MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2). Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2) - Robert Mccammon


Скачать книгу
Sir.« Sie packte Woodwards Arm und Bein auf der einen Seite, während Shields auf der anderen Seite anfasste.

      »Also dann. Wir drehen ihn zu mir um«, wies Shields sie an. »Herr Richter, könnt Ihr uns dabei helfen?«

      »Ich versuche es«, flüsterte Woodward.

      Mit vereinten Kräften gelang es dem Arzt und Mrs. Nettles, Woodward auf den Bauch zu drehen. Matthew konnte sich nicht entscheiden, ob er helfen sollte, denn er hatte Angst vor Dr. Shields nächsten Maßnahmen. Der Richter stöhnte während des Umdrehens einmal auf, ertrug die Schmerzen und Demütigung ansonsten aber wie ein Gentleman.

      »Sehr schön.« Dr. Shields warf Mrs. Nettles über das Bett hinweg einen Blick zu. »Ich werde sein Nachthemd hochziehen müssen, damit sein Rücken frei liegt.«

      »Um was für eine Prozedur handelt es sich?«, fragte Matthew. »Ich verlange Auskunft!«

      »Zu Eurer Information, junger Mann: Es handelt sich um eine lang erprobte Methode, das Blut im Körper zu bewegen. Das gelingt uns mittels Hitze und einem Saugeffekt. Mrs. Nettles, wenn Ihr Euch bitte zurückziehen würdet? Um des Anstands Willen.«

      »Soll ich draußen im Flur warten?«

      »Nein, das ist nicht nötig. Wenn ich Euch brauche, werde ich rufen.« Er schwieg, bis Mrs. Nettles das Zimmer verlassen hatte. Als die Tür wieder geschlossen war, wandte er sich an Woodward. »Ich ziehe Euch das Nachthemd bis zu den Schultern hoch, Isaac. Ich würde es sehr schätzen, wenn Ihr mir dabei etwas helfen könntet.«

      »Ja«, kam die gedämpfte Antwort. »Macht, was gemacht werden muss.«

      Der Arzt legte Woodwards Gesäß und Rücken bloß. Matthew sah, dass der Richter wundgelegen war: Er hatte eine sechs Zentimeter große, rote offene Stelle mit vereitertem Rand im Kreuz, und hinten am Oberschenkel eine kleinere, aber ebenso entzündete Wunde.

      Dr. Shields öffnete seine Tasche, nahm ein Paar weiche Hirschlederhandschuhe heraus und zog sie an. »Wenn Euch leicht übel wird«, sagte er leise zu Matthew, »dann geht besser hinaus. Ich brauche nicht noch mehr Komplikationen.«

      »Nein, mir wird nicht so leicht schlecht«, log Matthew. »Um was für … eine Prozedur handelt es sich denn?«

      Der Arzt langte wieder in seine Tasche und holte eine kleine Glasglocke heraus, die eine kreisrunde Öffnung mit gerolltem Rand hatte. Mit leicht angeekelter Faszination bemerkte Matthew, dass der Rand vom mehrmaligen Erhitzen dunkelbraun verfärbt war. »Wie ich schon sagte … um Hitze und einen Saugeffekt.« Er holte ein duftendes Stück Sassafraswurzel aus seiner Westentasche und schob es dem Richter geschickt zwischen die Lippen. »Isaac, es wird ein bisschen weh tun, und wir wollen ja nicht, dass Ihr Euch die Zunge verletzt.« Woodward wehrte sich nicht, sondern biss in die bereits vertrauten Rillen der Wurzel. »Junger Mann, wenn Ihr bitte die Kerzen halten könntet?«

      Matthew nahm den doppelten Kerzenständer vom Nachttisch. Dr. Shields beugte sich vor und schwenkte den Rand der Glasglocke mit einer kreisförmigen Bewegung durch die Flammen, ohne Matthew aus den Augen zu lassen. Während er den Glasrand weiter erhitzte, sagte Shields: »Isaac, ich werde Euch gleich ein Schröpfglas auf den Rücken setzen. Das erste von insgesamt sechs. Es tut mir leid, dass das dadurch verursachte Gefühl unangenehm sein wird, aber das kranke Blut wird so aus den inneren Organen an die Oberfläche gesaugt, und das wollen wir ja. Seid Ihr bereit, Sir?«

      Woodward nickte mit fest zugekniffenen Augen. Shields hielt die Öffnung der Glasglocke für ungefähr fünf Sekunden direkt über die Kerzenflamme. Dann drückte er den heißen Rand der Glocke schnell und ohne zu zögern ein paar Zentimeter oberhalb des offenen Geschwürs auf Woodwards weiße Haut nieder.

      Ein leises Zischen wie das einer Schlange war zu vernehmen, als die erhitzte Luft im Glas komprimiert wurde und das Schröpfglas sich an der Haut festsaugte. Gleich, nachdem das Glas seine Haut berührte, schrie Woodward trotz der Sassafraswurzel in seinem Mund auf, und sein Körper erschauderte mit schmerzhaften Zuckungen.

