Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 4. Walter-Jörg Langbein

Monstermauern, Mumien und Mysterien Band 4 - Walter-Jörg Langbein


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höchstem Niveau, um wieder zu versinken. Doch jedem Ende wohnte bei den Mayas ein Neuanfang inne.

      Fußnoten:

      (1) Wunderlich, Hans Georg: »Die Steinzeit ist noch nicht zu Ende«, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 184

      (2) Zitiert von Wunderlich, Hans Georg: »Die Steinzeit ist noch nicht zu Ende«, Reinbek bei Hamburg 1977, S.186

      Auf einem meiner Rundgänge durch die weitläufige Anlage von Chichén Itzá zeigte mir ein tüchtiger Guide eine seltsame, verwaschene Gravur: »Das ist eine der legendären Himmelsschlangen, die einst zur Erde herabstiegen. Göttliche Besucher waren das.« Und dann verwies er mich auf eine uralte Zeremonie, die gleich nur einen Steinwurf entfernt von der Kukulkan-Pyramide zur Aufführung komme: der Flug der Voladores.

      Zum ersten Mal erlebte ich die »fliegenden Männer«, die geheimnisvollen »Vogelmenschen«, im Sommer 1964, vor dem Pavillon von Mexico auf der Weltausstellung in New York. Ich war damals neun Jahre alt und staunte über eine wagemutige Demonstration von tollkühnen Akrobaten. Seither ist mehr als ein halbes Jahrhundert verstrichen, aber ich erinnere mich sehr genau an die unglaubliche Darbietung:

Gleich_stuerzen_sich_die_Veladores_in_die_Tiefe

      Gleich stürzen sich die Veladores in die Tiefe

      Ein Indio kletterte behände auf einen etwa fünfzig Meter hohen Mast. Dort oben war ein hölzernes quadratisches Viereck angebracht. Es ruhte offenbar auf einem Lager und konnte sich wie ein Rad auf der Spitze des Mastes drehen. Der erste Indio erklomm den Mast. Seine vier Kollegen umkreisten ihn am Boden. Dabei vollführten sie stets einen bestimmten Bewegungsablauf, der sich endlose Male zu wiederholen schien.

      Die Männer gingen tänzelnd, sich immer wieder in kurzen Pausen verbeugend, um den Mast. Sie blickten, den Kopf weit in den Nacken geworfen, gen Himmel. Suchten sie etwas? Oben auf der Spitze spielte der erste Indio auf einer kleinen Flöte. Er stampfte mit den Füßen, bewegte sich im Kreis. Mit spielerischer Leichtigkeit erklommen nun die vier Indios die Höhe. Oben angekommen, schlangen sie jeweils ein Seil um ihr rechtes Fußgelenk und hielten kurz inne.

      Ihr Kollege auf der kleinen Plattform tanzte immer schneller, die Vier stürzten sich in die Tiefe, kopfüber. Nun begann der Tanz der fliegenden Männer. Die Vier streckten ihre Arme weit aus, wie beschwörend, umreisten dabei den Mast, sich auf weiter werdenden Kreisen gleichmäßig zur Erde bewegend. Ein Aufatmen ging durch die Menge, als die Männer den Flug vollendet hatten. Allein schon wie die kopfüber hängenden stolzen Nachkommen der Mayas nach der letzten Runde wieder auf die Beine kamen, erforderte akrobatische Fähigkeiten!

      Ich erinnere mich noch gut an die prächtige Kleidung der Voladores: rote Hose, weißes Hemd, rote Schärpe um die Schultern, dazu ein edler Federschmuck auf dem Kopf. So sehr mich die Leistung der Voladores auch beeindruckte, so beschlich mich auch ein seltsames Gefühl der Betroffenheit. Da standen wir, Nachfahren jener wüsten Eroberer, die die hochstehenden Kulturen Zentral- und Südamerikas ausgelöscht hatten. Und die Nachfahren der Mayas führten zu unserer Erbauung Tänze auf.

      Würde Winnetou, der von mir so verehrte Häuptling der Apachen, aus der Fantasiewelt Karl Mays, so für Touristen tanzen? War das mutige Treiben mit der Würde eines uralten Kulturvolkes zu vereinbaren? Im Verlauf der letzten vier Jahrzehnte habe ich die Voladores immer wieder gesehen: in Mexico City zum Beispiel, auch in Tulum, direkt an der Karibikküste Mexikos gelegen. In Details unterschieden sich die Darbietungen. Manchmal spielten die »fliegenden Männer« bei ihrem sausenden Weg nach unten auch noch Flöte. Aber egal wie hoch der Mast auch war, immer benötigten die vier Männer je dreizehn Umrundungen des Masts, bis sie am Boden ankamen. Dreizehn Umdrehungen pro Mann, das ergibt – bei vier Voladores – exakt 52 Umdrehungen.

