu trotzen.
Nach einer Stunde eisernen Trainings zog Lord Harleston