Der Bergpfarrer Staffel 8 – Heimatroman. Toni Waidacher
Viel hatte er gestern von Angela Hofmeister, über sie selbst und ihre Familie erfahren. Er hatte eine hübsche junge Frau kennengelernt, die mit beiden Beinen im Leben stand, und mit der das Leben es aber nicht immer gut gemeint hatte. Dennoch schien Angela nicht mit ihrem Schicksal zu hadern. Natürlich hatte sie die Nachricht von der Erbschaft überrascht, und ihre erste Reaktion war eher ablehnend gewesen. Sebastian hoffte indes, daß sie das Erbe nicht ausschlagen würde.
Die Pensionswirtin brachte den Kaffee. Marlies Behrends erinnerte den Bergpfarrer ein wenig an Ria Stubler.
Die rührige Zimmerwirtin aus St. Johann nahm sich ihrer Gäste ebenso herzlich an, wie ihre Kollegin hier in der Dürerstadt.
»So, Hochwürden, jetzt lassen S’ sich’s schmecken«, sagte die ältere Frau. »Und wenn S’ noch einen Wunsch haben, Sie brauchen’s nur zu sagen.«
Sebastian schaute auf den gedeckten Tisch.
»Vielen Dank, Frau Behrends«, erwiderte er. »Es ist alles reichlich vorhanden.«
Nach dem Frühstück räumte er das Zimmer. Angela Hofmeister hatte heute Spätdienst, und zuvor wollten sie sich noch einmal treffen. Die Reisetasche kam wieder in ein Schließfach und nachdem der Geistliche eine Fahrkarte gekauft hatte, suchte er die Kirche St.?Lorenz auf und sprach mit seinem Amtsbruder. Als er am Haus der Witwe Wirtmeyer ankam, war es später Vormittag.
Die alte Dame öffnete ihm.
»Eigentlich müßt’ ich Ihnen ja bös’?sein, Hochwürden«, sagte sie und drohte mit dem Zeigefinger. »Auf der anderen Seite freu’ ich mich natürlich für die Angela.«
Sebastian atmete erleichtert auf.
»Dann hat sie sich also entschieden?«
»Ja«, nickte Elvira Wirtmeyer betrübt. »Leider. Aber, wie gesagt, ich gönn’s dem Madl.«
Sie ließ den Besucher eintreten und führte ihn in das Wohnzimmer.
»Angela ist erst vor einer Weile aufgestanden«, erzählte sie. »Nachdem sie sich noch einmal hingelegt hatte. Letzte Nacht konnte sie überhaupt net schlafen.«
»Das kann ich verstehen«, nickte der Seelsorger. »Es war ja auch keine leichte Entscheidung, die sie zu treffen hatte.«
Die Hauswirtin bot Getränke an, und wenig später kam Angela Hofmeister die Treppe herunter. Sie lächelte, als sie Sebastian Trenker erblickte. Der hatte sich erhoben und reichte ihr die Hand.
»Die Frau Wirtmeyer hat mir schon erzählt, daß Sie ihr Erbe antreten wollen«, sagte er. »Meinen Glückwunsch dazu. Ich bin sicher, daß Sie die Entscheidung net bereuen werden.«
»Ich hoff’s, Hochwürden, ich hoff’s«, antwortete die frischgebackene Hofbesitzerin. »Und ich bitt’ Sie herzlich um Ihre Unterstützung.«
»Die sollen Sie gern haben«, versicherte Sebastian. »Ich weiß, wie schwer es für Sie ist, hier alles hinter sich zu lassen und in der Fremde einen Neubeginn zu wagen. Aber ich versprech’, daß ich Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen werd’. Und net nur ich allein.«
Zwei Stunden verbrachten sie damit, sich über den Hof, das dazugehörige Land und den Bergwald zu unterhalten. Vierzig Stück Milchkühe gab es und ein paar Schweine. Dazu Hühner und Kaninchen. Das alles besaß einen Wert von mehreren hunderttausend Euro, und Sebastian versprach vor allem auch, daß Angela bei der Abwicklung der Erbschaftsangelegenheit nicht alleine dastehen müsse. Der Pfarrer von St. Lorenz hatte sich, auf Sebastians Bitte hin, bereiterklärt, die junge Frau auf das Nachlaßgericht zu begleiten, wo sie ihren Anspruch kundtun sollte. Die notwendigen Unterlagen hatte der Bergpfarrer mitgebracht und händigte sie ihr aus.
Angela hingegen hatte aber auch sonst noch eine Menge Dinge zu erledigen, bis sie ins Wachnertal umsiedeln konnte.
Die Arbeit kündigen, den Haushalt hier auflösen, den Umzug organisieren.
