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      Es war kei­ne Krank­heit, von der Ni­ko­la er­grif­fen wur­de, es war nur die­se un­end­li­che Mü­dig­keit und Schlum­mer­sucht, wäh­rend wel­cher ein jeg­li­ches dem Men­schen gleich­gül­tig wird, nur nicht das Knar­ren der Tür, das Zu­rück­schie­ben ei­nes Stuh­les oder Ti­sches, der Lärm der Gas­se und die Be­su­che selbst der bes­ten Freun­de. Vor alle die­sem aber war die Müde in dem win­ter­li­chen Wal­de, in der ver­zau­ber­ten Müh­le ganz si­cher. Der Ruf der Krä­hen und der wil­den Gän­se, wie sie ih­ren Flug über die Baum­gip­fel nah­men, stör­te nicht, son­dern klang so­gar wie eine trös­ten­de Stim­me aus dem großen wahr­haf­ti­gen Rei­che der Na­tur her­über, und das näm­li­che tat der Wind im Lei­sen und im Lau­ten.

      Auch Leon­hard Ha­ge­bu­cher, der ein­zi­ge, wel­chem aus dem wei­ten viel­ge­stal­ti­gen Krei­se, der einst sei­ne Wir­bel um die Frau Ni­ko­la zog, jetzt die Tür der Kat­zen­müh­le of­fen­blieb, stör­te nicht. Er kam auf den Fuß­spit­zen, ging auf den Fuß­spit­zen und sag­te we­nig. Stun­den­lang saß er oft mit ei­nem Bu­che in der Hand, ohne zu le­sen, in ei­nem Win­kel oder am Fens­ter der Müh­le und sah in den Wald hin­aus. Und wenn man ihn ge­fragt hät­te, an was er den­ke, an die Tan­te Schnöd­ler oder den klu­gen Schnei­der Fe­lix Täu­brich, an die Ma­dam Kul­la Gul­la zu Abu Tel­fan im Tu­mur­kie­lan­de oder an Herrn Fer­di­nand Zwick­mül­ler zu Mon­treux am Gen­fer See, so wür­de er ge­wiss häu­fig die Ant­wort auf sol­che Fra­gen schul­dig ge­blie­ben sein. Aber doch gab es et­was, an wel­ches er zu je­der Stun­de den­ken muss­te und auf wel­ches er auch all­stünd­lich mit dump­fer Un­ru­he war­te­te. Das war eine Nach­richt von dem Herrn Kor­ne­li­us van der Mook, wel­che die­ser ihm we­der münd­lich noch schrift­lich ver­spro­chen hat­te und wel­che doch ein­mal von ihm an­lan­gen muss­te: heu­te oder mor­gen, beim Früh­stück oder beim Zu­bet­te­ge­hen, am hel­len, lich­ten Mit­ta­ge oder um Mit­ter­nacht, in der Stun­de, in wel­cher die Geis­ter Er­laub­nis ha­ben, auf Er­den zu er­schei­nen, wel­che letz­te­re Zeit viel­leicht die pas­sends­te ge­nannt wer­den konn­te. –

      Ist das nicht ein wun­der­li­ches Ding im deut­schen Land, dass über­all die Kat­zen­müh­le lie­gen kann und liegt und Nip­pen­burg rund­um­her sein We­sen hat und nie die eine ohne das an­de­re ge­dacht wer­den kann? Ist das nicht ein wun­der­lich Ding, dass der Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de, der Mann vom Mond­ge­bir­ge nie ohne den On­kel und die Tan­te Schnöd­ler in die Er­schei­nung tritt? Wo­hin wir bli­cken, zieht stets und über­all der ger­ma­ni­sche Ge­ni­us ein Drit­tel sei­ner Kraft aus dem Phi­lis­ter­tum und wird von dem al­ten Rie­sen, dem Ge­dan­ken, mit wel­chem er ringt, in den Lüf­ten schwe­bend er­drückt, wenn es ihm nicht ge­lingt, zur rech­ten Zeit wie­der den Bo­den, aus dem er er­wuchs, zu be­rüh­ren. Da wan­deln die Sonn­tags­kin­der an­de­rer Völ­ker, wie sie hei­ßen mö­gen: Sha­ke­s­pea­re, Mil­ton, By­ron; Dan­te, Ari­ost, Tas­so; Ra­be­lais, Cor­neil­le, Mo­liè­re; sie säen nicht, sie spin­nen nicht und sind doch herr­li­cher ge­klei­det als Sa­lo­mo in al­ler sei­ner Pracht: in dem Lan­de aber zwi­schen den Vo­ge­sen und der Weich­sel herrscht ein ewi­ger Wer­kel­tag, dampft es im­mer­fort wie frisch ge­pflüg­ter Acker und trägt je­der Blitz, der aus den frucht­ba­ren Schwa­den auf­wärts schlägt, einen Erd­ge­ruch an sich, wel­chen die Göt­ter uns end­lich, end­lich ge­seg­nen mö­gen. Sie säen und sie spin­nen alle, die ho­hen Män­ner, wel­che uns durch die Zei­ten vor­auf­schrei­ten, sie kom­men alle aus Nip­pen­burg, wie sie Na­men ha­ben: Luther, Goe­the, Jean Paul, und sie schä­men sich ih­res Her­kom­mens auch kei­nes­wegs, zei­gen gern ein be­hag­li­ches Ver­ständ­nis für die Werk­statt, die Schreib­stu­be und die Rats­stu­be; und selbst Fried­rich von Schil­ler, der doch von al­len un­sern geis­ti­gen Hero­en viel­leicht am schroffs­ten mit Nip­pen­burg und Bums­dorf brach, fühlt doch von Zeit zu Zeit das herz­li­che Be­dürf­nis, sich von ei­nem frü­he­ren Kanz­lei- und Stamm­ver­wand­ten grü­ßen und mit ei­nem bie­dern »Weischt« an alte na­tür­lich-ver­trau­li­che Ver­hält­nis­se er­in­nern zu las­sen.

