Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 4. Walter-Jörg Langbein

Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 4 - Walter-Jörg Langbein


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geplündert wurde. Angesichts der »Voladores« entdeckten sie ihr Sorge um das Wohlergehen der Mayas. Sie wollten es den Voladores verbieten, sich von ihrem hohen Mast in die Tiefe zu stürzen. Das sei doch zu gefährlich. In Wirklichkeit wollten sie die Erinnerung an uraltes heidnisches Wissen tilgen. Der Kult erwies sich aber als stärker und überlebte... bis in unsere Tage.

      Anstatt zu verbieten, wird nun von der katholischen Kirche der Kult in christliche Bahnen gelenkt. Alljährlich zum Fronleichnamsfest schweben die Voladores zu Boden. Gefeiert wird die leibhaftige Gegenwart Jesu in der Oblate und im Wein. Vergessen ist längst der wirkliche Ursprung der »Voladores«, so wie die Bedeutung von »Fronleichnam« auch im christlichen Abendland nur noch einer Minderheit bekannt ist.

      Ich frage mich: Werden wir je die Wahrheit über die Schlangengötter, die vom Himmel herabstiegen und in den Kosmos zurückkehrten, erfahren?

      Fußnoten:

      (1) Tiahuanaco, Bolivien, gehört zu den mysteriösesten Orten unseres Planeten. Monstersteine unvorstellbarer Größe wurden dort wie Bauklötzchen verbaut. Ich werde in einer kommenden Folge über meine Besuche in der Ruinenstadt berichten!

      (2) Osborne, Harold: South American Mythology; London

      (3) Osborne, Harold: South American Mythology; London 1968, Seite 74

      Nirgendwo habe ich das Meer so paradiesisch blau, den Sandstrand so weiß und den Nachthimmel so sternenklar gesehen wie hier. Nirgendwo laden rätselhafte Gemäuer mit geheimnisvollen Darstellungen von Göttern so zum Nachdenken ein wie hier. Nirgendwo in der realen Welt der sieben Meere fühlt man sich so sehr in die Filmkulissen der fantastischen Welt vom »Fluch der Karibik« versetzt wie hier. Kapitän Jack Sparrow könnte jeden Moment mit seiner Mannschaft landen, so scheint es, und versuchen, die steilen Klippen zu überwinden. Wird die steinerne Festung erobert werden können?

      Am 4. März des Jahres 1517 sichteten hier Francisco Hernandez de Cordoba und seine Spießgesellen, die den übelsten Piraten der Karibik an Grausamkeit gewiss nicht nachstanden, nach langer Seefahrt Land. Am 4. März gingen die Spanier an Land. Sie wurden von den mexikanischen Indios kriegerisch empfangen. Ein Hagel von Pfeilen und Speeren prasselte auf die fremden Eindringlinge nieder. Die Spanier aber verfügten über Feuerwaffen und Baumwollpanzer. Hölzerne Schilde taugten da nicht als Schutz. Fünfzehn mexikanische Indios wurden erschossen, zwei gefangen genommen. Die Spanier nahmen die geheimnisvolle Stadt auf den Klippen ohne weitere Probleme ein. Sie staunten über die »großen Häuser aus Stein und Kalk«. Sie nannten die alte Festung »das große Kairo«.

      »Tulum«, die Festung, hieß einst »Zama«, »Stadt der Morgenröte«. Wann mag sie gegründet worden sein? In uralten Zeiten war Zama so etwas wie eine Pilgerstadt. Von hier aus traten die Anhänger der Göttin Ix-Chel die letzte Etappe ihrer Reise an: zur Insel Cozumel, um dort zur Göttin zu beten. Ix-Chel scheint eine der Urgöttinnen aus der Zeit des Matriarchats gewesen zu sein. Sie war eine Fruchtbarkeitsgöttin, zuständig für Aussaat und Ernte, Leben und Tod. Ix-Chel war Erd- und Mondgöttin. Sie wurde verehrt wie so viele ihrer Vorgängerinnen überall auf der Welt. Ix-Chel schenkte den Menschen die Heilkunst, plagte sie aber auch mit Krankheiten.

Reste_der_Stadtmauer_von_Tulum

      Reste der Stadtmauer von Tulum

      Ix-Chel, auch »Göttin des Werdens« genannt, wurde mit der Schlange in Verbindung gebracht. Sollten Götter wie Kukulkan die Schlange der Göttin übernommen haben? Wurde Ix-Chel nur auf dem Eiland Cozumel verehrt, oder auch in Tulum? Wir wissen es nicht. Fest steht: »Tulum« bedeutet so viel wie »Festung« oder »Verschanzung«. Der Name ist mehr als passend: Tulum war einst von einer fast siebenhundert Meter langen, vier Meter hohen und drei Meter dicken Mauer umschlossen. Nur zum Meer hin war sie offen. Doch unmittelbar hinter dem stolzen »Kastell« fällt eine steinerne Klippe steil zum Meer ab.