Alles in allem würde es fünf bis sechs Wochen dauern, bis die neue Herrin des Ahringerhofes dort eintreffen konnte.
Zufrieden fuhr der Geistliche nach St. Johann zurück und suchte noch am selben Nachmittag den Knecht auf dem Hof auf.
»Dann ist’s also die Enkelin vom alten Ahringer, die den Hof geerbt hat?« fragte Florian Brandtner, der eben die Neuigkeit von Sebastian gehört hatte.
»Ja, die Angela Hofmeister ist die Tochter der Katharina Ahringer. Da der Urban sonst keine Verwandten mehr hat, steht ihr das Erbe allein zu«, erwiderte der Geistliche. »Es wird noch eine Weile dauern, bis sie herkommt, und dann braucht sie deine ganze Unterstützung.«
Florian fuhr sich durch das dunkle Haar.
»An mir soll’s net liegen, Hochwürden«, antwortete er.
»Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann«, nickte Pfarrer Trenker.
Er schaute auf die Uhr.
»So, jetzt muß ich aber«, meinte er. »Es ist in den zwei Tagen, die ich fort war, doch einiges liegengeblieben. Also, Florian, pfüat di’, und wenn was sein sollt’, irgend ein Problem oder du eine Frage hast, dann ruf’ mich einfach an.«
»Ist recht, Hochwürden«, winkte der Bursche ihm nach und machte sich wieder an seine Arbeit.
Sebastian wanderte ins Dorf zurück. Dabei dachte er an die junge Frau, die so unvermutet in den Besitz eines Bauernhofes gekommen war. Daß Angela sich dieser Herausforderung stellte, freute den Geistlichen. Gewiß würde sie es nicht leicht haben, aber sie konnte sich seiner Unterstützung sicher sein, und daß Florian Brandtner der neuen Herrin auf dem Ahringerhof hilfreich zur Seite stehen würde, stand ohnehin fest.
»Eigentlich wär’s gar net so schlecht, wenn aus den beiden ein Paar würde, dachte der gute Hirte von St. Johann schmunzelnd. Besser konnte es für beide nicht kommen.
Allerdings wollte Sebastian dem Schicksal da nicht vorgreifen. Wenn sich etwas zwischen Angela und Florian anbahnen sollte, dann würde es von sich aus geschehen.
*
Für Angela vergingen die Wochen wie im Flug. Noch am selben Tag, an dem sie Pfarrer Trenker zugesagt hatte, ihr Erbe antreten zu wollen, kündigte sie ihre Stellung im Kaufhaus. Der Personalchef war alles andere als erfreut und wollte sie nur ungern gehen lassen. Aber natürlich hatte er Verständnis dafür, daß Angela in die Heimat ihrer Mutter zurückkehren und dort den Hof übernehmen wollte.
Einen Tag später suchte sie, in Begleitung des Pfarrers von St. Lorenz, das Nachlaßgericht auf und ließ dort ihren Anspruch auf den Ahringerhof beurkunden.
Der größte Teil ihrer Möbel blieb in der Wohnung. Elvira Wirtmeyer wollte sie übernehmen und mit vermieten. Das war Angela ganz recht, ansonsten hätte sie sich noch um den zeitraubenden Verkauf kümmern müssen.
Während sie alle notwendigen Dinge erledigte, ging sie weiterhin ihrer Arbeit nach, die Kündigungsfrist lief bis eine Woche vor ihrem Aufbruch nach St. Johann. Und am letzten Abend gab Angela eine Abschiedsparty für ihre Freundinnen und die Hauswirtin. Natürlich war zuerst Tina eingeladen worden, dazu ein paar andere Kolleginnen, zu denen ein loser, freundschaftlicher Kontakt bestand.
Ihre Vermieterin hatte ein Abschiedsessen vorbereitet, und ganz spät am Abend mischte sich in all die Freude über Angelas Glück auch ein wenig Wehmut. Alle, die sie kannten, mochten sie, und es fiel ihnen nicht leicht, Angela gehen zu lassen.
»Ihr könnt mich ja mal besuchen kommen«, lud sie die Freundinnen ein.
»Das machen wir«, riefen die jungen Frauen begeistert. »Am besten machen wir unseren nächsten Betriebsausflug nach St. Johann.«
Als Angela später im Bett lag und ihr bewußt wurde, daß es die letzte Nacht in der gewohnten Umgebung sein würde, da klopfte ihr Herz doch vor Aufregung.
Was mich dort wohl alles erwartet? dachte sie.
Pfarrer Trenker hatte, neben den Unterlagen für das Nachlaßgericht, auch ein Fotoalbum mit Bildern