Der Bergpfarrer Staffel 8 – Heimatroman. Toni Waidacher
der Anwalt.
Der Seelsorger erklärte, warum er die Sache selber in die Hand nehmen wollte, und Dr. Remmler zeigte vollstes Verständnis dafür.
»Ich wünsch’ Ihnen Glück und hoff’, daß sie Angela Hofmeister finden«, sagte er, als Sebastian sich später verabschiedete.
Auf dem Stadtplan, den Richard ihm mitgegeben hatte, suchte Sebastian die Straße heraus, in der Katharina zuletzt gewohnt hatte. Sie lag am südlichen Stadtrand Münchens, und es gab eine Menge Hochhäuser dort. Der Geistliche stellte das Auto ab und stieg aus. Gerade, als er die Tür abschloß, knallte etwas gegen den linken Hinterreifen, prallte ab und traf Sebastian am Bein.
Auf der Wiese vor dem Hochhaus tobte eine Horde Kinder. Als ihr Ball jetzt den Mann getroffen hatte, blieben sie mucksmäuschenstill stehen und schaute herüber.
Sebastian schmunzelte. Er hatte den Ball aufgehoben und hielt ihn in der Hand.
Die Kinder blickten betreten. Wahrscheinlich rechneten sie mit einem Donnerwetter.
»Na, wer von euch ist für die Bayern?« rief der Mann ihnen statt dessen zu.
Zehn, zwölf Hände ruckten gleichzeitig hoch.
»Dann übt mal weiter«, lachte der Seelsorger und kickte den Ball zu ihnen.
»Mensch, hast du einen Schuß«, rief einer der Buben anerkennend. »Magst’ net mitspielen?«
»Wenn ich Zeit hätt’, gern«, antwortete Sebastian. »Leider geht’s net.«
Er war inzwischen zu ihnen herübergeschlendert und beugte sich zu ihnen.
»Sagt mal, ihr wohnt doch alle hier, oder?« fragte er.
Die Buben nickten.
»Könnt’ ihr mir denn auch sagen, wo die Frau Katharina Hofmeister gewohnt hat?«
Die Kinder sahen sich fragend an, nur einer hob die Hand.
»Da drüben, in der Nummer elf«, sagte er eilig. »Sie war unsere Nachbarin, aber sie lebt net mehr, die Frau Hofmeister.«
»Ja, ich weiß«, nickte Sebastian. »Aber kannst’ mir vielleicht verraten, wo ihre Tochter hingezogen ist? Du hast doch die Angela auch gekannt?«
Der Bub mochte vierzehn Jahre alt sein und hieß Max Brechtler. Wie sich herausstellte, erinnerte er sich noch gut an die Familie Hofmeister. Aber wohin die Tochter gezogen war, vermochte er nicht zu sagen.
»Fragen S’ meine Mama«, schlug er vor. »Die weiß vielleicht was darüber.«
»Das ist eine gute Idee«, nickte Sebastian. »Ist die Mama denn zu Haus’?«
»Ja. Sie müssen mit dem Aufzug fahren, in den achten Stock, und bei Brechtler klingeln.«
»Ich danke dir«, sagte Sebastian erfreut und strich dem Buben über den Kopf.
Während die Kinder weiter umhertobten, betrat der Geistliche das Treppenhaus und stieg in den Aufzug. Im achten Stock gab es sechs Wohnungen, Sebastian fand die der Familie Brechtler am Ende des Laubenganges und drückte den Klingelknopf. Eine Frau öffnete und schaute ihn fragend an. Da der Bergpfarrer nicht seine Soutane trug, schien sie in ihm einen Vertreter oder Zeitschriftenwerber zu vermuten. Ihr Gesichtsausdruck war entsprechend unwillig. Doch der Ausdruck änderte sich gleich, als der fremde Mann seinen Namen nannte.
»Grüß Gott, ich bin Pfarrer Trenker aus St. Johann«, stellte sich Sebastian vor. »Frau Brechtler, entschuldigen S’ die Störung, ich hätt’ da ein paar Fragen wegen einer früheren Nachbarin von Ihnen, der Frau Hofmeister.«
*
»Kommen S’ doch herein, Hochwürden«, bat die Mutter des Buben ihn in die Wohnung.
»Ich will aber net stören.«
Annette Brechtler schüttelte den Kopf.