      »Ganz ruhig«, sagte Shields und meinte damit sowohl den Richter als auch seinen Gerichtsdiener. »Lasst die Natur arbeiten.«

      Matthew konnte sehen, dass die Haut, die unter dem Schröpfglas lag, anschwoll und sich rötete. Dr. Shields hatte inzwischen ein zweites Glas aus seiner Tasche geholt und ließ die Kerzenflammen am Rand der Glasglocke lecken. Nachdem die Luft im Schröpfglas erhitzt war, wurde es mit dem zu erwarteten – und Matthew Gänsehaut bereitendem – Ergebnis auf Woodwards Rücken gedrückt.

      Als das dritte Glas angesetzt wurde, hatte die Haut unter dem ersten sich bereits von Rot zu Lila verfärbt, und war inzwischen blutgefüllt und bräunlich wie ein Giftpilz.

      Shields hielt das vierte Schröpfglas in der Hand und schwenkte es durch die Kerzenflammen. »Ich habe gehört, dass wir bald ein Theaterstück zu sehen bekommen werden«, sagte er. Seine Stimme schien in keinerlei Verbindung zu seinem Handeln zu stehen. »Die Maskenspieler bereiten den Bürgern hier jedes Jahr viel Freude.«

      Matthew antwortete nicht. Er beobachtete, wie die ersten braunen Fleischpilze noch dunkler wurden und wie ihnen die beiden anderen durch die Stadien geschwollener Verfärbung folgten.

      »Normalerweise«, fuhr der Arzt fort, »kommen sie erst Mitte Juli. Ich habe von Mr. Brightman – dem Direktor der Truppe – gehört, dass zwei der Dörfer, in denen sie sonst immer auftreten, durch Krankheiten sehr geschrumpft sind, und dass ein drittes gar nicht mehr existiert. Daher sind sie dieses Jahr so früh gekommen. Man kann dafür allerdings nur dankbar sein, denn wir brauchen eine angenehme Ablenkung.« Er drückte Woodward das nächste Schröpfglas auf den Rücken, und der Richter zitterte, unterdrückte aber jegliche Klagelaute. »Meine Frau und ich sind in Boston gern ins Theater gegangen«, sagte Shields, während er das fünfte Glas vorbereitete. »Ein Theaterstück am Nachmittag … eine Karaffe Wein … ein Konzert auf dem Marktplatz.« Er lächelte leicht. »Das waren schöne Zeiten.«

      Matthew hatte seine Selbstbeherrschung immerhin so weit wiedererlangt, dass er eine Frage stellen konnte, die nun gar nicht weiter auffiel. »Warum seid Ihr aus Boston weggezogen?«

      Der Arzt wartete mit der Antwort, bis das fünfte Schröpfglas sich an der Haut festgesaugt hatte. »Nun ja … sagen wir so … ich war auf der Suche nach einer Herausforderung. Oder vielleicht war da auch … etwas, das ich gern erreichen wollte.«

      »Und habt Ihr das? Etwas erreicht, meine ich?«

      Shields starrte den Rand des sechsten Schröpfglases an, während er es zwischen den Kerzenflammen hin und her bewegte. »Nein«, sagte er. »Bisher nicht.«

      »Ich nehme an, es ist etwas, das mit Fount Royal zusammenhängt? Und Eurer Arztpraxis?«

      »Es hängt mit dem zusammen … mit dem es zusammenhängt.« Shields schaute Matthew kurz in die Augen und wandte den Blick dann wieder ab. »Ihr habt einen Fragenfetisch, nicht wahr?«

      Falls diese Bemerkung dazu gedacht war, Matthew den Mund halten zu lassen und seine Neugierde zu zügeln, bewirkte sie das Gegenteil. »Nur einen Fetisch für Fragen, die nicht beantwortet werden.«

      »Touché«, sagte der Arzt und drückte das sechste Schröpfglas fest auf Woodwards Rücken. Wieder erschauderte der Richter von den Schmerzen, blieb aber weiter still. »Also gut. Ich habe Boston verlassen, weil meine Praxis sich nicht rentierte. Es gibt zu viele Ärzte dort, ebenso zu viele Rechtsanwälte und Pfarrer. Es muss mindestens ein Dutzend Ärzte geben, von den Kräuterheilern und Gesundbetern ganz zu schweigen! Daher beschloss ich, Boston – und meine Frau, die mit ihren Näharbeiten recht erfolgreich ist – für eine Zeit lang zu verlassen und meine Dienste anderswo anzubieten.«

      »Fount Royal ist sehr weit von Boston entfernt«, sagte Matthew.

      »Oh, ich bin nicht gleich hierhergekommen. Einen Monat habe ich in New York gelebt, einen Sommer in Philadelphia verbracht, und zwischendurch noch in anderen kleinen Dörfern gelebt. Ich bin einfach immer weiter in den Süden gekommen.« Er begann, sich die Hirschlederhandschuhe abzustreifen. »Ihr könnt den Kerzenständer nun wegstellen.«

      Matthew


Скачать книгу