Reise im Glück. Barbara Cartland
in Anspruch genommen. Als er dann hinunter zum Mittagessen in den Salon ging, sah er sich hoffnungsvoll nach einer verwandten Seele um, mit der eine Bekanntschaft sich gelohnt hätte.
Er sollte enttäuscht werden.
Viele der Herren sahen aus wie Vertreter oder Geschäftsleute, und die Frauen waren besonders unscheinbar - kurzum, er entdeckte niemanden, mit dem er sich eine Unterhaltung gewünscht hätte.
Lord Harleston war nicht der Typ, der gern mit Fremden an der Bar trank, und eine Kartenpartie oder ein anderes Gesellschaftsspiel kam für ihn an Bord eines Schiffes nicht in Frage.
Als wolle die Cunard-Linie wettmachen, daß sie anregende Gesellschaft nicht garantieren konnte, bot sie den Passagieren der Ersten Klasse einen Service, der zehn Mahlzeiten am Tag umfaßte.
Der Tag begann mit Trauben und Melonen. Dann kam das Frühstück, das alles nur Erdenkliche bot, wie es allgemein hieß. Um elf folgte eine Tasse Bouillon, und zu Mittag wurden auf den Decks Sandwiches serviert.
Am Nachmittag zwischen Tee und Dinner gab es Eis, Kaffee und Gebäck. Dieser kulinarische Marathon endete um neun Uhr mit dem Abendessen.
Da Lord Harleston sein Gewicht halten wollte, um seine Pferde in den Rennen selbst reiten zu können, war er ein maßvoller Esser und hielt nichts davon, sich den Gaumenfreuden im Übermaß hinzugeben.
An Bord gab es nichts, was ihn aus seiner Langeweile hätte reißen können. So war er sehr erleichtert, als das Schiff nach zehn Tagen in den Hafen von New York einlief und er einen ersten Blick auf die vor kurzem aufgestellte Freiheitsstatue werfen konnte.
Trotz seiner lauen Reaktion auf Roberts Vorschlag, die Vanderbilts zu besuchen, hatte er Mr. Watson angewiesen, ihnen seine Ankunft telegrafisch anzukündigen. Daher war er nicht weiter erstaunt, als ihn sofort nach dem Anlegen des Schiffes ein Sekretär Mr. Vanderbilts begrüßte und ihm mitteilte, daß ein Wagen bereitstünde, um ihn in die 52nd Street West zu bringen.
Er nahm die Einladung dankbar an, da er das Alleinsein gründlich satt hatte. Der äußerst komfortable Wagen war mit einem offenen Verdeck ausgestattet. So konnte Lord Harleston die Aussicht genießen, während der Sekretär ihm berichtete, was sich in jüngster Zeit in New York zugetragen hatte, einer Stadt, die in nur wenigen Jahren eine geradezu phänomenale Entwicklung erlebt hatte. Seinem Begleiter lag offenbar viel daran, ihn davon zu überzeugen, wie zivilisiert die Amerikaner geworden waren. So erfuhr der Neuankömmling, daß Henry Irving und Ellen Terry ihr Debüt in New York gefeiert hatten und daß das erste New Yorker Telefonbuch dreihundert Teilnehmer aufweisen konnte.
»Im Moment sind Fotografien bei uns der letzte Schrei, Mylord«, fuhr der Sekretär fort. »Die Stars der neuen Metropolitan Opera lassen sich alle fotografieren.«
Lord Harleston bemühte sich, gebührend beeindruckt zu wirken.
Er staunte nicht schlecht, als der Mann ihn dann, ein Greenhorn aus dem Hinterland, vor den verschiedenen Gefahren zu warnen versuchte, die einem Fremden, noch dazu einem Ausländer, in der Metropole drohten. Lord Harleston, der ausgedehnte Reisen in andere Teile der Welt unternommen hatte, hörte sich amüsiert die Geschichten über Glücksspieler an, die regelmäßig die Züge bearbeiteten, und über Hotelgäste, die auf dreiste Art bestohlen worden waren. Es konnte geschehen, daß einem auf offener Straße die Uhr gestohlen wurde, und in den Bahnen wimmelte es von Taschendieben, von denen viele weiblichen Geschlechts waren.
Der Sekretär beendete seine Schilderung mit dem Rat, sich auf keinen Fall zum Kauf eines Gürtels, der angeblich die Gabe hatte, seinen Träger unsichtbar zu machen, und fünf Dollar kostete, überreden zu lassen.
Lord Harleston lachte.
»Sie können versichert sein, daß mir nichts daran liegt, unsichtbar zu werden.«
»Eure Lordschaft haben keine Ahnung von dem Verbrecherunwesen, das in dieser Stadt so schnell wächst wie die Gebäude«, erklärte der Sekretär daraufhin ernsthaft.
»Ich bin Ihnen für die Warnung sehr verbunden.«
Lord Harleston war erleichtert, als sie die Residenz der Vanderbilts erreicht hatten.
