Die Vampirschwestern 9 - Ein Sommer zum Abhängen. Franziska Gehm
Daka.
„Ja. Ja. Ja“, antwortete Herr Tepes und seine sonst so gewaltige Stimme, die wie keine andere durch die unendlichen Wälder Transsilvaniens hallte, klang ganz matt.
Elvira, Silvania und Daka halfen ihrem Vampir beim Aufstehen. Silvania und Daka spuckten mehrmals kräftig auf die Hosenbeine ihres Vaters, während Frau Tepes den Staub und die Spinnweben von seinem Hemd klopfte.
Leicht schwankend stand Herr Tepes da, hielt sich an der Sofalehne fest und ließ alles wortlos mit sich geschehen. Er war ein Anblick des Jammers. Seit Wochen machte ihm die Hitze zu schaffen und mit jedem Tag sah er erbärmlicher aus. Seine schwarzen Haare waren fettig und verklebt. Sein verschwitzter Lakritzschnauzer hing schlapp am Kinn herunter. Seine blasse Haut schimmerte, als wäre sie durchsichtig, und um die Augen hatten sich dicke lilafarbene Ränder gebildet.
„Was wolltest du mit der Schrankwand? Dich zudecken?“, fragte Elvira Tepes, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass alle Knochen an ihrem Mann noch heil waren. „Gefällt es dir nicht mehr in deinem Sarg?“
„Sie ist auf mich draufgefallen“, knurrte Herr Tepes.
„Einfach so?“ Elvira sah ihren Mann prüfend an.
„Ich hatte Hunger.“
„Auf Schrankwand?“, fragte Silvania.
„Ich bin durchs ganze Haus gestreift auf der Suche nach etwas Frischem, Knackigem, Blutigem“, erklärte Mihai Tepes. „Hinter der Schrankwand habe ich ein Spinnennetz entdeckt mit einem fetten Käfer darin. Ich habe also die Grillzange geholt, um mir den Käfer zu angeln, aber das Netz war ziemlich weit hinten und durch die Hebelbewegung geriet die Schrankwand irgendwie ins Wanken. Sie kippte, ich wollte sie aufhalten und …“
„PRATSCH warst du Vampirbrei!“, warf Daka ein.
„So ungefähr.“ Herr Tepes verzog das Gesicht. „Sogar um eine alberne, klapprige Schrankwand festzuhalten bin ich zu schwach. Ich bin … ein Hitzewrack!“
„Aber nicht doch.“ Elvira strich ihrem Mann über den Arm. „Du bist immer noch ein stattlicher, verwegener, ungemein attraktiver Vampir.“
Silvania und Daka musterten ihren Vater skeptisch, der nur noch ein Schatten seiner selbst war. Dann sahen sie zu ihrer Mutter, deren Wahrnehmung offenbar von der Hitze stark beeinträchtigt war.
„Gumox. Ich kann kaum noch ein paar Meter vom Boden abheben.“ Mihai Tepes wedelte dreimal lustlos mit seinen schlaffen Armen. „Tagsüber finde ich keinen Schlaf, weil es zu heiß ist. Und nachts kann ich nicht mehr jagen, weil ich zu müde bin. Außerdem ist es selbst nach Sonnenuntergang noch zu warm, um den schützenden Keller zu verlassen und sich nach draußen zu wagen. Diese höllische Hitze raubt mir all meine Kräfte. Jetzt ist es so weit –“ Herr Tepes tapste an der Sofalehne entlang auf einen Rasenmäher zu, den er anscheinend ins Wohnzimmer verfrachtet hatte. Er umfasste den Griff mit beiden Händen und drehte mit dem Rasenmäher eine Runde ums Sofa. „Ich kann nicht mal mehr allein laufen, ich brauche eine Gehhilfe. Dabei bin ich erst 2676 Jahre alt!“
Silvania betrachtete ihren Vater mit schräg gelegtem Kopf. Er erinnerte sie an die alte Frau, die ganz vorn im Lindenweg wohnte und immer mit ihrem Rollator zum Kiosk tuckerte, um Lottoscheine zu holen. Aber das behielt sie lieber für sich, sonst klappte ihr Papa noch ganz zusammen.
„Geht doch ganz gut“, sagte Daka, woraufhin ihr Vater sie ansah, als hätte er ihr am liebsten mit dem Rasenmäher eine neue Frisur verpasst.
Silvania und Daka konnten zwar noch ganz ohne Rasenmäher gehen, aber fliegen und flopsen fiel ihnen auch mit jedem Tag, den die Hitze anhielt, schwerer. Tagsüber konnten sie nur noch vermummt mit großem Hut, Sonnenbrille und Tuch aus dem Haus gehen. Allerdings hatten sie dazu kaum noch Lust und blieben die meiste Zeit zu Hause, wo es zumindest ein paar Grad kühler war.
„Komm, ich helfe dir in den Keller, du legst dich in deinen Sarg und ich fülle ihn mit schönen kalten Eiswürfeln“, schlug Elvira vor und schob den Rasenmäher mit ihrem Mann daran aus dem Wohnzimmer.
