Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 4. Walter-Jörg Langbein

Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 4 - Walter-Jörg Langbein


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holte er eine zerfledderte Bibel aus seinem verschwitzten Jackett und zitierte Kapitel 11 des Buches Genesis:

      »Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein ebenes Land im Lande Sinear und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! Und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: ›Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen, denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder!‹« Meine heftigen Zweifel ließ der sich in Rage redende Gottesmann nicht gelten. Der Turm zu Babel, so warf ich ein, stand doch in biblischen Landen und nicht im mexikanischen Tulum. Wütend ergriff mich der Gottesmann und führte mich zu den Resten des babylonischen Turms zu Tulum.

      »Diese Treppenstufen stiegen einst die Menschen empor, zu sündigem Treiben hoch oben im satanischen Tempel!« schrie der Geistliche. Wieder zitierte er wutschnaubend aus dem Kapitel 11 des Ersten Buch Mose: »Da fuhr der Herr hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.« Gott zerstörte den Turm und verwirrte die Menschen, heißt es in der Bibel. Sie verstanden einander nicht mehr, redeten nicht mehr in einer gemeinsamen, sondern in vielen Sprachen.

      Die von der Bibel angebotene sprachliche Erklärung ist allerdings vollkommen falsch: Babel hat mit dem hebräischen »balal«, zu Deutsch »verwirren« nichts zu tun. Der Name Babel verweist auf eine recht unbiblische Geschichte. »Babel« leitet sich eindeutig vom Babylonisch-Sumerischen »bab-ili« her. »Bab-ili« heißt zu Deutsch »Tor der Götter«. Das reale Vorbild für den biblischen Bericht vom Turmbau zu Babel ist der babylonische Zikkurrat. Zikkurats waren mehrstufige Türme. Ähnlich wie die ältesten Pyramiden dienten sie vermutlich als Ersatz für heilige Berge. Wer die höchsten Gipfel der Berge erklomm, der fühlte sich den kosmischen Göttern näher.

      Rund zwei Jahrtausende vor Christus entstand das reale Vorbild für den biblischen Turm, der »Etemenanki«. Er ragte in Babylon direkt beim Tempel des Gottes Marduk hoch in den Himmel. Ganz oben gab es einen Tempel. In diesem Gotteshaus wurde die »Heilige Hochzeit« zelebriert.

      Die Priesterin erklomm den Turm gen Himmel, die »Gottheit« kam vom Himmel herab und wartete im Heiligtum auf seine Partnerin. Gemeinsam zelebrierten sie dann die »Heilige Hochzeit« im Tempel.

      Allerdings war es nicht der leibhaftige Gott selbst, der ins Brautgemach kam, sondern ein Stellvertreter. Babylonische Städte waren Stadtstaaten, die von einem Priesterkönig geleitet wurden. Der Priesterkönig und die Oberpriesterin vollzogen die »heilige Hochzeit«. Zwei Menschen aus Fleisch und Blut schlüpften in die Rolle von Göttern. Aus Sicht der Jahwepriester war das Blasphemie: Menschen, die sich für die Zeit des Rituals als Götter fühlten. Wenn das keine Gotteslästerung war! Es durfte nur einen Gott, nämlich Jahwe, geben! Und kein Mensch durfte sich wie ein Gott aufführen!

      Die »Heilige Hochzeit« gehörte schon vor vielen Jahrtausenden zum Jahreswechsel wie heutige Silvesterfeiern mit Sekt und Feuerwerk. Der heilige Sex – Hurerei in den Augen der frommen Jahwe-Anhänger – sollte für ein weiteres Jahr Fruchtbarkeit gewähren: für Land und Leute. Mensch und Tier sollten sich weiter fortpflanzen können und ausreichend Nachwuchs haben. Mutter Erde sollte wieder genügend Nahrung für Mensch und Tier hervorbringen. Das ewige Rad des Lebens sollte sich wieder ein Jahr lang weiterdrehen.

      Dieser heilige Ritus wurde nicht in Babylon »erfunden«. Er wurde wohl schon Jahrtausende früher importiert und zelebriert: auf heiligen Bergen, deren hohe Gipfel dem Himmel näher waren als der Erde. Die Stufenpyramiden im babylonisch-assyrischen Bereich dürften Nachbildungen der heiligen Berge gewesen sein, errichtet von den Nachkommen der einstigen Ahnen, die aus einem bergreichen Land nach Babylon kamen.

      Im heiligen Gemach des Tempels auf dem »Turm zu Babel« feierten der Priesterkönig und die Oberpriesterin das Ritual der »Heiligen Hochzeit«: der Priesterkönig in Vertretung von Gott Marduk, die Oberpriesterin für die Göttin Ischtar. Sollte es weltweit so etwas wie einen Urkult gegeben haben - von einem herabsteigenden Gott?

