Gesammelte Werke. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem
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Ein brillanter, präludierender Lauf auf dem Flügel unterbrach ihn, und das Trio begann. Mit Liebe und Eifer vorgetragen, wirkte das Kabinettstück des naiven Haydn anmutig genug, obgleich dem Kenner die Achillesverse des Vortrages, der Dilettantismus, oft auffallen mußte, besonders was die Instrumente betraf, denn Gräfin Schinga beherrschte ihren Flügel mit Virtuosität, aber – geistlos.
Immerhin muß man aber Dilettanten bei ihrem Vergnügen ohne zu scharfe Kritik beharren lassen, denn es ist besser, mittelmäßige Musik zu machen und schlechte Bilder zu malen, als seinen Nächsten durch den Hechel liebevoller Gesinnung zu ziehen, zu welchem Zwecke gesellige Vereinigungen beiderlei Geschlechter meist dienen, besonders Damencafés, welche überhaupt ein socialer Schaden sind, denn nach den obligaten Sachverhandlungen über Dienstboten, Filetguipüre, »stilvolle« Stickmuster und Mignardise muß unfehlbar der liebe Nächste herhalten, bis kein gutes Haar mehr an ihm bleibt.
Das Trio verklang, und der Herzog war glücklich, denn es war ohne Hindernis von statten gegangen, ohne Holpern und Stolpern über technische Schwierigkeiten.
»Glatt wie Wagenschmiere,« bestätigte Graf Schinga laut, und Fräulein von Drusen neigte sich entrüstet zu Dolores.
»Sollte man es glauben, daß ein Mensch mit solchen Ausdrücken hier geduldet wird? Da sehen Sie, der Herzog möchte sich ausschütten vor Lachen, anstatt dergleichen mit einem scharfen Wort ein für allemal zu verbannen.«
»Graf Schinga ist vielleicht unverbesserlich,« flüsterte Dolores zurück mit halbem Lächeln.
»Dann muß man ihn aber nicht fürstliche Salons betreten lassen,« entgegnete die Hofdame, deren Ohren schon viel drastischere Vergleiche aus derselben Richtung vernommen hatten. »Es ist immer ein Fehler, sogenannten Originalen ihre Ungezogenheiten durchschlüpfen zu lassen, weil man sie auf ihre Originalität schiebt. Ich kannte einen Herrn, der den Leuten aus Originalität die Zunge herausstreckte und sehr unästhetische Worte dazu sagte. Das ließ man sich sogar allerhöchsten Orts gefallen – hätte ihn die Gesellschaft deshalb exmittiert, so hätte er sich diesen ›Krampf‹ bald abgewöhnt!«
Dagegen fand Dolores nichts zu sagen, denn es war richtig.
»Es ist ganz dieselbe Sache mit ›berühmten Leuten,‹« fuhr Fräulein von Drusen fort. »Man läßt dieselben sich in unseren Salons wie die Gassenbuben betragen, sie dürfen uns ohne weiteres Grobheiten sagen, die wir uns von anderen nicht gefallen lassen würden, und warum? ›Weil berühmte Leute ihre Schrullen haben.‹ Meiner Ansicht nach sollen berühmte Leute diese Schrullen bei sich zu Hause lassen, wenn sie ausgehen, und sich besonders durch ein feines Benehmen auszeichnen.«
»Ei gewiß,« meinte Dolores nachdenklich. »Aber Sie haben sehr recht: dies Betragen berühmter Menschen hängt ganz von der Duldsamkeit der Gesellschaft ab.«
»Nicht wahr? Nun sehen Sie, Professor Keppler, der doch sicher eine Berühmtheit ist, giebt uns ein Muster, wie man sich würdevoll, ohne ein Dandy zu werden, in Salons bewegt, und Sie, liebe Baronin – ja, Sie sind eben eine Dame – damit ist alles gesagt. Das macht das Blut, meine Liebe, das Blut.«
»Glauben Sie?« fragte Dolores ironisch. »Aber dann verleugnet sich das Blut bei dem guten Grafen dort gänzlich.«
»Ja, es ist ein Ton in unseren Kreisen mode geworden, der zu meiner Zeit unmöglich war,« entgegnete die feudale alte Dame ernsthaft.
Man hatte indes das Trio sattsam durchgesprochen in seinen Einzelheiten, und jetzt kam der Erbprinz und reichte Dolores den Arm, sie zum Flügel zu führen, und ohne sich nötigen zu lassen, folgte sie dem Rufe – Gräfin Schinga übernahm die Begleitung.
Und Dolores sang. Es war ein süßes, gar schönes Lied des so feinfühlenden Mendelssohn: Es weiß und rät es doch keiner.