      Zu meinem Befremden erkennt ein weit verbreiteter Reiseführer (1) in Tulum, deren Ruinen durch schlichte Schönheit bestechen, eine von »Dekadenz geprägte Architektur«. Dekadent, so will mir scheinen, sind eher Touristenhorden. die immer wieder in die majestätische Ruinenstadt einfallen. Die Rede ist vorwiegend von amerikanischen Pauschaltouristen, die besonders preiswerte Touren von den USA aus unternehmen. »All you can eat and drink«-Angebote sind eben sehr verlockend! So viel essen und trinken wie man will, und das zu einem günstigen Pauschalpreis, das bringt nicht unbedingt nur Menschen ins Land, die sich für die altehrwürdigen Ruinen von Tulum interessieren.

      Tulum, der Tempel im Paradies, wird von Experten als »postklassisch« eingestuft. Die »dekadente Architektur« (was immer das sein mag) weise, so heißt es, auf das 12. oder 13. Jahrhundert hin. Auf einer Stele wurde allerdings das Datum 564 entdeckt. Stammt also Tulum schon aus dem sechsten Jahrhundert? Kritiker wenden ein, besagte Stele sei von den Mayas aus einer älteren Siedlung nach Tulum geschafft worden. Wann auch immer die Besiedlung durch die Mayas erfolgte, wann entstand das ursprüngliche Tulum, als Pendant zur Insel der Göttin?

      Vor zwei Jahrtausenden siedelten die ersten Mayas auf Cozumel. In der klassischen Periode (300 bis 900 n. Chr.) war die Insel so etwas wie das Mekka der Mayas. Die gläubige Maya-Frau absolvierte mindestens einmal im Leben eine Pilgerreise zur Göttin. Millionen von Maya-Frauen sollen im Verlauf der Jahrhunderte nach Cozumel gekommen sein, bis Hernán Cortés (*1485; †1547) anno 1519 auftauchte und die Maya-Kultur zerstörte. Allerdings werden auch heute noch auf Cozumel, der einst heiligen Insel der Schwalben, der Göttin kleine Opfergaben dargeboten, der christlichen Geistlichkeit zum Verdruss!

      In der »weißen Mayastadt« Tulum finden sich keine sichtbaren Hinweise mehr auf die Göttin, wohl aber auf einen mysteriösen Gott. Wir kennen seinen Namen nicht mehr. In der Mythologie der Mayas wird er als »herabstürzender Gott« oder »herabsteigender Gott« umschrieben. War damit »Ah Mucen Cab« gemeint, der göttliche »Honigsammler«? »Ah Muzencab«, wie das mächtige himmlische Wesen auch genannt wurde, war in der Mythenwelt der Mayas ein Bienengott. Und in den heiligen Überlieferungen der Mayas war er ein »herabstürzender Gott«. Die »Chilam Balam«-Bücher preisen ihn als einen der Weltschöpfer. Einer der Tempel von Tulum war ihm geweiht, dem »herabstürzenden Gott«.

Herabsteigender_Gott

      Herabsteigender Gott

      Es mutet kurios an: Ein mächtiger Gott als »Honigsammler«? In der Maya-Sprache bedeutet das Wort »Honig« zugleich auch »Welt«. War dann der göttliche »Honigsammler« ein mächtiger, kosmischer Weltensammler? Wie auch immer: Offenbar stiegen in der Glaubenswelt der Mayas Götter vom Himmel herab. Im »Tempel im Paradies« wurden sie verehrt, diese kosmischen Wesen. Man findet sie immer wieder in Tulum. Die Abbildungen ähneln einander sehr: Immer wird die Gottheit mit dem Kopf nach unten und gespreizten Beinen nach oben dargestellt.

      Mit einiger Fantasie erkennt man einen »Vogelschwanz« und »Flügel« an den Armen.

      Das zentrale Gebäude von Tulum, der »Templo de los Frescos« (der »Freskentempel«) hat an zentraler Stelle die beschädigten Reste eines solchen Gottes aufzuweisen. Auch am »Castillo« wurde er in Stuck verewigt, der »herabstürzende Gott«. War es ein Gott oder gehörten mehrere Gottheiten der geheimnisvollen Gruppe der Himmlischen an, die zur Erde herabkamen?

      Fußnote:

      1) »Knaurs Kulturführer in Farbe/ Mittelamerika/ Die Welt der Maya«, Lizenzausgabe München 1996, S. 293

      Es war ein ruhiger Herbstabend in den direkt am Karibikstrand gelegenen Ruinen von Tulum. Die Busse der Touristen waren abgefahren, die mysteriöse Anlage von Tulum war fast menschenleer. Ich kam mit einem amerikanischen Geistlichen ins Gespräch. Seine Vorfahren, bettelarme Weber aus Sachsen, hatten verzweifelt die Heimat verlassen und waren nach Michigan ausgewandert. Dort lebte er als Geistlicher in einer kleinen dörflichen Gemeinde am Michigansee. »Es sind die Trümmer Babylons!«,


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