Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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sehr auf­merk­sa­mer und ge­wand­ter Mensch war und dass kei­ne grö­ße­re Fest­lich­keit in der Re­si­denz ohne sei­ne Bei­hil­fe statt­fin­den konn­te.

      »Wir be­sit­zen ihn nur in der grie­chi­schen Über­set­zung ei­nes ge­wis­sen Phi­lo aus der Stadt By­blus, und ei­ni­ge wol­len so­gar be­haup­ten, dass wir ihn gar nicht mehr be­sit­zen«, sag­te Leon­hard träu­me­risch über sein Buch weg und füg­te hin­zu: »Ich könn­te sie jetzt in mein Haus füh­ren, und mein al­tes Müt­ter­chen wür­de sie mit of­fe­nen Ar­men emp­fan­gen! Das ist die große Fra­ge un­ter den Ge­lehr­ten, ob er zur Zeit der Se­mi­ra­mis oder zur Zeit Alex­an­ders des Gro­ßen oder ob er gar nicht leb­te. Mir ist es un­ge­mein gleich­gül­tig; – sie hat in ih­res Va­ters Hau­se Ge­le­gen­heit ge­nug ge­habt, mit Nar­ren um­ge­hen zu ler­nen. Sei­ne Leh­rer sol­len die phö­ni­zi­schen Ober­pries­ter Hie­rom­ba­lus und Jaro­ba­lus ge­we­sen sein! O Gott, ob sie in ih­res Va­ters Hau­se wohl auch ge­lernt hat, ei­nem Ge­sel­len wie mir kei­nen Korb zu ge­ben? Hie­rom­ba­lus und Jaro­ba­lus! Ich däch­te, wir müss­ten ein stil­les, so­li­des Ehe­paar dar­stel­len!«

      »Das den­ke ich auch!« rief Täu­brich-Pa­scha, der vor En­thu­si­as­mus kaum im­stan­de war, sei­ne Na­del ein­zu­fä­deln.

      »Ja, wes­halb nicht?!« sprach Leon­hard Ha­ge­bu­cher im­mer nach­denk­li­cher.

      Er warf den al­ten Phö­ni­zier auf den Tisch, sprang em­por und schritt im Zim­mer auf und ab:

      »Ich bin nicht mehr in den Jah­ren, in wel­chen es noch tun­lich ist, et­was auf den an­de­ren Mor­gen zu ver­schie­ben. Das wäre nun frei­lich wohl ein Grund, sich hier noch recht lan­ge zu be­sin­nen, al­lein – – – was wün­sche ich, was kann ich noch er­rei­chen in die­ser när­ri­schen eu­ro­päi­schen Welt? Wahr­lich, ich ken­ne die jetzt ge­nug wie­der, um in dem Krei­se, wel­chen ich mit der Spit­ze mei­nes Stockes um mich zu zie­hen ver­mag, ein Ge­nü­gen fin­den zu kön­nen. Was mei­nen Sie, Täu­brich, wenn ich so um die Zeit der her­an­bre­chen­den Däm­me­rung mei­nen Rock an­zö­ge und mich auf den Weg zum Pro­fes­sor mach­te? Wahr­schein­lich wür­de ich sie dann in der Kü­che ne­ben dem hel­len Feu­er fin­den, und sie sieht al­ler­liebst in der Be­leuch­tung aus. Ich könn­te mit ihr ei­ni­ge Au­gen­bli­cke in die Flam­men gu­cken, um so­dann, wenn wir alle bei­de un­se­re Ge­dan­ken ge­nug ge­sam­melt ha­ben wür­den, zu sa­gen: Se­re­na, mein Kind, ich bin zu ei­nem Ent­schluss ge­kom­men, wol­len Sie eine Bit­te ei­nes wun­der­li­chen, aber doch ganz ehr­li­chen Man­nes an­hö­ren? Und wenn sie dann die Ach­seln zuck­te und mit dem Kop­fe nick­te, so könn­te ich ziem­lich ru­hig fort­fah­ren: Se­re­na, mein Kind, ich hab es mir nach al­len Sei­ten hin über­legt, ich möch­te Sie ganz für mich be­sit­zen, und dem Papa soll­te doch nichts von sei­ner häus­li­chen und ge­lehr­ten Be­hag­lich­keit ab­han­den kom­men. Ich dürf­te dann wohl noch ein­mal eine Ex­kur­si­on in mei­ne Ver­gan­gen­heit ma­chen, doch die­ses viel­leicht nicht zum Scha­den der Aus­sich­ten in die Zu­kunft, und wenn in die­sem Au­gen­bli­cke mein Dä­mon, wel­cher auch über die­se Stun­de wacht, den Topf über­ko­chen lie­ße, so ist es mei­ne fes­te Über­zeu­gung, dass sie, nur ein klein we­nig röt­li­cher an­ge­haucht, ihn von der Glut ab­rücken und, den De­ckel in der Hand hal­tend, lis­peln wür­de: »Herr Gott, Herr Ha­ge­buch – Leon­hard! – Da wäre dann si­cher­lich be­reits der ers­te Kuss ge­fal­len, Täu­brich, und wir hät­ten nur noch die Trep­pe hin­auf­zu­stei­gen, um den Papa von dem Vor­ge­fal­le­nen in Kennt­nis zu set­zen.«

      Es war ein Ver­gnü­gen, den Pa­scha in die­sem Mo­ment, wäh­rend die­ser Schil­de­rung zu be­ob­ach­ten. Er war mit der Na­del weit nach rechts hin aus­ge­fah­ren und hielt den Arm starr und steif und den Mund weit of­fen; in vol­ler Ver­zückung blick­te er aus sei­nen was­ser­blau­en Au­gen auf den sich in die­se ur­hei­tern Fan­tasi­en, wel­che doch auf so dun­kelm Grun­de ruh­ten, ganz ver­lie­ren­den Pa­tron.