Nach dem Tod seines Vaters, des Commodore, hatte William Henry Vanderbilt den Entschluß zum Bau eines wahrhaft königlichen Herrensitzes gefaßt. Die Bauunternehmer drängten ihn, als Baumaterial Marmor zu nehmen, augenfälligstes Symbol der Macht, doch Mr. Vanderbilt empfand eine gewisse Angst vor Marmor, da er das Gefühl hatte, der kalte Glanz strahle etwas Böses aus. Diese Furcht war nicht unbegründet, denn sowohl William Backhouse Astor als auch ein anderer Millionär waren nach der Fertigstellung ihrer Marmorpaläste gestorben.
Daher hatte Mr. Vanderbilt sich für den Bau dreier Häuser aus braunem Sandstein entschlossen, eines für sich und zwei für seine Töchter. Zu diesem Zweck beschäftigte er einige hundert einheimische Arbeiter und fünfzig Handwerker aus dem Ausland.
»Das Haus ist noch nicht ganz fertig«, informierte der Sekretär Lord Harleston. »Doch ich bin sicher, Eure Lordschaft werden auf den gewohnten Komfort nicht verzichten müssen und vor allem an Mr. Vanderbilts Gemäldesammlung Gefallen finden, die allgemein als sensationell gilt.«
Als Lord Harleston das Haus sah, fand er es nicht nur insgesamt sensationell, es erschien ihm fast schon unwirklich. Überwältigende Toreinfahrten empfingen, Triumphbögen gleich, die Gäste, vergoldete Decken wölbten sich wie Teile ägyptischer Sarkophage über dem Besucher, und die Vielfalt von Vasen, Lampen, Figurinen und kostbaren Büchern riefen in ihm das Gefühl hervor, nach dem reichlichen Alkoholkonsum vom Vorabend seinen Augen nicht trauen zu können.
An der Gastfreundschaft jedoch, mit der er empfangen wurde von Mr. Vanderbilt, gab es keinen Zweifel. Da das Zimmer, das man ihm zugedacht hatte, über die Ausmaße eines Ballsaals verfügte, konnte er sich über Raummangel nicht beklagen.
Mr. Vanderbilts Schwiegertochter, Mrs. William Kessain Vanderbilt, empfing Lord Harleston noch herzlicher als der alte Vanderbilt. Da sie über ausgeprägten gesellschaftlichen Ehrgeiz verfügte, ließ die Tatsache, daß sie einen adeligen und wohlhabenden Briten unter ihrem Dach beherbergte, sie wie eine Bienenkönigin umherschwirren.
Lord Harleston war sehr bald klar, daß er auf der Hut sein mußte, wollte er nicht statt mit Dolly mit irgendeiner jungen Amerikanerin verkuppelt werden, die von ihrer Mutter wie eine Marionette manipuliert wurde. Mrs. Vanderbilt nämlich - als Alva Smith in Mobile geboren - stellte ihm, gleich einem Zauberer, der Kaninchen aus einem Zylinder hervorholt, eine nicht enden wollende Reihe von Kandidatinnen vor.
Wie sollte er ihr erklären, daß er sich noch nie für junge Mädchen interessiert hatte, daß er nicht wußte, worüber man mit ihnen sprach, und daß er, wenn es sich vermeiden ließ, auch nicht mit einem dieser Wesen tanzen wollte? Da ihm zu Ehren Abend für Abend eine Dinnerparty mit anschließendem Tanz gegeben wurde, beschloß er, schnellstens weiterzureisen. Sein Vorhaben, die Flucht zu ergreifen, wurde noch beflügelt, als er erfuhr, daß Alva Vanderbilt ein Kostümfest plante. Es gab nichts, was Lord Harleston mehr haßte als Kostümfeste, und er hatte nicht die Absicht, jemals eines zu besuchen. Er hatte solche Veranstaltungen auch in England stets gemieden, ungeachtet der Tatsache, daß der Prince of Wales ihn einmal fast auf Knien angefleht hatte, an einem Kostümfest teilzunehmen, das es an Extravaganz mit den prächtigen fêtes aufnehmen konnte, die der Prinzregent seinerzeit in Carlton House zu veranstalten pflegte.
Sir Frederic Leighton, Präsident der Royal Academy, war beauftragt worden, die Dekorationen in Marlborough House zu überwachen, nachdem über 1400 Personen eingeladen worden waren. Der Prinz, der als Charles I mit großem Federhut einen sensationellen Eindruck hinterließ, eröffnete den Ball mit einer venezianischen Quadrille.
Die Musik spielte bis in die Morgendämmerung, das Souper wurde in zwei riesigen, mit Tapisserien behangenen roten Zelten serviert, so daß sogar Disraeli, der verspätet und nicht kostümiert erschien, das Fest als prachtvoll, brillant, phantastisch bezeichnete.
Der einzige Außenseiter, ja der einzige, der eine Einladung erhielt, dieser aber aus freien Stücken nicht Folge leistete, war Lord Harleston.
»Ich