»Das tun Sie net«, erwiderte sie und ließ Sebastian Trenker eintreten.
Es war eine Vierzimmerwohnung, wie sie für solche Hochhaussiedlungen typisch war. Vom Flur ging es nahtlos in den Wohnbereich über. Die Frau bat den Besucher, Platz zu nehmen.
»Ja, das war eine schlimme Geschichte damals, mit der Kathie«, begann sie das Gespräch.
»Sie kannten sie näher?«
»Na ja, ein bissel besser, als es unter Nachbarn üblich ist schon«, nickte Annette Brechtler.
Sie deutete auf die Wand zur Nachbarwohnung.
»Da gleich nebenan haben s’ gewohnt«, fuhr sie fort. »Wir haben uns immer gut verstanden, Geburtstage und Silvester zusammen gefeiert.«
»Woran ist Kathie denn gestorben?« fragte Sebastian.
»War sie sehr krank?«
»Ja, sie hatte ein schwaches Herz«, nickte die Frau. »Einige Male war sie deshalb schon im Krankenhaus gewesen. Das war noch, bevor der Walter, ihr Mann, verunglückte. Diesen Schicksalsschlag hat die Kathie nie verwunden. Und als es dann so schlimm wurde, mit dem Herzen, ich glaub’, da hat sie nur noch den Wunsch gehabt, wieder mit ihrem Walter vereint zu sein. Sie hatte keine Kraft mehr, zu kämpfen und keinen Lebensmut mehr.«
»Sie wird ganz bestimmt ihren Mann wiedergesehen haben«, sagte Sebastian, und einen Moment herrschte Stille, in der die zwei Menschen an die Verstorbenen dachten.
Eine Wanduhr schlug und riß sie aus ihren Gedanken.
»Wissen Sie etwas darüber, wo die Angela Hofmeister jetzt lebt, Frau Brechtler?« fragte der Geistliche. »Hier in München ist sie nämlich net mehr gemeldet.«
»Ja, das kann ich Ihnen sogar ganz genau sagen«, antwortete sie.
Der Bergpfarrer sah sie erwartungsvoll an.
»Angela ist kurz nach dem Tode ihrer Mutter aus München fortgegangen. Sie lebt jetzt in Nürnberg, arbeitet dort als Verkäuferin in einem Kaufhaus.«
Annette Brechtler lächelte versonnen.
»Viel Kontakt haben wir net mehr«, meinte sie. »Aber jedes Jahr zu Weihnachten schickt sie dem Max ein Paket mit Lebkuchen.«
»Dann haben S’ also auch ihre genaue Anschrift.«
»Ja, ich geb’ sie Ihnen gern’. Aber sagen S’, warum suchen S’ nach der Angela?«
»Ach, das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Sebastian. »Sagen S’, Frau Brechtler, hat die Kathie eigentlich nie über ihre Heimat gesprochen?«
»Nein, eigentlich net«, schüttelte die Frau den Kopf. »Nur einmal hat sie wohl beiläufig erwähnt, daß sie aus St. Johann stammt.«
Sebastian Trenker blickte nachdenklich vor sich hin.
Nur einmal hatte Kathie über ihre Heimat gesprochen. Sie mußte also konsequent mit allem gebrochen haben. Deshalb hatte sie die Briefe ihres Vater ungeöffnet zurückgeschickt und der Tochter wohl kein Wort über den Großvater und den Bauernhof erzählt.
Annette Brechtler hatte ein Stück Papier geholt und die Adresse der Tochter darauf geschrieben.
»Hat sie vielleicht einmal über ihre Familie gesprochen, über die Eltern?« erkundigte sich der Bergpfarrer.
Erneutes Kopfschütteln.
»Nein, daran kann ich mich net mehr erinnern.«
Der Geistliche erklärte, warum er nach Angela Hofmeister suchte, und die Frau am Tisch fiel aus allen Wolken.
»Dann hat die Angela geerbt? Ach, das freut mich aber für das Madl«, rief sie aus. »Jetzt hat sie vielleicht doch noch mal ein bissel Glück im Leben.«
»Na ja, wir müssen erst einmal abwarten, ob sie das Erbe überhaupt annehmen wird«, sagte Sebastian Trenker und stand auf. »Frau Brechtler, haben S’ vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.«
»Grüßen