      Nun fing er an zu wei­nen und rief da­zwi­schen:

      »O Sidi, Sidi, Sie ver­ste­hen al­les am bes­ten und wis­sen al­les ge­hö­rig ein­zu­rich­ten! Die gan­ze Zeit über wäh­rend Ih­rer Ab­we­sen­heit hab ich mir den Kopf zer­bro­chen, wie es sich wohl am lieb­lichs­ten ma­chen lie­ße, und da kom­men Sie und brau­chen nur zu sa­gen: So ist es!, und es ist so. Sidi, Sie ste­hen auf dem Sprung, mei­nen schöns­ten Traum zu er­fül­len; denn nun wol­len Sie tun, was ich nicht tun konn­te, weil das Ge­schick es nicht litt. Sie ha­ben mei­ne Weh­mut bis ins tiefs­te, aber auch aufs sü­ßes­te auf­ge­rührt, und ich küs­se den Saum Ihres Ge­wan­des da­für. Ja, auch ich war in Ar­ka­di­en und ganz da­für ge­schaf­fen, ein Weib glück­lich zu ma­chen! Ich habe auf Zion und Gol­ga­tha, aber noch mehr zu Mar Saba un­ter der al­ten Gar­de­ro­be mei­ner Freun­de, der Mön­che, tief dar­über nach­ge­dacht. Ich war im­mer fürs Nes­ter­bau­en, doch ich bin auch lei­der im­mer zu blö­de ge­we­sen, so­wohl im Ge­lob­ten Lan­de als auch hier im Lan­de, und nur ein ein­zig Mal hat­te ich vol­le Ge­le­gen­heit, mei­nen Wil­len zu krie­gen; al­lein da hab ich nicht ge­wollt und kann es auch jetzt noch nicht be­reu­en. Das war näm­lich in Pera, wo mich eine alte Schuh­ma­cher­wit­we aus Per­le­berg als Lands­mann und jun­gen ge­fühl­vol­len Men­schen ganz si­cher mit­ge­nom­men hät­te auf ih­rem Le­bens­we­ge. Sie war je­doch dem Trun­ke er­ge­ben und stieß mich auch sonst durch al­ler­lei kör­per­li­che und un­mo­ra­li­sche Ei­gen­tüm­lich­kei­ten ab. Wenn es sei­ne Vor­zü­ge hat, für das Ide­al und das ewi­ge Him­mel­blau und die Ster­ne und die Sphä­ren­mu­sik in der Nacht ge­schaf­fen zu sein, so hat es auch sei­ne Nach­tei­le fürs mensch­li­che Le­ben. Es ist zu Pera nichts aus mei­nem häus­li­chen Glück ge­wor­den, weil ich zu fein roch; und nach­her noch ein­mal zu Je­ru­sa­lem in mei­nes Meis­ters, des Böb­lin­gers, Hau­se wur­de wie­der nichts dar­aus, weil ich zu scharf sah. O Herr, nun aber wird mein al­ler­höchs­ter Wunsch in Ih­nen er­füllt, und sie, ich mei­ne das süße, lie­be, gute Fräu­lein, hat ihre gan­ze See­le auf Sie ge­setzt, und Sie pas­sen ganz zu ihr und dem al­ten Herrn, Sidi; und mich neh­men Sie mit, wo Sie Ihr Zelt auf­schla­gen. O Al­lah, Al­lah, ich bin ge­wiss­lich fürs Idea­le, aber hier sehe ich doch klar, dass es auch eine große Freu­de sein kann, in der Wirk­lich­keit und nicht bloß im Trau­me zu le­ben.«

      »Trock­nen Sie Ihre Trä­nen, fas­sen Sie sich, Täu­brich«, sprach Ha­ge­bu­cher. »In Ihrem letz­ten Sat­ze gebe ich Ih­nen voll­stän­dig recht: es ist eine Freu­de, in der Wirk­lich­keit zu le­ben, so vie­le schar­fe Ecken, bos­haf­te Ha­ken und heim­tücki­sche ver­rä­te­rische Fall­gru­ben sie auch ha­ben mag. Wer gab üb­ri­gens dem klu­gen Nar­ren, dem Ma­ho­met, das Wort ein: Al­les Berau­schen­de ist ver­bo­ten! – ? Wer darf die­ser ar­men ge­plag­ten Mensch­heit das Berau­schen­de ver­bie­ten? So­lan­ge der Schmerz, die Sün­de und der Tod um­wan­deln un­ter ihr, so­lan­ge kann auch das Berau­schen­de nicht ver­bo­ten sein! Jetzt, ed­ler Täu­brich, be­schäf­ti­gen Sie sich ge­fäl­ligst mit Ihrem Frack, ich wer­de noch einen letz­ten Rat hal­ten, und zwar mit der Frau Klau­di­ne und nicht mit dem San­cho­nia­thon. In ei­ner Vier­tel­stun­de hof­fe ich Ih­nen das Re­sul­tat mit­tei­len zu kön­nen.«

      »Gott seg­ne Sie, lie­ber Herr«, schluchz­te der Pa­scha, und der Afri­ka­ner stopf­te lang­sam eine Pfei­fe und streck­te sich lang auf dem wa­ckeln­den Sofa aus. Wer ihn so ge­se­hen hät­te, der wür­de si­cher nicht ge­ahnt ha­ben, mit wel­chem auf­re­gen­den The­ma er sich be­schäf­tig­te und wel­ches herz- und ner­ve­n­er­schüt­tern­de Pro­blem er mit Auf­bie­tung al­ler See­len­kräf­te


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