Wyatt Earp Staffel 4 – Western. William Mark D.
der Falbreiter bekam einen Stoß.
Die Lassoschlinge hatte genau in diesem Augenblick über dem Kopf des voranjagenden Jake Halbot geschwebt und wäre ihm unweigerlich über den Oberkörper gezurrt worden, hätte der Falbe nicht plötzlich abgedreht. Wyatt Earp stürzte aus dem Sattel. Er überschlug sich zweimal und blieb hinter einer Grasstaude liegen.
Jake Halbot fuhr bei dem Schuß herum, sah den Marshal vom Pferd stürzen – sah drüben die Pulverwolke, stieß einen Jubelschrei aus, warf sich nach vorn, tief über den Pferdehals, gab dem Gaul die Sporen und schoß vorwärts.
In drei Sekunden hatte er den Berg-einschnitt erreicht und hinter sich gebracht.
Der Mann im Blutdorn stieß einen halblauten Fluch aus.
Hölle und Teufel! War er denn völlig verrückt gewesen? Wie hatte er in diesem Augenblick nur schießen können!
Jetzt war der andere entkommen!
Nur zwei Sekunden hätte er noch zu warten brauchen, dann wäre die Lassoschlinge um den Körper des Verfolgten gefallen – und er hätte beide gehabt; den abgeschossenen Falbreiter und den Mann, der im Lasso gefangen war.
Brödersen zwängte sich durch den Blutdorn, warf einen kurzen Blick zu der Grasstaude hinüber, wo der Mann lag und lief dann auf seinen krummen Beinen wieselflink dem Paß zu.
Der zweite Reiter jagte in vollem Galopp weit unten in der Talsenke davon.
Brödersen schleuderte ihm einen wüsten Fluch nach. Er wußte, daß er dem Mann nun folgen mußte. So lange, bis er ihn gestellt hatte.
Aber das hatte Zeit. In den Bergen entkam dem Bushcreeper so leicht niemand.
Er wandte sich um und stiefelte auf die Grasstaude zu.
Das Gewehr schußbereit in der Hand.
Die Kugel hatte die rechte Kopfseite des Marshals hinter der Schläfe gestreift, ihm für einen Augenblick die Besinnung geraubt und ihn dadurch aus dem Sattel geworfen.
Der Sturz erst machte ihn bewußtlos.
Er kam genau in dem Augenblick zu sich, als der Heckenschütze noch etwa acht Yards vor ihm war.
Brödersen sah, daß der Mann am Boden die Augen aufschlug, riß das Gewehr hoch und –
– Wyatts Reflexbewegung war trotzdem schneller gewesen.
Der Buntline-Revolver brüllte auf.
Jussy Brödersen bekam einen Schlag wie mit einem dicken Stock vor die Brust, taumelte zurück, riß seine Augen auf, stolperte, taumelt zur Seite, ließ das Gewehr fallen und krampfte die Hände in die Brust, dann brach er zusammen.
Noch immer schwer benommen, kniete der Missourier am Boden.
Als er sich jetzt mit den Händen auf den Boden stützte, um sich zu erheben, schien sich alles um ihn herum zu drehen.
Er blieb in der knienden Stellung und beobachtete den Mann, den seine Kugel getroffen hatte.
Als Wyatt sich endlich erheben konnte, ging er mit dem Colt in der Hand auf den Heckenschützen zu.
Der hatte die Augen weit offen und starrte den Fremden an.
Wyatt kniete neben ihm nieder und riß ihm das Hemd auf.
Da schüttelte der Bandit den Kopf. »No, fellow, das Ding sitzt. God dam bloody – war das – ein – Schuß!«
Sein Kopf rollte zur Seite.
Der Bandit Jussy Brödersen war tot.
Wyatt nahm das Gesicht des Mannes in die Hand, wandte den Kopf nach oben und blickte in die starren Augen des Verbrechers.
Dann tastete er ihn ab, nahm den Cloverleaf an sich und erhob sich.
Noch immer benommen, hielt er auf den Paß zu. Allerdings nicht direkt auf den Einschnitt, sondern auf ein Gebüsch zu, das etwas seitwärts stand.
Er sah dann das ähnliche Bild, das vor kaum drei Minuten der Bandit gesehen hatte: den fliehenden Reiter weit unten in der Talsenke.
