Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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und eine Frau be­zeich­nen kann –

      ja, kom­mun ist es, Fer­di­nand Zwick­mül­ler! O wel­chen Kuckuck hab ich mir im Nes­te aus­ge­brü­tet! Und wie das Kind sei­ne Rol­le ge­spielt hat! O was soll ich tun, was soll ich tun?«

       »Was man nicht de­kli­nie­ren kann,

       das sieht man als ein neu­trum an!«

      sprach Leon­hard Ha­ge­bu­cher. »Ich glau­be nicht, dass Ih­nen et­was an­de­res üb­rig­bleibt, als die­se Sa­che in der Art an­zu­se­hen.« Der Pro­fes­sor aber fuhr em­por und mit aus­ge­brei­te­ten Ar­men dem Afri­ka­ner ent­ge­gen:

      »Wis­sen Sie es schon? Was sa­gen Sie dazu? Hat man es Ih­nen un­ten im Hau­se zu­ge­jauchzt? Ha­ge­bu­cher, ver­las­sen Sie mich nicht! Blei­ben Sie bei mir! Ja, hier ist der Bu­sen, wel­cher mir von den tau­send Brüs­ten der al­ler­näh­ren­den Mut­ter al­lein noch üb­rig­b­lieb! Was sa­gen Sie zu der heil­lo­sen Ge­schich­te?«

      »Ich gra­tu­lie­re bes­tens«, sag­te Ha­ge­bu­cher so mun­ter, als es sich eben tun las­sen woll­te. »Nach ei­nem trif­ti­gen Grun­de zur Verzweif­lung bli­cke ich mich ver­ge­bens um.«

      »So? Da dan­ke ich Ih­nen ganz ge­hor­samst, mein Freund. Es ist in der Tat merk­wür­dig, es ist eine der größ­ten Merk­wür­dig­kei­ten, wel­che es auf Er­den ge­ben kann: selbst die Ver­nünf­tigs­ten, die Ver­stän­digs­ten, die Nüch­t­erns­ten und Tro­ckens­ten kön­nen die Hand nicht da­von las­sen. Ei­nen Grund zur Verzweif­lung sehe auch ich nicht; aber als den­ken­der Mensch, als vor­ur­teils­frei­er Be­trach­ter mensch­li­cher Ver­hält­nis­se är­ge­re ich mich un­ge­mein.«

      »Wenn der Herr Zwick­mül­ler sonst ein an­stän­di­ger Ge­sell ist –«

      »Sei­en Sie mir still! Ein an­stän­di­ger Mensch? Ich woll­te nur, Sie kenn­ten ihn per­sön­lich.«

      »Das wür­de mir frei­lich am heu­ti­gen Abend zu großer Ge­nug­tu­ung ge­rei­chen«, brumm­te der Afri­ka­ner.

      »Ich wünsch­te, Sie kenn­ten ihn, wie ich ihn ken­ne. Solch ein treff­li­cher Jüng­ling und aus­ge­zeich­ne­ter Ma­the­ma­ti­ker wird nicht leicht zum zwei­ten Mal in die­sem ir­di­schen Jam­mer­tal ge­fun­den. Er ist viel zu gut für mich, und an sei­nem Äu­ßern ist nicht das min­des­te aus­zu­set­zen. So nüch­tern, so ver­stän­dig ist er – ach, Ha­ge­bu­cher, dort pfleg­te er zu sit­zen, dort auf Ihrem Stuh­le, Ha­ge­bu­cher, und dann pfleg­te er die Un­ter­lip­pe gra­de­so wie Sie in die­sem Au­gen­bli­cke her­un­ter­hän­gen zu las­sen, was mich dar­auf bringt, dass Sie mir eben auch nicht aus­se­hen wie sonst. Na, ich dan­ke Ih­nen noch­mals für Ihre in­ni­ge Teil­nah­me, denn in ihr wur­zelt doch hof­fent­lich Ihre Ver­stim­mung. Was wollt ich aber sa­gen? Rich­tig – rich­tig, die Lip­pe hing ihm sehr häu­fig her­ab; o man muss­te ihn sehr zart an­grei­fen, man war zu kei­ner Zeit si­cher, ob man ihn nicht un­wis­sent­lich aufs tiefs­te ge­kränkt habe. Er ist ein we­nig ner­ven­schwach, der Gute, und kann ei­nem die harm­lo­ses­te Be­mer­kung sechs Wo­chen lang nach­tra­gen; aber was das be­trifft, so passt er ganz zu dem Mäd­chen, und sie wer­den eine recht ver­gnüg­te Ehe zu­sam­men füh­ren.«

      »Der Herr seg­ne sie alle bei­de!« brumm­te Ha­ge­bu­cher.