Wie ein Hauch nur, leise und anschwellend vorgehend, durchdrang der erste Satz des Liedes den todstillen Saal, und erst, als es hieß:
Ich wollt', es wäre schon Morgen,
Da fliegen zwei Lerchen auf, –
Die überfliegen einander,
Mein Herz folgt ihrem Lauf,
da tönte die herrlichste Menschenstimme mächtig und doch so weich durch den Raum, und als sie die Worte wiedergab:
Ich wollte, ich wäre ein Vöglein,
Und flöge über das Meer,
Wohl über das Meer und weiter,
Bis daß ich im Himmel wär',
da lag in dem gesungenen Worte die ganze träumerische Wehmut einer zum Fluge ins Jenseits bereiten Seele, der es so wohl ist, weil sie weiß, das Ende naht, und durch deren halbverklärtes Sein nur noch einmal der irdische Wunsch zieht:
Ach, wüßt' es nur einer, nur einer,
Kein Mensch es sonst wissen sollt'!
Als sie geendet, brach niemand das tiefe Schweigen – selbst die rohe und rauhe Natur eines Schinga ward seltsam berührt, und ein Etwas, von dem er nicht wußte, was es ist, machte das anfangs geplante: »Famos, räuberhaft schön!« auf seinen Lippen verstummen. O, die Musik ist eine große Macht!
Stumm, Thränen in den seelenvollen Augen, trat Prinzeß Alexandra an Dolores heran und küßte ihr die bleiche Wange.
»Das ging zum Herzen,« flüsterte sie, »weil es vom Herzen kam. Danken Sie Gott, daß er Ihnen zu all' seinen Himmelsgaben ein fühlendes Herz verliehen!«
»Ist das ein Glück?« fragte Dolores fast traurig.
Die Prinzeß sah ihr tief ins Auge.
»Ja,« sagte sie fest. »Und wäre es auch nur von kurzer Dauer.«
Drüben stand am Fenster Richard Keppler und sah stumm hinüber auf die schlanke, dunkle Gestalt, die ihm so teuer war. Falkner war verschwunden. Schon während des Liedes war es so eigen über ihn gekommen, und als der letzte Ton verklungen, da war er hinausgetreten auf die Terrasse, und während er hinübersah auf den mondbeleuchteten Rosenflor, von dem es köstlich herüberduftete, da ward es ihm unsäglich traurig zu Mute. Er wußte plötzlich, daß der Panzer der Vorurteile, mit denen er sich umgürtet, ihn nicht deckte, er wußte jetzt, in dieser Minute, daß aller Selbstbetrug ihn nicht mehr über seine Gefühle täuschen konnte. War es zu spät zur Erkenntnis?
Drüben in den Rosen ward es jetzt rege – es war der Herzog, der seine schönsten Theerosen, seine köstlichste Glorie de Dijon abschnitt, um sie Dolores zu übergeben. Ja, jedes dankte ihr in seiner Art – nur er, er hatte kein Wort für sie, weder ein gesprochenes, noch ein gedachtes. Und Prinzeß Alexandra, welche für ihn ein Musterbild edler Weiblichkeit war, die nur reines und edles in ihrer nächsten Nähe duldete, er sah sie da drinnen stehen Hand in Hand mit der, die er so bitter gekränkt.
Da trat urplötzlich eine kleine lichte Gestalt neben ihn – Prinzeß Lolo.
»Ich glaube gar, Sie schwärmen im Mondschein, Baron,« sagte sie in ihrer neckenden Weise.
Er atmete tief auf.
»Vielleicht, Prinzeß,« sagte er leicht. »Hatten Durchlaucht dieselbe Absicht?«
Sie schwang sich auf die Balustrade der Terrasse und verzog ein wenig das rote Mündchen.
»Am liebsten thät' ich's, schon weil es sich für unsereinen nicht schickt,« meinte sie, mit den Beinen baumelnd wie ein Pensionskind.
»Ei, so rebellisch, Prinzeß?« sagte er, um nur etwas zu sagen.
»Ich wollte, ich könnte die ganze Welt umkehren, mindestens aber Papas Herzogtum,« schmollte die kleine Durchlaucht, deren Begriffe von der Welt noch sehr vage waren. »Es ist gar nicht amüsant, Prinzessin zu sein, wissen Sie. Ich bin aber trotz der alten Drusen hinausgelaufen, denn der Trara, den sie drinnen über das dumme Lied machen, ist schrecklich. Sie thaten ganz recht auch zu entfliehen.«
Falkner antwortete nicht, wozu auch? »Backfische machen sich gewöhnlich aus ernster