Die Vampirschwestern 9 - Ein Sommer zum Abhängen. Franziska Gehm
Stunden später lehnte sich Dirk van Kombast zufrieden zurück, ließ die Hände in den Schoß sinken und sah lächelnd auf den Bildschirm. Er hatte es geschafft. Schneller, als er gedacht hatte. Er hatte einen Assistenten – oder sollte er sagen, einen Partner? Wie auch immer, dieser Galo klang zuverlässig, erfahren und schien genauso fest entschlossen, endlich einen Vampir zwischen die Finger zu bekommen, wie er selbst.
Dirk van Kombast stand auf, ging zum Fenster und blinzelte durch die Sonne hinüber zum Nachbarhaus. „Die bissigen Jahre sind vorbei, meine Lieben!“
Problem mit Eiscreme
Elvira ächzte, als sie den Kasten Wasser in die kleine Vorratsecke in der Küche hievte. Normalerweise würde Mihai den Kasten mit einem Finger aus dem Auto und in die Küche tragen und dabei ein transsilvanisches Heimatlied pfeifen. Doch im Moment pfiff ihr Mann nur auf dem letzten Loch und konnte sich kaum selbst auf den Beinen halten. Hätte auch nur ein Zwiebelring an seinem Finger gehangen, wäre er vermutlich umgekippt.
Zum Glück lag er schon, und zwar seit Stunden, in seinem Sarg im Keller. Elvira nahm eine Großpackung Blutorangeneiscreme aus dem Kühlbeutel, holte drei Löffel aus dem Schubfach, ging damit die Kellertreppe hinunter und öffnete die Kellertür. „Wird dem Vampir zu heiß, isst er auch Blutorangeneis!“, verkündete sie mit gespielter Fröhlichkeit, als sie den Keller betrat.
Daka, die an der Decke hing, schielte zu ihrer Mutter, als wäre das der schlechteste Spruch des Jahrhunderts.
Silvania, die neben einer Kerze in der Ecke saß, sah erst gar nicht von ihrem Buch auf. Eis war nicht halb so prickelnd wie die Kussszene in ihrem Roman.
Mihai lag im Sarg und rührte sich nicht.
Elvira trat lächelnd an den Sarg und klapperte mit den drei Löffeln. „Aufgewacht, Vampir meiner Träume! Es gibt BLUTorangeneis. Schmilzt auf der Zunge, kühlt von innen und weckt neue Lebensgeister.“
Der schlappe Schnauzbart von Herrn Tepes zuckte kurz, die Nase kräuselte sich. Dann riss der Vampir die Augen auf.
Unwillkürlich wich Elvira ein Stück zurück. Mihais Augen, die sonst schwarzbraun und weich wie Pflaumenmus schimmerten, glühten feuerrot, als wäre er von einem Dämon befallen. Mihai Tepes schnaufte und starrte seine Frau an wie einen fremden Eindringling, den er jeden Moment aussaugen wollte.
„Ähm … Mahlzeit, Mihai. Etwas Eiscreme für dich?“, fragte Elvira mit bebender Stimme. Die drei Löffel klapperten in ihrer zitternden Hand.
Plötzlich richtete sich Herr Tepes auf, fegte mit einer kräftigen Armbewegung die Großpackung Blutorangeneis von Elviras Handfläche und donnerte: „Ich brauche kein EIS, ich brauche BLUT!“
Elvira stieß einen kurzen Schrei aus, dann stand sie drei Sekunden wie versteinert im Keller und sah in die unbekannten glühenden Augen ihres Mannes.
Daka rutschte beim Gebrüll ihres Vaters beinahe zum zweiten Mal von der Leine, hielt sich im letzten Moment aber mit einer Hand fest und zog sich wieder hoch.
Silvania hatte vor Schreck ihren Liebesroman zugeschlagen, ohne ein Lesezeichen einzulegen. Entsetzt blickte sie zum Sarg. Stritten sich ihre Eltern etwa?
„Schon verstanden. Blut statt Eiscreme“, sagte Elvira leise. Beklommen beobachtete sie, wie ihr Mann langsam zurück in den Sarg sank. Was war nur mit ihm geschehen? Was machte die Hitze mit ihm? Verwandelte er sich jetzt in ein blutrünstiges Monster? Musste sie ihn wegsperren, schlimmer noch, musste sie vor ihrem eigenen Mann Angst haben? Die feuerroten Augen waren ihr fremd und jagten ihr einen Schauer über den Rücken. Zwar war Mihai immer ein leidenschaftlicher Vampir gewesen, aber nie aufbrausend. Es kam selten vor, dass er brüllte, und wenn, dann höchstens vor Begeisterung bei einem Rennzeckenrennen und nicht, weil er ein Problem mit Eiscreme hatte.
