Der Bergpfarrer Staffel 8 – Heimatroman. Toni Waidacher
»So, jetzt hab’ ich Ihre Zeit aber genug in Anspruch genommen«, sagte er und stand auf. »Ich fahr’ jetzt in die Stadt und schau’ mich mal in dem Kaufhaus um. Am Abend komm’ ich dann noch mal vorbei.«
Elvira Wirtmeyer erzählte ihm, in welchem Kaufhaus Angela Hofmeister arbeitete, und wenig später stand Sebastian Trenker in der Herrenmodenabteilung des Kaufhauses, in der Nürnberger Innenstadt.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Hochwürden?« sprach ihn eine Verkäuferin an.
An seinem Priesterkragen mußte sie erkannt haben, daß es sich bei dem Kunden um einen Geistlichen handelte. Sebastian Trenker schüttelte lächelnd den Kopf.
»Vielen Dank. Ich schau’ mich nur ein bissel um.«
Er hatte die junge Frau genauer betrachtet. Auf einem Schildchen, das sie trug, stand ihr Name – Angela Hofmeister.
Einen Moment zögerte er.
Sollte er sie gleich ansprechen? Oder war es besser, bis zum Abend zu warten, wenn sie zu Hause war?
Sebastian entschied sich für das Letztere und fuhr mit der Rolltreppe wieder nach unten.
*
»Hast jetzt auch gleich Feierabend?« fragte Angela eine Kollegin.
Tina Bachmann schüttelte betrübt den Kopf.
»Leider net«, erwiderte sie. »Ich hab’ Spätdienst.«
Die seit einiger Zeit eingeführten neuen Ladenöffnungszeiten hatten auch unter den Angestellten des Kaufhauses zu heftigen Diskussionen geführt. Nicht wenige, vor allem verheiratete Frauen, deren Familien zu Hause warteten, waren dagegen, daß erst um zwanzig Uhr geschlossen wurde. Allerdings fanden sich auch andere, die bereit waren, die Spätdienste zu übernehmen. Auch Angela Hofmeister gehörte dazu. Im Wechsel arbeitete sie mal in der Frühschicht oder begann ihren Dienst erst am Mittag.
Mit Christina Bachmann verband sie eine lockere Freundschaft. Sie arbeiteten nicht nur zusammen, sondern trafen sich auch mal außerhalb der Arbeitszeit.
Die beiden Frauen saßen im Pausenraum und verschnauften bei einer Tasse Tee.
»Schade«, meinte Angela zu der Freundin, »ich wollt’ dich eigentlich heut’ ins Kino einladen.«
»Aufgeschoben ist net aufgehoben«, lachte die blonde Tina und nahm sich eines von den Plätzchen, die Angela mitgebracht und auf den Tisch gestellt hatte. »Lecker!«
»Freut mich, daß es dir schmeckt. Die Frau Wirtmeyer mag sie auch sehr gern.«
»Hast’ schon was am Wochenend’ vor?« wollte Tina wissen. »Wir könnten zusammen schwimmen gehen oder den Kinobesuch nachholen. Hast’ Lust?«
Die junge Frau nickte.
»Machen wir.«
Sie schaute auf die Uhr und seufzte.
»Ich fürcht’, wir müssen wieder«, sagte sie. »Na ja, die zwei Stunden werd’ ich auch noch rumkriegen. Hoff’ ich jedenfalls.«
»Was soll ich da sagen? Für mich sind’s noch vier«, entgegnete die Freundin und Kollegin.
»Ach, man müßt mal im Lotto gewinnen«, träumte Angela Hofmeister, als sie durch das Treppenhaus zu ihrer Abteilung gingen.
»Oder eine dicke Erbschaft machen«, fügte Tina hinzu.
»Darauf kann ich lange warten«, erwiderte Angela. »Ich hab’ niemanden, den ich beerben könnt’.«
»Keinen reichen Onkel in Amerika?« lachte die andere.
»Net mal hier in Bayern«, gab Angela zurück. »Also bleiben wir brav auf dem Teppich mit unseren Träumen und arbeiten bis wir in Rente gehen.«
»Oder einen reichen Mann finden, der uns heiratet!«
»O weh«, lachte die junge Frau und hielt die Tür zur Verkaufsabteilung auf. »Den such’ erst’ mal!«
Während sie wieder an die Arbeit gingen, dachte Angela über den letzten Satz ihrer Kollegin nach.
