Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Schmatz.

      »Sie sind ein Pracht­mensch, Ha­ge­bu­cher!« sprach sie.

      Ni­ko­la rich­te­te sich auf und sag­te, in­dem sie dem Freun­de die Hand reich­te: »Auch Sie wie­der? Sie spra­chen schon vor­hin von ei­nem Leid, das Ih­nen ge­sche­hen sei. Aber ich bin so taub und so blind! Was hat man Ih­nen wie­der an­ge­tan?«

      Leon­hard fühl­te jetzt bei­na­he ei­ni­ge Ge­wis­sens­bis­se, dass er sein klei­nes Mal­heur in sol­chem Au­gen­bli­cke dem Un­glück die­ser Frau, wenn auch in der bes­ten Ab­sicht, an die Sei­te ge­scho­ben habe. Al­lein das Mit­tel hat­te doch sei­ne Wir­kung ge­tan und das Weib des Barons von Glim­mern aus der al­ler­tiefs­ten Be­täu­bung em­por­ge­zo­gen.

      »Ich wer­de Ih­nen und der Frau Klau­di­ne das Wei­te­re in der Müh­le er­zäh­len; jetzt aber las­sen Sie uns über­le­gen, wann und auf wel­che Wei­se wir un­se­re Fahrt be­werk­stel­li­gen sol­len.«

      Es kos­te­te Mühe und viel Über­re­dungs­kunst, man­ches gute und auch ei­ni­ge har­te Wor­te, um die auf­ge­reg­te Ni­ko­la zu über­zeu­gen, dass man nicht in die­ser Stun­de und in ei­nem sol­chen Zu­stan­de des Lei­bes und der See­le auf­bre­chen kön­ne, dass man we­nigs­tens den Mor­gen er­war­ten müs­se. Nicht im­mer siegt un­ter ähn­li­chen Um­stän­den der ru­hi­ge Puls­schlag über den fie­bern­den; der Schmerz und der Zorn sind fast eben­so hart­nä­cki­ge Geg­ner des Ver­stan­des als die Lie­be; aber die­ses Mal sieg­te Ha­ge­bu­cher zu­letzt doch. Gleich ei­nem mat­ten, aus­ge­wein­ten Kin­de ließ er Ni­ko­la auf den Kis­sen und in der Ob­hut der Ma­jo­rin und ging zu den bei­den Her­ren zu­rück. Er fand die­sel­ben noch in der­sel­ben Stel­lung, in wel­cher er sie vor ei­ner hal­b­en Stun­de hin­ter sich ließ.

      »Wie geht es den Da­men? Wie geht es mei­ner ar­men Cou­si­ne?« rief der Leut­nant. »O Ha­ge­bu­cher, ich habe schon sehr häu­fig recht bäng­lich an ei­ner Türe ge­war­tet, doch noch nie­mals in ei­ner sol­chen ab­so­lu­ten Auf­lö­sung wie jetzt. Auch mir wä­ren die schwe­di­schen Hör­ner au­gen­blick­lich lie­ber als man­ches an­de­re, und ob­gleich ich ein gu­ter Kerl und leicht zu über­zeu­gen bin, et­was sei wahr oder et­was ge­hö­re ins Reich der Fa­bel, so kann ich – kann ich mit dem bes­ten Wil­len nicht an die­sen Herrn van der Mook glau­ben, und was die Mei­nung des Ma­jors be­trifft, so fra­gen Sie ihn sel­ber da­nach.«

      Der Ma­jor schüt­tel­te den Kopf und zeig­te sich von neu­em als ein wohl­be­le­se­ner Kriegs­mann. Er zi­tier­te:

       »Dies

       Gibt wie ein Trau­ben­schuss an vie­len Stel­len

       Mir über­flüss­gen Tod.«

      »Ich den­ke nicht!« mein­te Leon­hard und konn­te trotz al­ler Not und Sor­ge ein Lä­cheln über das so un­ge­mein cha­rak­te­ris­ti­sche Ge­ba­ren der bei­den mi­li­tä­ri­schen Her­ren nicht un­ter­drücken. »Vik­tor Feh­ley­sen lebt und ist heim­ge­kehrt, und, wie ich glau­be, uns al­len zum Heil. Sie, Freund Bums­dorf, wer­den zu­erst die Ge­le­gen­heit ha­ben, den Wie­der­au­fer­stan­de­nen zu be­grü­ßen. Wir grei­fen mit bei­den Hän­den nach der Hil­fe, wel­che Sie uns an­bo­ten; Sie müs­sen auf der Stel­le nach der Kat­zen­müh­le, und es wird Ihre Sa­che sein, auf wel­che Art Sie die Müh­le am si­chers­ten und schnells­ten er­rei­chen. Auf der Stel­le müs­sen Sie auf­bre­chen, um den Herrn van der Mook von al­lem, was hier ge­sch­ah, in Kennt­nis zu set­zen. Er wird be­grei­fen, was er zu tun hat, und Ni­ko­las An­kunft nicht am Her­de sei­ner Mut­ter er­war­ten. Ge­ben Sie ihm von al­lem Nach­richt, vor­züg­lich von der Flucht Glim­merns und der wil­den Ver­fol­gung des Leut­nants Kind. Der nächs­te Ei­sen­bahn­zug in der Rich­tung geht erst mor­gen ab; Sie wer­den den Weg also zu Pfer­de zu­rück­le­gen müs­sen. Wird sich das tun las­sen?«