Auch Silvania und Daka verbrachten den Rest des Tages im Keller. Die Luft in ihrem Zimmer war einfach zu heiß und stickig. Nach einem Ausflug war ihnen bei der Hitze und vor allem bei der Sonneneinstrahlung erst recht nicht zumute. Wohin hätten sie auch gehen sollen? Es war hitzefrei, ihre besten Freunde waren eingeschnappt und die Schwestern würden sich sicher nicht aus Spaß von oben bis unten vermummt ins Freibad legen. Lieber hingen sie kopfüber an der Kellerdecke und klauten sich ab und zu einen Eiswürfel aus dem Sarg ihres Papas. Silvania fuhr sich mit dem Eiswürfel über Stirn und Wangen. Daka lutschte den Eiswürfel und schmatzte.
Herr Tepes lag im Sarg und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Seine Wangen waren eingefallen, seine einst feurigen Augen matt, seine Lippen blass und rau. Sein sonst vor Energie strotzender Körper glich einer leblosen Hülle. Fast hätte man meinen können, im Sarg läge wirklich eine Leiche und kein stattlicher, unsterblicher Vampir.
Elvira Tepes stand auf der Kellertreppe und betrachtete besorgt das trostlose Bild, das ihre Familie abgab. Ganz Bindburg stöhnte und litt unter der lang anhaltenden Hitzewelle. Besonders alte Menschen und Kranke, hatten sie in der Zeitung geschrieben. Was sie nicht geschrieben hatten, war, dass Vampiren die Hitze noch viel schlimmer zu schaffen machte. Mihai Tepes war wie gelähmt. All seine Energie, all sein Lebensmut, seine unbändige Tatkraft – das alles schien wie verdampft in der Hitze.
Lag es wirklich nur an den hohen Temperaturen und der starken Sonneneinstrahlung oder war Mihai krank? Wenn sie doch nur irgendetwas für ihn und ihre Töchter tun könnte! Zwar hatte es die Mädchen nicht ganz so heftig erwischt, aber auch sie waren eindeutig geschwächt von der Hitze.
Wenn nicht bald ein paar Wolken am Himmel auftauchten und die Temperaturen sanken, würde es auch im Keller immer wärmer werden. Was sollte Elvira dann tun? Sie konnte ihren Mann und ihre Kinder schlecht ins Tiefkühlfach stopfen oder im Bindburger Zoo im Eisbärengehege abliefern.
Doch sollten die Meteorologen recht behalten, würde alles noch viel schlimmer kommen …
Nachbar in Not
Dirk van Kombast saß frisch geduscht, geföhnt, rasiert und parfümiert in seinem Arbeitszimmer im Lindenweg Nummer 21 am Schreibtisch. Auch wenn er heute von zu Hause aus arbeitete und somit keinen direkten Kundenkontakt hatte, war er tadellos gekleidet. Zum einen wusste man nie, was der Tag brachte und wer an der Tür läutete, zum anderen gefiel er sich selbst in einer gut sitzenden Hose und mit einem makellosen, frischen Hemd am besten.
Im Arbeitszimmer herrschten angenehme 17 Grad Raumtemperatur. Neben dem Schreibtisch surrte leise ein mobiles Klimagerät. Dirk van Kombast war einer der wenigen glücklichen Menschen, die ein solches Gerät besaßen. Nachdem in den hiesigen Baumärkten alle Klimageräte und Ventilatoren ausverkauft gewesen waren, hatte der charmante Pharmavertreter seine Beziehungen spielen lassen und aus der Arztpraxis von Frau Dr. Ilona Kubitz (eine Ärztin, die er sehr oft und sehr gern mit seinem Pharmakoffer besuchte) leihweise ein Klimagerät ergattert. Wahrscheinlich schwitzten die Patienten im Wartezimmer von Frau Dr. Kubitz jetzt aus allen Poren, aber das war dem Pharmavertreter egal. Er brauchte den kühlen Kopf dringender als die Patienten.
Dirk van Kombast stützte die Arme auf den Schreibtisch und wackelte mit den Fingern, als wollte er Lockerungsübungen machen. Dabei sah er auf den Laptop und betrachtete das Foto, das er als Bildschirmschoner eingerichtet hatte. Es war ein Foto von ihm und seiner Mutter. Auf dem Foto sahen beide sehr glücklich, sehr schön und sehr viel jünger aus.
„Ich habe dich nicht vergessen, Mutti“, sagte Dirk van Kombast mit sanfter Stimme. „Denk bloß nicht, dass ich aufgebe. Ich bin dran, ganz nah dran, der Menschheit zu beweisen, dass es diese abscheulichen, blutrünstigen Wesen, die dein und mein Leben zerstört haben, tatsächlich gibt. Es ist nicht einfach und es gab Rückschläge, das gebe ich zu, aber am Ende werden wir die Sieger sein!“ Dirk schloss einen Moment die Augen und holte tief Luft. Manchmal war es einfacher, mit dem Bildschirmschonerfoto zu reden als mit seiner Mutter selbst, die seit Jahren und seit einem Zwischenfall mit Vampiren in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt saß.
Seit