      Wütend stapfte der empörte Geistliche davon. So abstrus seine Behauptungen auch zu sein schienen... kann es nicht sein, dass sich in Tulum etwas Ähnliches abspielte? Wurde in sakralen Räumen von Tulum so etwas wie die »heilige Hochzeit« zelebriert... zwischen dem mächtigen »herabsteigenden Gott« und der Göttin des Lebens Ix-Chel? Wurden im »Ur-Tulum«, lange bevor die Mayas kamen, ein uralter Ritus zelebriert, der das Fortbestehen des Lebens auf Planet Erde gewähren sollte?

Wie_Luzifer_kamen_in_Tulum_Wesen_aus_dem_Himmel_zur_Erde

      Wie Luzifer kamen in Tulum Wesen aus dem Himmel zur Erde;

      Foto: Ingeborg Diekmann

      Wie sich die Bilder gleichen. Beginnen wir mit der Bibel: Bei Jesaja (1) heißt es über den Sturz des Königs von Babylon: »Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!« Jesus sagte nach Lukas (2): »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.« Die biblische Tradition machte aus dem König von Babylon und dem Teufel, der vom Himmel stürzt, den Oberteufel Satan. In Tulum begegnet uns immer wieder plastisch dargestellt der »herabstürzende Gott«, der auch als »Abendstern« und »Blitz« gedeutet wird. In den Augen der christlichen Geistlichkeit war der »herabsteigende Gott« von Tulum der böse Luzifer.

      Wurde in Tulum ein Kult zelebriert, in dessen Mittelpunkt ein »herabsteigender Gott« stand, ein Kult, der den Fortbestand des Lebens auf Planet Erde gewährleisten sollte?

      Wir wissen wenig über Tulum. Wo Wissen fehlt, wird auch von Wissenschaftlern viel spekuliert. Schriftliche Dokumente der Mayas mag es einst gegeben haben. Sie können uns keine Auskunft mehr über Tulum erteilen, wurden doch die Codices der Mayas von der katholischen Geistlichkeit gezielt gesucht und verbrannt. Stumm sind die Gemäuer von Tulum. Die Stuckskulpturen der herabsteigenden Götter sind oft übel zugerichtet und hüten uralte Geheimnisse. Werden wir sie jemals verstehen?

      Wenn man aufpasst, dann kann man in Tulum dann und wann eine Begegnung beobachten, zwischen einem herabsteigenden Gott und einer Schwalbe, der Stellvertreterin der Göttin, zwischen dem Luzifer der Südsee und der Göttin.

      Fußnoten:

      (1) Der Prophet Jesaja Kapitel 14, Vers 12

      (2) Das Evangelium nach Lukas Kapitel 10, Vers 18

      Ich danke Frau Ingeborg Diekmann für die schönen Fotos!

      Der gewaltige, moderne Bau der Basilika von Guadalupe wirkt höchst imposant, ja futuristisch-kühn. Pedro Ramirez Vasquez hat das Gotteshaus entworfen. Am 13. Oktober 1976 wurde die Basilika geweiht, ein Jahr später eröffnet. Mit 10.000 Sitzplätzen gehört sie zu den größten Kirchen unseres Planeten. Insgesamt kann sie 40.000 Pilger aufnehmen, wie ein riesiges Zelt aus Stahl und Beton. Gewaltig ist die Last, die die unsichere Erde von Guadalupe außerhalb von Mexiko-City zu tragen hat. Um die größte Pilgerkirche der Welt abzusichern, wurden gut 1.000 massive Säulen ins Erdreich versenkt, die den monumentalen Bau tragen. Für motorisierte »Pilger« wurde ein unterirdisches Parkhaus ins Erdreich gegraben. 1.000 Autos finden Platz.

Reges_Treiben_vor_der_Basilika_von_Guadalupe

      Reges Treiben vor der Basilika von Guadalupe

      Beim Bau der Basilika hat man sich auf den Besuch von Millionen von Pilgern eingestellt. Dem Architekten war klar: Die Menschen würden in die Basilika strömen, um ein physisch greifbares Wunder zu sehen: das mysteriöse Bildnis der Maria von Guadalupe. Jeder sollte die Chance haben, das verehrte Tuch zu sehen. Würden aber fromme Pilger nicht zu lange vor der Reliquie stehen bleiben und andere daran hindern, möglichst nahe an das Ziel ihrer Reise zu treten, an das Bildnis der Maria von Guadalupe? So wurden drei mechanische Förderbänder installiert, die am Hauptaltar vorbeiführen.

      Pedro Ramirez Vasquez, der berühmte Architekt, durfte das Tuch von Guadalupe mit dem berühmten Bildnis untersuchen. Er soll,


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