      »Als Va­ter und Schwie­ger­va­ter muss ich pflicht­ge­mäß wohl das­sel­be wün­schen, aber mei­nen Miss­mut kann das nur er­hö­hen. Jah­re­lang hat die­ser Zwick­mül­ler dort auf Ihrem Stuh­le ge­ses­sen, und jah­re­lang habe ich im Schwei­ße mei­nes An­ge­sichts an sei­ner Aus­bil­dung ge­ar­bei­tet, und über das Ver­hält­nis zwi­schen den bei­den Ge­schlech­tern habe ich mich in den Pau­sen erns­te­rer Be­schäf­ti­gung wahr­haf­tig ein­ge­hend ge­nug aus­ge­las­sen. Wäre er mein leib­li­cher Sohn ge­we­sen, so hät­te ich die­sen Fer­di­nand nicht zärt­li­cher, nicht herz­li­cher war­nen kön­nen. Wenn ich nicht irre, so habe ich Ih­nen frü­her schon er­zählt, wie ich dann, als sich be­denk­li­che Sym­pto­me zeig­ten, dass al­les doch ver­geb­lich sei, ihn kurz­weg aus dem Hau­se jag­te und wie er mir spä­ter aus der Frem­de schrieb und sich für mein kor­rek­tes Ver­fah­ren in­nig be­dank­te. Fort­wäh­rend stan­den wir im ver­trau­lichs­ten Brief­wech­sel; o der Hin­ter­lis­ti­ge be­haup­te­te, nie et­was ohne mei­nen Rat tun zu wol­len, und nun tut er mir die­ses an! Hier sit­ze ich ru­hig und den­ke an nichts, oder ich den­ke viel­mehr sehr tief über das N in πνω, πνευμα snuf, nys, nas, snut nach, aber was mir be­vor­steht, das rie­che ich nicht. Kommt das Mäd­chen plötz­lich wie eine Winds­braut her­ein­ge­stürmt, hält mir von hin­ten die Au­gen zu, lacht und weint, ki­chert und schluchzt, küsst mich und schiebt mir, als ich mich ver­wun­dert nach dem Grun­de des Ge­tö­ses er­kun­di­ge, einen Brief un­ter die Nase, wel­cher al­les πνευμα auf der Stel­le aus mir her­aus­treibt. Was schreibt der Sch­lin­gel? Von dem schar­fen Auge vä­ter­li­cher Lie­be schreibt er, und es kön­ne mir ge­wiss nicht ent­gan­gen sein und so wei­ter, und sei­ne Hochach­tung und sei­ne Ver­eh­rung für mich sei­en un­er­mess­lich und so wei­ter, und sei­ne ma­te­ri­el­len Um­stän­de sei­en der­ar­tig, dass er sich wohl ge­traue, eine Frau zu er­näh­ren. Ha­ge­bu­cher, Ha­ge­bu­cher, wis­sen Sie, was ein Öl­göt­ze ist? Ich wuss­te es auch nicht, je­doch in die­sem Au­gen­bli­cke wur­de mir die Be­deu­tung des Wor­tes klar. Wie ein Öl­göt­ze saß ich da, und vor mir stand das Mäd­chen und wuss­te nichts Bes­se­res zu tun, als mir im­mer von neu­em um den Hals zu fal­len und zwi­schen Heu­len und Jauch­zen zu zwit­schern: ›Ja, Papa, liebs­ter, liebs­ter Papa, es ist so, es ist wirk­lich so, und es ist eine sol­che alte Ge­schich­te, und wärst du nicht mein al­ter, lie­ber, dum­mer Papa, so wür­dest du ge­wiss nicht ein sol­ches Ge­sicht dazu ma­chen!‹ – Nun fra­ge ich Sie, Leon­hard, was für ein Ge­sicht soll­te ich ma­chen? Wenn ich in vier­zehn Ta­gen dar­über mit mir im kla­ren bin, so will ich mich glück­lich schät­zen. Ich will nicht mit den Göt­tern rech­ten, doch wes­halb muss die­ses gra­de mir pas­sie­ren? Wes­halb müs­sen gra­de mir die ver­stän­digs­ten, die hoff­nungs­volls­ten Men­schen, die so­li­des­ten jun­gen Leu­te un­ter den Hän­den zu Nar­ren wer­den? Weil ich eine hüb­sche Toch­ter habe? Ist das ein Grund? Ha­bent sua fata puel­lae! Frei­lich, frei­lich ha­ben sie ihre Schick­sa­le; aber war es wirk­lich zur Er­hal­tung und Ver­schö­ne­rung des­sen, was Mar­kus Tul­li­us Ci­ce­ro die Woh­nung der Göt­ter und Men­schen, do­mus com­mu­nis deorum ho­mi­num­que, nennt, nö­tig, dass mir mein ei­gen Fleisch und Blut das ei­ge­ne Dach über dem Kop­fe ab­de­cke? O Ha­ge­bu­cher, wes­halb hie­ßen Sie nicht Zwick­mül­ler, und wes­halb führ­te das Schick­sal je­nen nicht zu den Kaf­fern und Hot­ten­tot­ten? Sie wür­den mir ge­wiss nicht einen sol­chen Streich ge­spielt ha­ben. Ja, Sie sind mein ein­zi­ger Trost; in die­sem Au­gen­bli­cke er­quickt mich Ihre Ge­gen­wart, aber in den nächs­ten Ta­gen, wenn der Narr von Genf an­ge­langt ist und mit der Dir­ne das Wei­te­re ver­ab­re­det, wird sie mir un­schätz­bar und durch nichts an­de­res zu er­set­zen sein.«

      »Herr Pro­fes­sor!…« hub Ha­ge­bu­cher mit ei­nem vol­len Atem­zu­ge an, wie je­mand, der im Be­griff ist, eine sehr lan­ge Rede zu hal­ten, sehr viel zu sa­gen hat und das, was er auf dem Her­zen trägt, im Geis­te wohl ord­ne­te und zu­recht­leg­te. »Herr Pro­fes­sor!« sprach Ha­ge­bu­cher mit kräf­tigs­tem Nach­druck im tiefrol­len­den Brust­ton, und dann – dann brach er ab, ehe er an­ge­fan­gen hat­te, schüt­tel­te stumm, ge­rührt dem Papa Rei­hen­schla­ger die Hand, schnapp­te drei­mal nach Luft, ent­wich schwan­kend, und drau­ßen auf der Trep­pe setz­te er sei­ne


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