MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2). Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2) - Robert Mccammon


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er die Hitze des Fiebers bereits spüren, bevor er Woodwards heiße Stirn berührte.

      Der Richter bewegte sich. Sein Mund öffnete sich, aber seine Augen blieben geschlossen. »Tut weh«, sagte er in gequältem Flüsterton. »Ann … er hat Schmerzen …«

      Matthew zog seine Hand zurück. Seine Fingerspitzen fühlten sich an, als hätte er sie über ein Schmiedefeuer gehalten. Er legte die zusammengerollte Urkunde auf die Kommode und nahm dann das Kästchen, in dem sich die restlichen Gerichtsdokumente befanden, um sie später am Abend weiter durchlesen zu können. Jetzt hatte er allerdings anderes zu tun. Er ging in sein Zimmer, stellte das Holzkästchen auf den Tisch neben seinem Bett, spritzte sich Wasser aus der Rasierschüssel ins Gesicht, um munter zu bleiben, und ging daraufhin wieder nach draußen.

      Der Tag war wirklich wunderschön geworden. Der Himmel war strahlend blau und wolkenlos, und die Sonne schien herrlich warm. Aus dem Westen kam eine milde Brise, in der Matthew den Duft von wildem Geißblatt, Kiefernharz und das herbe Aroma von Erde riechen konnte. Er hätte sich gern wie einige der Einwohner von Fount Royal ans Ufer des Quellsees gesetzt, um die Wärme zu genießen, aber ihm stand eine Aufgabe bevor, die ihm weder die Freiheit noch die Zeit für solch einfache Genüsse ließ.

      Auf seinem Weg die Fleißstraße hinunter, die er inzwischen gut kannte, kam er an Exodus Jerusalems Lager vorbei. Er hörte Jerusalem schon toben, bevor er das Lager erreicht hatte, und war erstaunt, dass die laue Frühlingsbrise hier nicht zu einem heißen, schwefelhaltigen Höllenwind wurde. Jerusalems Schwester – Matthew war sich unsicher, ob der Prediger mit dieser Bezeichnung eine Blutsverwandtschaft meinte oder ob es sich um ein unanständiges Verhältnis handelte – schrubbte in einem Zuber neben dem Wagen Wäsche. Der junge Neffe – über dessen Beziehung zu Jerusalem man sich besser keine Gedanken machte – lag im Schatten auf einer Steppdecke, zupfte die Blütenblätter einer gelben Blume ab und warf sie gelangweilt fort. Der in schwarz gekleidete Prediger hingegen arbeitete schwer: Er stand auf einer umgedrehten Kiste, und predigte gestikulierend vor einer ernsten, aus zwei Männern und einer Frau bestehenden Menschenmenge.

      Matthew schaute geradeaus und hoffte, dadurch unsichtbar zu werden, als er an Jerusalem vorbeischlich. Aber er wusste, dass dem nicht so sein würde. »Aha!«, ertönte prompt ein donnernder Schrei. »Schaut – dort wandelt ein Sünder! Seht nur, Ihr alle! Seht, wie er gleich einem Dieb im Tageslicht dahinhuscht!«

      Was Jerusalem als huschen bezeichnete, hätte Matthew seine Schritte beschleunigen genannt. Er wagte es nicht zu zögern, um Jerusalems Hohn zu widersprechen – denn dieser pseudoheilige Dummkopf würde ihn ja doch nur lächerlich machen. Er behielt seinen forschen Schritt bei, obwohl der Prediger nun so zu geifern und schwadronieren begann, dass Matthew vor Wut kochte: »Jawohl, schaut ihn an – und sehet den Stolz des Hexenbetts! Ja, wisst Ihr denn noch nicht die widerliche Wahrheit? Die ist so offensichtlich, wie der Wille Gottes einem rechtschaffenen Mann auf der Seele geschrieben steht! Jener sündige Jüngling hat mich niedergeschlagen – jawohl, niedergeschlagen! –, um die wollüstige Zauberin zu beschützen, die er innigst vorm Scheiterhaufen zu retten hofft! Und nicht nur zu retten! Meine liebe Gemeinde, wenn Ihr wüsstet, welch Gelüste nach dem finsteren Weib in diesem Sünder schlummern! Ihr würdet von Abscheu und Tollheit geschüttelt auf die Knie fallen! Er wünscht sich, das Fleisch ihres Körpers mit seinen Händen zu packen, ihren Mund mit seinen scheußlichen Sehnsüchten zu füllen; jede Öffnung ihres Körpers mit seinen tierischen Gelüsten zu stopfen! Ja, dort geht es hin, das elende, blinde Vieh, huscht vor dem Wort Gottes davon, ehe es seine Augen blenden und ihn den Pfad der Verdammnis erkennen lässt, auf dem er flinken Fußes unterwegs ist!«

      Der einzige Pfad, auf dem Matthew flinken Fußes unterwegs war, war der von Exodus Jerusalem wegführende. Als das Gekreische des Wanderpredigers endlich hinter ihm verklang, kam ihm der Gedanke, dass die liebe Gemeinde vermutlich einige Münzen spenden würde, um noch mehr zum Thema Fleisch, Körperöffnungen und tierische Gelüste zu hören, wegen dessen sie vermutlich gekommen war. Matthew musste zugeben, dass Jerusalem ein Talent dafür hatte, lüsterne Vorstellungen hervorzurufen. Im Moment allerdings – bis er sich auf den leider wieder an Jerusalem vorbeiführenden Rückweg machen würde – konzentrierten sich seine Gedanken darauf, das Haus des Rattenfängers zu finden.