Wyatt schüttelte den Kopf und wischte sich mit der Hand über die blutende Stelle überm rechten Ohr. Dann preßte er sein Taschentuch auf die Wunde, wickelte das weiße Halstuch um den Kopf als Notverband und pfiff seinem Pferd.
Der Falbe trabe schnaubend heran.
Wyatt zog sich in den Sattel, umritt den Blutdorn, fand das Pferd des Buschräubers und preschte dann in die Talsenke hinunter.
Jake Halbot hatte keine Chance.
So sehr er sein Tier auch anstrengte, der Falbe kam ihm so rasch näher, daß der entsprungene Sträfling vor Wut aufschrie, als er sich einmal umsah. Aber die unselige Sternstunde des Dodger Marshals war noch nicht vorüber.
Der linke Vorderhuf des galoppierenden Falbhengstes geriet in einen kleinen, von dünnem Gras überwucherten Präriehasenbau. Das Tier strauchelte so hart, daß der Missourier alle Reitkünste aufwenden mußte, um es und sich selbst vor einem gefährlichen Sturz zu bewahren.
Der Falbe humpelte im Trab aus.
Wyatt sprang aus dem Sattel, mußte das tänzelnde Pferd beruhigen und untersuchte sofort das Bein.
Es war nichts zu ertasten.
Vermutlich hatte sich nur etwas im Sprunggelenk verzerrt.
Nicht allzu schlimm für das Pferd – schlimm aber für seinen Reiter, der sich erhob und mit dunklen Augen der Staubwolke nachblickte, die sich hinter dem rasend schnell davonpreschenden Sescattewasträfling nach Westen entfernte.
Wyatt wandte sich wieder seinem Pferd zu, hob den linken Vorderhuf an und betastete ihn noch einmal. Dann nahm er seine Campflasche, öffnete sie und goß dem Tier Wasser über das Gelenk.
Als er das Pferd dann am Halfter vorwärtsführte, trat es nach wie vor nur ängstlich auf dem verletzten Huf auf.
Wyatt blieb stehen, rieb sich das Kinn und nahm dann eine Zigarre aus der Tasche. Er riß ein Zündholz an und rauchte.
Der Falbe sah ihn aus großen grünen Augen traurig an, so, als fühlte er die Verzweiflung seines Freundes. Aber er war wirklich außerstande, ihn jetzt noch in schnellem Ritt weiterzutragen.
Und Wyatt war nicht der Mann, die Fortsetzung des Rittes von dem verletzten Tier zu erzwingen.
Nach einer kurzen Rast wickelte Wyatt dem Tier aus einem Leinenstück einen festen Verband um den Vorderlauf, dann ging er neben ihm her, die Talsenke durch nach Westen.
An diesem Tag setzte er sich nicht mehr in den Sattel. Merkwürdigerweise dachte er nicht an den Mann, der da vor ihm war, der entkommen war, der sein Versprechen wahrgemacht hatte. Wyatt mußte an den Toten oben vor dem kleinen Paß denken. An den aufgeschwommenen Mann, der sein Leben so sinnlos verspielt hatte.
Der Missourier hatte keine Chance mehr gehabt zu zielen. Er hatte den Revolver in einer Reflexbewegung nach vorn gestoßen.
Daß der Schuß tödlich war, war das Schicksal des Buschräubers gewesen.
Mit diesem genauen Schuß hatte sich Wyatt Earp das Leben gerettet. Jussy Brödersen hätte ihn kaltblütig ermordet.
*
Der Abend senkte sich mit sanften Schatten über das wieder ansteigende, hügelige Land.
Der Mann mit dem Pferd kam nur langsam vorwärts.
Schon hatte der flüchtige Verbrecher mehr als zwei Dutzend Meilen zwischen sich und ihn gebracht.
Als Jake Halbot plötzlich merkte, daß der Marshal ihm nicht mehr folgte, stieß er den zweiten Jubelschrei an diesem Tag aus.
Er warf den Arm hoch und brüllte: »Frei! Frei! Frei!«
Wild hämmerte er seinem Tier die Sporen in die Weichen.
Er preschte den hohen Bergen entgegen, in denen er untertauchen