Die Vampirschwestern 9 - Ein Sommer zum Abhängen. Franziska Gehm
Würden wir zu der Show gehen, würden wir die anderen alle von der Bühne fegen“, sagte Silvania. „Ich tanze mal ordentlich Saikato und Daka macht ein paar Loopings und der Jury fallen vor Begeisterung alle Zähne raus.“
„Das ist nicht fair“, protestierte Helene. „Die Leute geben sich echt Mühe. Nur weil ihr fliegen oder flopsen könnt, meint ihr, dort alles reißen zu können?“
„Einen Kandidaten, der über die Bühne fliegt, hat es garantiert noch nie gegeben“, erwiderte Daka.
„Ach? Und das Fliegen und Flopsen soll euer Megatalent sein?“ Helene rutschte von der Couch, stand auf und verschränkte die Arme.
„Verstehe ich auch nicht. Für Vampire sind Fliegen und Flopsen doch ganz normal“, sagte Ludo.
„Och, wir können auch noch andere megatalentierte Sachen machen, wie zum Beispiel die Jury beißen und aussaugen.“ Daka grinste und zeigte ihre langen Eckzähne.
„Alle Vampire fliegen herum und beißen Leute. Da könnte ich ja auch zur Show gehen und sagen: ‚Guckt mal, ich kann auf zwei Beinen stehen und Milch trinken. Wahnsinn! Ich bin ein Megatalent!‘“, sagte Helene.
„Natürlich fliegen und beißen alle Vampire. Also manche mehr und manche weniger“, erwiderte Silvania. „Aber ihr müsst doch zugeben, dass wir bei der Show viel bessere Chancen hätten als ihr oder jeder andere Mensch.“
„Weil wir einfach etwas Besonderes sind“, fuhr Daka fort. „Egal, was ein Mensch dort auch macht, gegen unseren Auftritt wäre er nur eine langweilige Nummer, als würde man einer alten Socke in der Waschtrommel zusehen.“
„Ja genau. Statt Megatalent megalangweilig“, stimmte Silvania zu. „Glaubt mir, wir wären die Stars der Sendung. Hätte unsere Mutter nicht die sieben radikalen Regeln aufgestellt und könnten wir in Deutschland frei als Halbvampire herumfliegen, wären wir schon längst für Film und Fernsehen entdeckt worden. Erst vor ein paar Tagen hatte ich einen sehr realistischen Traum, in dem man über uns einen Kinofilm gedreht hat!“ Silvania bekam rote Ränder um die Augen und ihr Äderchen auf der Stirn trat vor Aufregung hervor.
„Einen Film. Klar doch!“ Helene tippte sich an die Stirn. „Ihr seid ja total übergeschnappt.“
„Pfff!“ Daka streckte Helene die Zunge heraus.
Durch die lange Sonneneinstrahlung und Sommerhitze herrschten im Wohnzimmer der Tepes sowieso schon tropische Temperaturen. Doch die Stimmung heizte sich jetzt noch mehr auf. Man konnte es fast schon brodeln hören.
„Ihr seid also etwas Besonderes und wir nicht?“, fragte Ludo.
„Na ja, ihr seid schon auch besonders, aber nicht so besonders wie wir“, entgegnete Silvania.
„Kommt schon, das müsst ihr doch einsehen, oder?“, sagte Daka.
Helene sah ihre Freundinnen an und schüttelte den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass ihr so eingebildet seid.“
„Wir bilden uns gar nichts ein. Es ist einfach so“, erwiderte Daka. „Wir sind echte Megatalente und ihr könnt froh sein, dass ihr mit uns befreundet seid. Schließlich haben wir euch mit unseren besonderen Fähigkeiten schon ziemlich oft aus der Patsche geholfen. Wenn ich dich daran erinnern darf: Ohne uns wäre am Anfang des Schuljahres eine Honigmelone mit vollem Karacho auf deinen schönen Kopf gekracht und wahrscheinlich hätte man dich danach eine Klasse zurückstufen müssen und du hättest jetzt noch eine Riesenbeule davon.“
„Und wisst ihr noch – damals im Bindburger Kunstpalais, als die Geschwister Golert den wertvollen Fächer klauen wollten? Wer gleich noch mal hat den Kunstraub heldenhaft verhindert?“, fuhr Silvania fort.
„Oder ein paar Monate später, als die Transgiganten Bindburg heimsuchten und Ludo entführten. Wer hat ihn aus den Fängen der Transgiganten befreit?“, fragte Daka.
„Und wie war das noch mal, als die ganze Stadt in einer riesigen Sturmflut zu versinken drohte? Wer hat sie vor solch grausamem Ende bewahrt?“, fragte Silvania.
„Das waren wir alle zusammen“, sagte Ludo.