      »Ich führ­te dem Al­ten den Pro­spe­ro bei ganz ähn­li­cher Wit­te­rung und eben­falls in tiefs­ter Nacht aus!« rief der Leut­nant, zum ers­ten Mal seit län­ge­rer Zeit wie­der das Glas ins Auge knei­fend und freund­lich den Afri­ka­ner da­durch be­trach­tend. »Das Ver­bre­chen ge­lang voll­kom­men, das heißt, der ent­rüs­te­te Greis hol­te mir den Gaul erst hier am Ort wie­der aus dem Stal­le. Ha­ge­bu­cher, ich dan­ke Ih­nen herz­lich, Sie ha­ben mich durch die­sen Auf­trag von neu­em zu ei­nem Mann ge­macht. Ich wer­de rei­ten, wie noch nie­mals ein ver­nünf­ti­ger Mensch ritt. Las­sen Sie mich se­hen – ein Uhr vor­über! Ich wer­de den ar­men Ro­land dran­set­zen, und wenn er und ich nicht den Hals bre­chen, so bin ich um sechs Uhr in Nip­pen­burg und zwi­schen sie­ben und acht Uhr vor der Kat­zen­müh­le.«

      »So sind wir ge­ret­tet. Nach Mit­tag wer­de ich mit der Frau Ni­ko­la vor der Tür der Frau Klau­di­ne an­lan­gen«, sag­te Leon­hard.

      Der Leut­nant hat­te be­reits den Sä­bel zu­recht­ge­rückt und griff jetzt nach der Müt­ze. »Emp­feh­len Sie mich mei­ner Cou­si­ne – in ei­ner Vier­tel­stun­de sit­ze ich im Sat­tel. Ich wür­de Pe­ga­sus und das Ross der vier Hai­mons­kin­der für sie zu­schan­den rei­ten. Ach, ar­mer Ro­land!«

      »Der Herr Papa wird den Rit­ter­dienst gleich­falls zu schät­zen wis­sen«, sprach Ha­ge­bu­cher trös­tend, und Herr Hugo von Bums­dorf ließ das Glas vom Auge fal­len, rief: »Es ist wahr« und füg­te hin­zu: »Lie­ber Freund, ich set­ze so­wohl als Ka­va­lier wie als Mensch das gute Vieh ohne Ge­wis­sens­skru­pel dran und wer­de mit Ver­gnü­gen auch in Ihrem ei­ge­nen Hau­se Ihre dem­nächs­ti­ge An­kunft mel­den. Au re­voir un­ter ge­müt­li­che­ren Um­stän­den!«

      Er sprang fort, und der Ma­jor sag­te:

      »Ihre Bot­schaft ist in gu­ten Hän­den, Ha­ge­bu­cher. Ich wer­de üb­ri­gens da­für sor­gen, dem Toll­kopf den nö­ti­gen Ur­laub nach­träg­lich zu ver­schaf­fen; aber was kann ich wei­ter tun? Ich füh­le mich so nutz­los und möch­te doch auch mei­nes­teils gern in die­sen erns­ten Au­gen­bli­cken han­delnd ein­grei­fen.«

      Ha­ge­bu­cher zuck­te die Ach­seln:

      »Was kön­nen wir alle tun? Wir brei­ten un­se­re Män­tel auf dem Wege aus, aber der Weg selbst führt nichts­de­sto­we­ni­ger nach Gol­ga­tha. Wenn die Kraft, das schlim­me Ver­häng­nis zu er­tra­gen, nicht in der ei­ge­nen Brust des Op­fers wäre, so wür­de al­les, was wir zur Mil­de­rung der Kri­sis voll­brin­gen kön­nen, gleich­gül­tig, ja viel­leicht zum Scha­den sein. Ge­hen Sie jetzt zu den Frau­en; es wird sich Ge­le­gen­heit zu man­chem gu­ten und erns­ten Wort fin­den. Ich wer­de mei­ne ei­ge­nen Vor­be­rei­tun­gen zur Rei­se tref­fen. Wenn Sie die – Kran­ke be­we­gen könn­ten, sich für ei­ni­ge Au­gen­bli­cke nie­der­zu­le­gen, wür­den Sie ein großes Werk ver­rich­ten.«

      Wie dem Leut­nant von Bums­dorf gab der Afri­ka­ner nun auch noch dem Ma­jor Wild­berg einen ge­dräng­ten Be­richt über die Heim­kehr Vik­tor Feh­ley­sens, trat dann noch ein­mal in das Zim­mer der Frau Emma und fand da­selbst nichts ver­än­dert. Er ver­such­te es auch kei­nes­wegs, von Ver­nunft, See­len­stär­ke und Phi­lo­so­phie zu schwat­zen, son­dern nahm nur still und herz­lich Ab­schied von der Ma­jo­rin und zeig­te an, dass er um acht Uhr mit ei­nem Wa­gen vor der Tür hal­ten wer­de. Ni­ko­la von Glim­mern schi­en ihn kaum zu be­mer­ken, und so ver­ließ er das Haus und fand sei­nen Weg lang­sam zur Kes­sel­stra­ße zu­rück.

      Die Stadt war jetzt so dun­kel und still, wie nur eine klei­ne deut­sche Re­si­denz


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