      Er kam am Hof der Hamiltons und Violets Zuhause vorbei, und dann an einem großen, von Unkraut überwucherten Feld, dessen Zaun auseinanderfiel. Ein Stück weiter befand sich etwas, das nach einem Apfelbaumgarten aussah, und mit verkümmerten, krummen Gewächsen bestückt war, die nach der Axt zu schreien schienen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Fleißstraße ließen die Bäume in einem andern Garten die Äste wie vor Schmerzen hängen: Die paar verbleibenden Blätter waren mit braunen und ockerfarbenen Flecken gesprenkelt. Auch hier schien zwar die Sonne, aber die Natur konnte sich nicht mehr darüber freuen.

      Matthew sah, dass Bidwells Obstgärten unter den vielen Unwettern stark gelitten hatten. Die grobkörnige, sandige Erde war zu solchem Grad weggespült worden, dass von manchen Bäumen die Wurzeln fast mehr zu sehen waren als die Äste, und die paar Äste, die es gab, waren verkümmert und verkrümmt in ihrem bemitleidenswerten Versuch, nach dem Sonnenlicht zu greifen. Hie und da war etwas Knotenartiges gewachsen, doch es schien sich mehr um grünen Schimmel als um ein essbares Produkt zu handeln. Die verfaulten Felder und Gärten erstreckten sich entlang der Straße wie ein Vorgeschmack auf die höllische Ernte, und Matthew konnte nur zu gut verstehen, dass Bidwell und die Einwohner Fount Royals diese Verwüstung dem Teufel statt natürlichen Ursachen zuschreiben wollten.

      Während Matthew zwischen den jämmerlichen Feldern entlangschritt, dachte er über die Möglichkeit nach, dass vielleicht nicht nur der sintflutartige Regen für die missliche Lage verantwortlich war, sondern dass möglicherweise das Klima und die Bodenbeschaffenheit dieser Gegend nicht für die Pflanzen geeignet waren, die Bidwell anbaute. Natürlich versuchte Bidwell etwas herzustellen, an dem er Geld verdienen und sein Ansehen in England steigern konnte – aber vielleicht konnten Äpfel in dieser Sumpfluft nicht gedeihen. Und ebenso wenig die grünen seltsam geformten Dinger; was auch immer sie sein mochten. Es konnte durchaus sein, dass die richtigen Feldfrüchte für Fount Royal erst noch gepflanzt werden mussten und dass Bidwell wohl beraten war, einen Botaniker zurate zu ziehen. Allerdings würde ein Botaniker einen entsprechenden Lohn dafür einfordern – und wenn Winston Bidwells Kombination aus Geiz und geschwollenem Selbstgefühl richtig eingeschätzt hatte, hielt sich Fount Royals Gründer vermutlich in der Landwirtschaft ebenso bewandert wie im Schiffsbau.

      Schließlich erreichte Matthew das letzte Gebäude in der Fleißstraße, hinter dem nur noch die Palisaden aufragten.

      Wenn der Rattenfänger von anderen Menschen entfernt hatte leben wollen, hätte er sich ein passenderes Haus nur noch bauen können, indem er ein Loch grub und es mit einem lehmbeschmierten Dach bedeckte. Das Haus – das eine solche Bezeichnung kaum verdiente – ließ Winstons miserable Hütte wie ein Ebenbild von Bidwells Herrenhaus erscheinen.

      Gebüsch und Unkraut wucherten bis an die Wände und versteckten es vor neugierigen Augen. Kletterpflanzen klammerten sich an die graue Wandverschalung, und auf dem Dach spross Efeu. Die vier Fenster des Hauses waren mit nicht gestrichenen und stark verwitterten Fensterläden verrammelt, und Matthew fand, es grenzte an ein Wunder, dass der viele Regen die baufällige Behausung nicht davongeschwemmt hatte.

      Er bahnte sich durch den kahlen Vorgarten, der vom durchweichten Matsch noch immer schlüpfrig war, den Weg zur Tür. Linch hatte über der Haustür drei große Rattenskelette an Lederriemen aufgehängt, ganz so, als wollte er damit der Welt seinen Beruf verkünden. Sofern es denn Menschen auf der Welt gab, die sich an seine Tür verirrten. Oder vielleicht waren diese drei Ratten auch nur so schwer zu erlegen gewesen, dass Linch sie als Trophäen aufgehängt hatte. Matthew schluckte seine Abscheu hinunter, ballte die Faust und klopfte an die Tür.

      Er wartete, aber niemand kam. Matthew klopfte erneut und rief diesmal »Mr. Linch? Dürfte ich ein paar Worte mit Euch reden?« Noch immer kam niemand an die Tür. Der Rattenfänger war nicht zuhause, sondern vermutlich langschwänzigen Damen oder Dummen auf der Spur.

      Matthew war eine ziemliche Strecke gelaufen, um mit dem Mann zu reden, und der Gedanke, den Marsch wiederholen zu müssen, gefiel ihm nicht. Er entschied sich, auf Linch


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