Einen reichen Mann finden – das konnte ja nur ein Wunschtraum sein!
Gelegenheit hatten sie zwar genug, schließlich arbeiteten sie in der Herrenmodenabteilung des Kaufhauses. Der passende Mann fürs Leben, der kaufte aber wohl eher nicht hier ein.
Die zwei Stunden bis zum Feierabend vergingen schneller, als Angela zu hoffen gewagt hatte. Rasch zog sie sich um und verließ das Kaufhaus durch den Personaleingang. Bis zu ihrer Wohnung war es eine gute halbe Stunde zu gehen. Die junge Verkäuferin hätte auch mit dem Bus fahren können, aber sie war gerne zu Fuß unterwegs. Nach der vielen Steherei auf der Arbeit empfand sie den Spaziergang nach Hause geradezu als eine Wohltat. Sie ging durch die malerische Altstadt und verließ sie durch das Königstor. Dann wandte sie sich nach rechts und folgte der langen Straße. Schließlich bog sie in die kleine Seitenstraße ein. Angela wollte gerade den Hausschlüssel aus der Tasche holen, als die Tür geöffnet wurde. Elvira Wirtmeyer schien sie schon erwartet zu haben.
»Angela, Sie haben Besuch«, verkündete die alte Dame.
»Besuch?« fragte sie verwundert. »Wer kommt mich denn besuchen?«
»Jemand aus der Heimat Ihrer Mutter.«
Verwundert sah Angela Hofmeister ihre Vermieterin an und folgte ihr ins Wohnzimmer. Dort saß ein Mann, der ihr merkwürdig bekannt vorkam. Bei ihrem Eintreten lächelte er und stand auf.
Im selben Moment erkannte Angela den Fremden. Es war der Priester, der am Mittag im Kaufhaus gewesen war.
»Sie…?«
*
»Guten Abend, Frau Hofmeister«, begrüßte Sebastian die junge Frau, die sichtlich verwirrt war, ihn hier zu sehen. »Seien Sie net allzu sehr überrascht. »Ich hätt’ Sie natürlich schon heut’ mittag ansprechen können, aber die Angelegenheit, in der ich Sie besuchen komm’, ist persönlich und für ein Gespräch auf der Arbeit net geeignet.«
Er reichte ihr die Hand.
»Ich darf mich Ihnen erst einmal vorstellen«, sagt er. »Ich bin Pfarrer Trenker aus St. Johann. Ihre Mutter, Katharina Ahringer, war mein Pfarrkind.«
»Sie sind das…«
Angela erinnerte sich, daß ihre Mutter oft von diesem Mann erzählt hatte, und als der Geistliche im Kaufhaus vor ihr stand, da dachte Angela einen Moment wieder an den Pfarrer, von dem ihre Mutter immer in den höchsten Tönen geschwärmt hatte, wenn sie über ihn sprach. Aber niemals hätte sie damit gerechnet, ihm jemals zu begegnen.
»Sonst hat Ihre Mutter nicht über ihre Heimat gesprochen?« fragte Sebastian.
Sie saßen am Tisch. Elvira Wirtmeyer hatte ein kleines Abendbrot vorbereitet. Brot, Aufschnitt, Käse und dazu Tee gekocht. Angela schaute auf den Tisch und spürte auf einmal einen dicken Kloß in ihrem Hals. Sie ahnte, daß dieser überraschende Besuch etwas in ihrem Leben verändern würde, und meinte, keinen Bissen herunterbringen zu können.
»Nein«, schüttelte sie den Kopf, »meine Mutter hat fast nie darüber gesprochen, woher sie stammt. Nur manchmal erwähnte sie den Ort, St. Johann, und Ihren Namen, Hochwürden.«
»Dann hat sie niemals etwas über ihre Familie verlauten lassen?«
Angela dachte nach. Sie erinnerte sich, einige Male gefragt zu haben. Das war damals, als Vater noch lebte, und sie alle in München wohnten. Sie war ein kleines Madl gewesen und gerade in die Schule gekommen. Viele Kinder erzählten von Großeltern oder Tante und Onkeln. Da hatte sie auch wissen wollen, ob sie Verwandte habe.
Die Eltern hatten das stets verneint. Papas Eltern waren schon lange tot und lagen auf dem Friedhof eines kleinen Dorfes begraben, aus dem Papa stammte. Regelmäßig waren sie dorthin gefahren und hatten das Familiengrab besucht. Auch noch nachdem ihr Vater gestorben war.
Über