      »Vor rund fünf Jahrhunderten entstand der Kult der Voladores!« habe ich in einer vielzitierten Internetquelle gelesen. Was für ein Unsinn: Die Spanier tauchten Ende des 15. Jahrhunderts in Mexiko auf, also vor rund 500 Jahren. Der »Tanz der fliegenden Männer« aber ist sehr viel älter. Er wurde lange vor der Zeit der spanischen Eroberer zelebriert, als Mittelamerika noch nicht »christlich zivilisiert« von den Europäern ausgeraubt worden war.

Kreisend_sausen_die_Maenner_in_die_Tiefe

      Kreisend sausen die Männer in die Tiefe;

      Foto Ingeborg Diekmann

      Der Kult der Voladores hat mit den alten Göttern zu tun, zum Beispiel mit Quetzalcoatl, dem »Morgenstern«. »Quetzalcoatl« lässt sich mit »Grünfederschlange« übersetzen. Quetzalcoatl war nicht die vom Christentum verteufelte Schlange aus dem Paradies-Mythos. Quetzalcoatl wurde nicht von einem Gott zum Herumkriechen verurteilt wie das Reptil der Bibel. Quetzalcoatl war selbst göttlich. Er wird mit einer heiligen, fliegenden Schlange in Verbindung gebracht. Prof. Hans Schindler-Bellamy, Erforscher südamerikanischer Mysterien uralter Kulturen, im Interview: »Quetzalcoatl alias Kukulkan war die fliegende Schlange.«

      Seltsam: die biblische Schlange wurde verteufelt. Sie bot den Menschen Wissen an. In der christlichen Glaubenswelt wird der Teufel mit Luzifer gleichgesetzt, mit Venus. Quetzalcoatl wird ebenfalls mit der Venus identifiziert und mit der fliegenden Schlange!

      Manchen Abend habe ich in den Ruinen von Chichén Itzá verbracht und zu Füßen der Pyramide des Kukulkan über die Götter Süd- und Zentralamerikas nachgedacht. Immer wieder wurde mir bewusst, dass – wie zum Beispiel in der europäischen Mythologie – Götter in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Namen tragen. Es waren aber die gleichen Götter, die nur anders tituliert wurden. Manches Mal habe ich diesem geheimnisvollen Ritus beigewohnt. Zu Beginn umtanzen die Voladores den Pfahl, blicken suchend gen Himmel. Dann steigen sie empor und fliegen wie die mythologischen Schlangen zur Erde herab. Erinnern uns die Voladores an den Besuch von »Göttern« aus himmlischen Gefilden? Warteten die Mayas auf die Rückkehr dieser Götter? Offensichtlich! Die Azteken rechneten mit der Rückkehr der Mächtigen. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Hielten sie doch zunächst die marodierenden Spanier für Götter, denen man sich als Mensch nicht widersetzen durfte!

      Quetzalcoatl, der Gott mit der »fliegenden Schlange«, wurde bei den Azteken verehrt. Die Mayas kannten ihn auch, sie nannten ihn Kukulkan. In anderen Gefilden, in den Anden, lautete sein Name Viracocha. Viracocha alias Quetzalcoatl alias Kukulkan war ein Kulturbringer, der in grauer Vorzeit den Menschen Wissen schenkte. Den Mayas soll er die Geheimnisse ihres komplexen Kalenders, der mit Jahrmilliarden rechnet, anvertraut haben. Als Viracocha kam er in der mythischen Zeit der Finsternis in die mysteriöse Stadt Tiahuanaco (1).

      Harold Osborne hat sich intensiv mit der verwirrenden Götterwelt Mittel- und Südamerikas beschäftigt. Sein Werk über die Mythologie Südamerikas ist leider nur in englischer Sprache erhältlich. Ausführlich wird auf göttliche Himmelsschlangen hingewiesen, die den Menschen Kultur schenkten (2).

      Viracocha alias Kukulkan brachte den Menschen »die Geschenke des Lichts und der Zivilisation« (3), so wie der verteufelte Luzifer, dessen Namen Lichtbringer bedeutet!

Sie_fliegen_sie_stuerzen

      Sie fliegen … sie stürzen …;

      Foto: Ingeborg Diekmann

      Die Ursprünge des Kultes um die »fliegenden Männer«, die »Vogelmenschen«, verliert sich in uralten Zeiten. Bis heute wird der uralte Ritus zelebriert, sehr zum Ärger der christlichen Kirche. Nachdem der alte Brauch nicht verboten werden konnte, wurde er christianisiert. Mag sein, dass die ersten »Voladores« in Tajin (etwa 300 Kilometer nordöstlich von Mexico-City gelegen) durch die Luft tanzten. Hier siedelten schon vor 6.000 Jahren Menschen. Von der riesigen Kultstadt ist bis heute erst ein Zehntel erforscht.

      In Tajin wird der »Voladores-Ritus« mit besonderer Inbrunst zelebriert. Die spanischen Eroberer sahen ihn als reinen Wettkampf an, ohne religiöse Bedeutung.


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