Mihais dünne, blasse Hand erschien am Sargrand und tastete nach Elvira. „Es tut mir leid, moi Miloba. Das wollte ich nicht.“ Seine Stimme klang matt und seine Augen hatten wieder ihre ursprüngliche Farbe angenommen. „Ich … weiß auch nicht, was mit mir los ist. Seit Tagen habe ich mich nicht mehr richtig vollgesaugt, von Frischblut ganz zu schweigen. Dann noch die Hitze und der Schlafmangel … Das treibt mich alles noch in den Wahnsinn.“
Elvira betrachtete ihren Mann einen Augenblick nachdenklich. Dann nahm sie Mihais Hand und drückte sie. Ganz vorsichtig.
In dem Moment klingelte es oben an der Haustür. Elvira zog die Hand zurück. Fast schien sie erleichtert, dass das Klingeln sie aus der Situation erlöste. „Ich schaue später noch mal nach euch.“ Frau Tepes warf ihrem Mann und ihren Töchtern eine Kusshand zu, hob die Großpackung Eis auf und eilte die Kellertreppe hinauf.
Spende Blut‚ rette Leben
Gut, dass du kommst“, sagte Frau Tepes, kaum dass sie die Haustür geöffnet hatte. „Brauchst du Hilfe beim Aufessen?“, fragte Oma Rose und deutete auf die Eispackung.
„Nicht nur dabei.“ Elvira seufzte. „Komm erst mal rein, Mama.“
Sie gingen in die Küche, setzten sich an den Tisch, bewaffneten sich mit jeweils einem Löffel und nahmen die Großpackung Blutorangeneis in Angriff.
Einen Moment hörte man nur „hm“ und „lecker“ und „schmatz“.
„Was ist mit den anderen?“, fragte Oma Rose schließlich. „Ausgeflogen?“
„Von wegen. Sind alle fluglahm und im Keller.“ Elvira berichtete ihrer Mutter, dass sich die Lage in den letzten Hitzetagen verschlechtert hatte. „Mihai ist eine richtige Sargkartoffel geworden und kommt kaum noch aus dem Keller. Und wenn, dann schleicht er wie ein Gespenst durchs Haus oder rollert mit einem Rasenmäher lustlos durchs Wohnzimmer. Er kann sich für nichts mehr begeistern und will nur noch seine Ruhe – und Blut, natürlich. Ich sage dir, Mama, es zerreißt mir schier das Herz bei seinem Anblick.“
Oma Rose tätschelte ihrer Tochter die Hand.
Elvira lehnte sich zu ihr und flüsterte: „Aber eben im Keller, da hat er mir richtig Angst gemacht. Er hatte so einen … animalischen Anfall. Plötzlich haben seine Augen feuerrot geglüht, er hat herumgebrüllt und ich habe meinen Mann kaum wiedererkannt.“
„Genau wie dein Vater bei einem Fußballspiel“, sagte Oma Rose.
Elvira schüttelte den Kopf. „Ich glaube fast, wenn Mihai nicht so geschwächt wäre, würde er über mich herfallen.“
Oma Rose spitzte die Lippen. „Damit rechne ich bei deinem Vater schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich bekommt er zu wenig Blut.“
„Mein Vater?“
„Nein, Mihai natürlich.“
„Was soll ich denn machen?“ Elvira hielt sich die Eispackung zur Kühlung an die Wange. In der Küche herrschten mindestens 25 Grad. „Die Blutkonserven aus dem rechtsmedizinischen Institut, die Mihai gehortet hat, sind so gut wie aufgebraucht.“
„Da fällt mir ein, ich habe Mihai etwas mitgebracht.“ Oma Rose holte ein kleines Plastikgestell voller Röhrchen mit Blut aus ihrer geblümten Einkaufstasche.
„Wo hast du die denn her?“
„Sonderangebot im Supermarkt.“ Oma Rose kicherte. „Scherz. Ich hatte heute eine Routineuntersuchung bei meinem Hausarzt, und als ich auf die nette Schwester warten musste, habe ich mich mal kurz am Laborkühlschrank bedient.“
Elvira stellte die Eispackung wieder ab und sah ihre Mutter mit großen Augen an. „Ich wusste gar nicht, dass du so … dass du dich so für das Wohlergehen deines Schwiegersohns einsetzt.“
„Spende Blut, rette Leben, so heißt es doch immer.“ Oma Rose bohrte den Löffel ins Blutorangeneis. „Und wie geht es meinen flatterhaften Enkelinnen?“
„Die flattern nicht mehr, die hängen nur noch herum. Und zwar auch im Keller, seit ihnen die Luft in ihrem Zimmer zu stickig geworden ist. Silvania liest von früh bis spät und seufzt dabei alle paar Minuten und Daka stöpselt sich die Ohren zu und gibt sich eine volle Dröhnung Krypton