Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ganz wohl und warm, kurz, ich war ganz in der Stim­mung, alle Din­ge so leicht als mög­lich zu neh­men und nicht über die an­ge­neh­me Stun­de hin­aus­zu­den­ken.«

      »Wo war Ni­ko­la?« frag­te der Afri­ka­ner.

      »Wir hat­ten im Be­ginn des Abends einen Au­gen­blick mit­ein­an­der ge­schwatzt, doch, da sie be­reits am Nach­mit­tag bei mei­ner Frau ge­ses­sen hat­te, uns kaum et­was mit­zu­tei­len ge­habt. Ich ver­lor sie dann bald aus den Au­gen und, auf­rich­tig ge­stan­den, habe mich auch wei­ter nicht nach ihr um­ge­se­hen. Es wa­ren sehr vie­le Men­schen ge­gen­wär­tig, und es ist eine Ei­gen­tüm­lich­keit von mir, dass ich die Wei­ber, mei­ne Emma aus­ge­nom­men, so­bald sie in Mas­se er­schei­nen und in ih­ren großen Toi­let­ten da­her­fah­ren, sehr schwer er­ken­ne und von­ein­an­der un­ter­schei­de.«

      Trotz sei­ner Auf­re­gung oder viel­leicht noch mehr in­fol­ge sei­ner Auf­re­gung fiel es dem Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de als eine Merk­wür­dig­keit auf, wie wort­reich und wie weit­schich­tig und weit­schwei­fig in ih­ren Be­rich­ten der fünf­zig­jäh­ri­ge Frie­de alle die­se jün­gern und äl­tern Kriegs­leu­te des Deut­schen Bun­des ge­macht hat­te. Bei­na­he hät­te er die­se Merk­wür­dig­keit als eine Merk­wür­dig­keit dem Ma­jor nicht vor­ent­hal­ten; al­lein un­ter dem Ein­druck, dass die Zeit ei­gent­lich auch dazu nicht aus­rei­che, schwieg er und tat wohl dar­an. Sie schrit­ten eben an der Po­li­zei­di­rek­ti­on, auf der ent­ge­gen­ge­setz­ten Sei­te der Stra­ße, vor­über, blie­ben, von der­sel­ben Emp­fin­dung an­ge­hal­ten, ste­hen und blick­ten nach dem statt­li­chen dun­keln Ge­bäu­de hin. Noch war ein Teil der Lich­ter nicht aus­ge­löscht, un­ru­hi­ge Schat­ten glit­ten an den Vor­hän­gen vor­über; vor der halb ge­öff­ne­ten Tür stand eine Grup­pe von Män­nern im lei­sen, eif­ri­gen Ge­spräch, und wie­der roll­te ein Wa­gen um die Ecke und in das große Ein­fahrts­tor.

      »Das war der Herr von Bet­zen­dorff selbst, und ich kann Ih­nen sa­gen, wo­her er kommt. Er war im Palais, um Sei­ner Ho­heit Rap­port ab­zu­stat­ten und sich die An­sich­ten und Wün­sche der Herr­schaf­ten in be­treff die­ses Fal­les zu ho­len. Der arme Mann! Er war sehr eng li­iert mit die­sem Glim­mern, und hat man wahr­lich nicht Ur­sa­che, ihn um die Wege und Gän­ge die­ser Nacht zu be­nei­den. Und was wird erst mor­gen sein?«

      »Was küm­mert uns die Mil­li­on!« rief Leon­hard ziem­lich barsch und zog den wür­di­gen Krie­ger mit sich fort. »Das ist gleich ei­nem Schlacht­feld nach der Schlacht; wir wol­len nichts mit den Lei­chen­räu­bern und To­ten­grä­bern zu schaf­fen ha­ben – er­zäh­len Sie mir jetzt, wie der Leut­nant Kind in den Ball­saal kam.«