„Ihr wart auch dabei, stimmt“, entgegnete Daka. „Aber ohne uns wäre das doch alles total schiefgegangen. Was hättet ihr Menschen allein schon gegen Sturmfluten, Transgiganten und Schwerverbrecher ausrichten können?“
„Nicht viel, oder? Das müsst ihr zugeben“, warf Silvania ein.
„Aber wir waren bei euch. Und damit war alles gut. Und warum? Weil wir einfach Megatalente sind.“ Daka machte eine Rolle von der Gardinenstange und landete direkt vor Helene.
„Ihr seid einfach nur megabescheuert“, sagte Helene.
Ludo stand auf. „Wenn das so ist, dann braucht ihr uns ja nicht mehr. Ich weiß gar nicht, warum ich noch hier bin.“
„Ihr tollen Megatalente braucht gar keine Freunde. Ihr könnt sowieso alles allein. Da haue ich doch lieber ab.“ Ruckartig drehte Helene sich um, dass ihre langen blonden Haare Daka ins Gesicht schlugen.
„Ich auch!“ Ludo folgte Helene, die bereits mit festem Schritt aus dem Wohnzimmer ging.
„So war das doch nicht gemeint!“, rief Silvania ihnen nach. „Seid doch nicht gleich eingeschnappt!“
„Kann eben nicht jeder ein Megatalent sein!“, rief Daka, doch da war die Haustür hinter Helene und Ludo bereits ins Schloss gefallen.
Panischer Pinguin
Es knirschte. Der Pinguin, der sich gerade mit dem Schnabel am Bauch gekratzt hatte, hob den Kopf. Unter ihm und hinter ihm war nichts als Eis. Ewiges Eis. Vor ihm breitete sich das dunkelblaue Meer aus. Er stand am Rand eines riesigen Eisbergs, der senkrecht in den Ozean abfiel.
Für den Winter in der Antarktis herrschten angenehme minus 48 Grad. Der Pinguin stand auf dem kältesten, windigsten und trockensten Kontinent der Erde und ließ es sich gut gehen. Auch die winterliche Finsternis störte ihn nicht die Bohne. Er wackelte ein paar Schritte nach links, dann ein paar Schritte nach rechts. Als ein Schneesturmvogel über ihn hinwegflog, reckte er den Schnabel zum Himmel.
Es knirschte abermals. Der Pinguin zog den Kopf ein und schielte nach rechts und nach links. Vorsichtig warf er einen Blick auf den dunkelblauen Ozean. Lugte da der Kopf eines gefräßigen Seeleoparden aus den dunklen Wellen hervor? Zur Sicherheit trat der Pinguin ein paar Schritte vom Rand des Tafeleisbergs zurück.
In dem Moment krachte es, als würde der gesamte Südpol zerbersten. Der Eisberg, auf dem der Pinguin stand, wackelte, dröhnte und kippte auf einmal zum Meer hin ab. Der Pinguin klatschte auf den Bauch, wackelte hilflos mit den Flügeln, schlitterte zum Rand des Eisbergs, schoss darüber hinaus, flog im hohen Bogen in die Dunkelheit und tauchte wenige Sekunden später in den eiskalten, dunkelblauen Ozean.
Über dem Pinguin rumste und donnerte es gewaltig. Der vordere Teil des Eisbergs senkte sich wie in Zeitlupe in Richtung Ozean, brach schließlich mit lautem Getöse von den Eismassen ab und stürzte krachend ins Meer. Eine gigantische Welle ergriff den Pinguin und trieb ihn vor dem abgebrochenen Eisberg her. Der Eisberg wurde alsbald von einer Meeresströmung erfasst und zerbrach in mehrere, noch immer gigantisch große Teile.
Der Pinguin schwamm eine Runde, nahm Anlauf, sprang aus dem Wasser und landete auf der größten der verbliebenen Eisschollen. Der Seevogel schüttelte sich, kratzte sich mit der Flosse am Kopf und sah sich um, so gut es bei den winterlichen Lichtverhältnissen ging.
Die gewaltigen festen Eismassen der Antarktis waren in der Ferne gerade noch zu erkennen. Der Eisblock unter seinen Flossen war allerdings so groß, dass der Pinguin kaum wahrnahm, dass er darauf im Meer trieb. Er schabte mit den Flossen über das Eis unter ihm. Es sah aus, als läge unter der Eisschicht etwas verborgen. Etwas Dunkles, Großes – vielleicht etwas zu fressen? Eine tiefgekühlte Köstlichkeit?
Der Pinguin schrubbte mit den Flossen über das Eis. Vier Schritte nach rechts, vier Schritte nach links. Er wedelte die losen Eiskristalle mit dem Schwanz weg. Dann hackte er mit dem Schnabel auf das Eis ein. Direkt dort, wo sich das dunkle Etwas am dichtesten unter