      Es lebe Nip­pen­burg und Bums­dorf, der Bier­krug und die Kaf­fee­kan­ne, der Strick­strumpf und das Din­ten­fass, es lebe der Bo­den, auf wel­chem wir ste­hen und in wel­chem wir be­gra­ben wer­den, es lebe der Herr von Bums­dorf, es lebe der On­kel und die Tan­te Schnöd­ler, es lebe der On­kel und Stadt­rat Ha­ge­bu­cher, es lebe die Cou­si­ne Kle­men­ti­ne, und vor al­len Din­gen lebe der Vet­ter Was­ser­tre­ter!

      Der mun­te­re Leut­nant Herr Hugo von Bums­dorf hat­te kei­nen Grund ge­habt, nach sei­nem nächt­li­chen Ritt zur Kat­zen­müh­le un­ter den be­hag­li­chen La­ren und Pe­na­ten sei­nes Va­ter­hau­ses aus sei­nem über­quel­len­den Her­zen eine Mör­der­gru­be zu ma­chen. Da­ge­gen hat­te er sein plötz­li­ches Er­schei­nen un­be­dingt zu recht­fer­ti­gen und tat’s auf die voll­gül­tigs­te Art und Wei­se. Er hol­te weit aus und brach wie ge­wöhn­lich häu­fig aus der Bahn; aber da­für über­sprang er auch nichts von Be­deu­tung oder was sonst den »ver­ruch­ten Pro­vin­zi­al­sumpf zum Wel­len­schla­gen brin­gen konn­te«.

      Und die Pro­vinz schlug Wel­len! So et­was war seit der Rück­kehr Leon­hard Ha­ge­bu­chers aus der afri­ka­ni­schen Ge­fan­gen­schaft nicht er­lebt wor­den und ließ sich je­nem Er­eig­nis eben­bür­tig an die Sei­te set­zen, wenn es das­sel­be nicht so­gar noch weit über­traf an all­ge­mei­ner und tief­ge­hen­der Be­deu­tung. In im­mer wei­te­rer Schwin­gung setz­te sich auch dies­mal wie­der die Be­we­gung vom Bums­dor­fer Guts­ho­fe über das Ha­ge­bu­cher­sche Haus fort, er­reich­te Nip­pen­burg auf den Flü­geln des Win­des und fand über­all einen Wi­der­hall, den sonst nur der Ruf der Feu­er­glo­cke zu fin­den das Ver­gnü­gen hat. Der Vet­ter Was­ser­tre­ter hat­te nach­her das Recht, sich ganz pas­send und klas­sisch mit dem al­ten Rö­mer Hora­ti­us Cocles, wel­cher al­lein die sub­li­zi­sche Brücke ge­gen die gan­ze Ar­mee des Kö­nigs Por­sen­na ver­tei­dig­te, zu ver­glei­chen. Wie je­ner wa­cke­re Held ver­tei­dig­te auch er so­lus die Chaus­see nach Flie­gen­hau­sen ge­gen die vor­drin­gen­den Nip­pen­bur­ger Neu­gie­ri­gen. Die Cou­si­ne Kle­men­ti­ne Mau­ser hät­te sich, frei­lich in ei­ner an­de­ren Wei­se, mit der be­rühm­ten Jung­fer Clo­elia ver­glei­chen dür­fen. Sie schwamm zwar nicht durch den Ti­ber, aber sie um­ging in Beglei­tung von zehn an­de­ren äl­tern Jung­frau­en den Vet­ter Was­ser­tre­ter und ge­lang­te wirk­lich bis zum Ro­ten Och­sen in Flie­gen­hau­sen, wo sie je­doch lei­der von Leon­hard Ha­ge­bu­cher ab­ge­fan­gen und mit der No­tiz, die Frau Baro­nin von Glim­mern sei au­gen­blick­lich noch nicht im­stan­de, Be­su­che zu emp­fan­gen – zu­rück­ge­schickt wur­de.

      Der Vet­ter Was­ser­tre­ter war auch in die­ser Zeit wie­der der ein­zi­ge Trost und Stütz­punkt, wel­chen Leon­hard au­ßer­halb der Kat­zen­müh­le fand, wie er auch der ein­zi­ge war, mit wel­chem der Afri­ka­ner über die Vor­gän­ge der letz­ten Zeit und ihre Be­deu­tung wirk­lich re­den konn­te, ohne durch einen Schwall von In­ter­jek­tio­nen be­täubt und durch einen nicht ge­rin­gern Schwall von Fra­gen platt da­nie­der­ge­legt zu wer­den.

      Der Vet­ter Was­ser­tre­ter als ein Mann, wel­cher noch den al­ten Goe­the von hin­ten er­blickt hat­te, sag­te ein­fach:

      »Mein Sohn, du hast dei­ne Sa­che recht gut ge­macht; üb­ri­gens ist es mei­ne Mei­nung, dass du an­jet­zo hier eben­so fest­sit­zest wie ich, nach­dem sie mich da­mals mit dem be­kann­ten of­fi­zi­el­len


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