      »Der Herr von Glim­mern ver­teil­te die Kar­ten zu ei­nem neu­en Spiel, und ich hat­te mir von Ihrem Täu­brich ein Glas Zucker­was­ser aus­ge­be­ten. Ich glau­be auch, es soll­te eben im Saal ein neu­er Tanz be­gon­nen wer­den, als er in der Tür stand und je­ner Täu­brich mit dem Prä­sen­tier­tel­ler in den zit­tern­den Hän­den ne­ben ihm. Er trug sei­ne Uni­form und den De­gen an der Sei­te, ich hielt ihn an­fangs für eine Mas­ke, und er hat­te, um zu uns zu ge­lan­gen, den Saal quer durch­schrit­ten und so­gleich ein ziem­li­ches Auf­se­hen un­ter den Her­ren und Da­men er­regt. Von dem jun­gen Volk lach­ten ei­ni­ge, und ein paar hüb­sche Mäd­chen­köp­fe scho­ben sich ihm nach um die Vor­hän­ge, und die Frau von Bet­zen­dorff trat schnell mit ihm ein und sah ihn sehr ver­wun­dert vom Kopf bis zu den Fü­ßen an. Der Herr von Glim­mern aber sah ihn nicht, denn er hat­te, wie ge­sagt, der Tür den Rücken zu­ge­kehrt und gab sei­ne Kar­ten mit al­ler Zier­lich­keit. Auch der Po­li­zei­di­rek­tor wur­de erst durch sei­ne Frau, den Tri­bu­nal­rat und mich auf­merk­sam; aber der Mann ist durch sein Amt an man­cher­lei selt­sa­me Er­schei­nun­gen ge­wöhnt und zog im An­fang nur et­was ver­wun­dert die Au­gen­brau­en in die Höhe. Er woll­te sich er­he­ben, wahr­schein­lich um den wun­der­li­chen Gast von fer­ne­rer Stö­rung sei­nes Fes­tes ab­zu­hal­ten und ihn an Stun­de und Ort zu er­in­nern; aber da sprach Ihr Täu­brich luft­schnap­pend: ›Der Herr Leut­nant Kind!‹, und der Leut­nant leg­te dem Herrn von Glim­mern die Hand auf die Schul­ter. Ich bin ziem­lich ner­vös und habe einen Sinn für vie­le Klei­nig­kei­ten, wenn mei­ne Auf­merk­sam­keit er­regt ist, und jetzt sah ich die­ses al­les ganz ge­nau und kann Ih­nen da­von spre­chen, Ha­ge­bu­cher. Er leg­te ihm die Hand auf die Schul­ter, ganz lei­se und fast, als wol­le er sich dar­auf stüt­zen – ganz ohne al­len Ei­fer; aber das ist mir in die­sem Mo­ment nur umso un­heim­li­cher. Und der Herr von Glim­mern, wel­cher die Mel­dung Ihres Täu­brichs über­hört ha­ben muss­te, blick­te sich zu­erst auch gar nicht um. Er muss­te glau­ben, ein Be­kann­ter be­rüh­re ihn, und er teil­te ru­hig lä­chelnd die letz­ten Kar­ten aus. Als er sich dann um­blick­te, ver­schwand frei­lich das Lä­cheln; er fuhr zu­sam­men und biss die Lip­pen fest auf­ein­an­der. – ›Ich bin der Leut­nant Kind!‹ sag­te der Leut­nant nun eben­falls, und er sag­te es kei­nes­wegs un­freund­lich und dro­hend. ›Was soll die­ses, Herr, was wün­schen Sie von mir?‹ frag­te der In­ten­dant; doch der Alte ant­wor­te­te nicht, son­dern klopf­te ihm nur lei­se auf die Schul­ter und wen­de­te sich ge­gen uns, wäh­rend die Frau vom Hau­se sich be­reits nach den an­de­ren Be­dien­ten um­sah. In die­sem Au­gen­blick stand auch Ni­ko­la schon zwi­schen den ro­ten Vor­hän­gen der Tür, dicht hin­ter dem Leut­nant Kind, und der Leut­nant hat­te sich, wie ge­sagt, an uns ge­wen­det und sprach lei­se, wie je­mand, der gar kein Auf­se­hen zu ma­chen wünscht: ›Die Her­ren soll­ten sich doch ein we­nig vor­se­hen, mit wem sie sich zum Spie­le nie­der­set­zen; es steckt wohl man­che schmut­zi­ge Hand im wei­ßen Hand­schuh, und es fällt wohl man­che falsche Kar­te auf den Tisch!‹ Wir wa­ren alle auf­ge­sprun­gen, und der Herr von Glim­mern hat­te sei­nen Stuhl um­ge­wor­fen. ›Das ist ein Wahn­sin­ni­ger! Wie ist er nur her­ein­ge­kom­men?‹ rief die Frau vom Hau­se; aber der Alte sag­te: ›Nein, Ma­dam, es ist kein Wahn­sin­ni­ger, es ist der Leut­nant Kind, und der hat das Recht, hier ein­zu­tre­ten.‹ Und jetzt rich­te­te er sich in sei­ner gan­zen Län­ge em­por und rief mit lau­ter Stim­me: ›Ich kla­ge den Frei­herrn Fried­rich von Glim­mern in sei­ner ei­ge­nen Kom­pa­nie und Freund­schaft des Be­trugs an! Es passt mir so bes­ser und wird den Herr­schaf­ten ge­wiss auch so am liebs­ten sein.‹«

      »Wie teuf­lisch, wie raf­fi­niert teuf­lisch! O die Ra­che ist eine große Künst­le­rin!« rief Leon­hard Ha­ge­bu­cher.

      »Es war die Bom­be aus dem Bla­ke­lymör­ser!« rief der Ma­jor. »Sie fiel un­ter uns und zer­sprang re­gel­recht in ihre hun­dert­und­drei­ßig Stücke.«

      »Vor sei­ner Ge­sell­schaft! Vor sei­ner Freund­schaft!« mur­mel­te Ha­ge­bu­cher. »Und Ni­ko­la? Ni­ko­la?«

      »Ich sehe al­les durch einen feu­ri­gen Ne­bel! Ich sehe Pa­pie­re in den Hän­den des Tri­bu­nal­ra­tes und des Herrn von Bet­zen­dorff und hun­dert blei­che Ge­sich­ter – Uni­for­men – nack­te Schul­tern und tan­zen­de Flam­men. Das enge Ge­mach, in wel­chem wir sa­ßen, ist plötz­lich ver­schwun­den, ich bin in dem Saa­le, wo der Tanz sich auf­ge­löst hat – ich bin be­trun­ken, tau­melnd, und nun ist al­les um­her mit ei­nem Male re­gungs­los, und nur eine hohe Ge­stalt, eine Frau in ei­nem wei­ßen Klei­de schrei­tet an mir vor­über und durch den Saal, und vor und hin­ter ihr bil­det sich eine Gas­se durch die Blu­men, Fe­dern und Lich­ter. Ich rufe ih­ren Na­men: Ni­ko­la! Ni­ko­la! Aber sie sieht sich nicht um. Ich bin auf der Trep­pe – in der Gas­se – in der Dun­kel­heit, die dann wie­der zu dem Schein ei­ner Gas­la­ter­ne wird. Ich fin­de mich bar­häup­tig in ei­nem Hau­fen Vol­kes,


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