Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Hart­schie­re,

       Werft auf die Flü­gel­tür!

       Vor ei­nem Fä­cher­schla­ge

       Wird itzt die Nacht zum Tage,

       Kly­me­ne tritt her­für.

      Welch eine nich­ti­ge Welt! Kein Ge­dan­ke, kein Wunsch, kein Vor­satz, die sich über die nächs­te Vier­tel­stun­de hin­aus fest­hal­ten lie­ßen! War das stump­fe Hin­brü­ten in der Ge­fan­gen­schaft zu Abu Tel­fan oder das wil­de, mei­nungs­lo­se Hin­aus­stür­men in alle Welt nach Art des Herrn van der Mook nicht doch die­sem ver­geb­li­chen Ab­quä­len, die­sem fie­ber­haf­ten Su­chen nach dem Rech­ten vor­zu­zie­hen, Frau Klau­di­ne? Wem ge­schieht auf Er­den et­was an­de­res als sein Recht? Las­se man es also je­dem ge­sche­hen! Wer ist so dumm, sich an­ders als un­ter der Peit­sche von Büf­fel­haut zu rüh­ren; wer ist solch ein Narr, um nach so viel­tau­send­jäh­ri­ger Er­fah­rung noch im­mer den ir­ren­den Rit­ter spie­len und die Köp­fe, die Her­zen und Mä­gen der Mensch­heit zu­recht­rücken zu wol­len!

      Der Glück­lichs­te, der Schuld­lo­ses­te wird im­mer der­je­ni­ge sein, wel­cher so voll­stän­dig in den Traum ge­ret­tet wird wie Täu­brich-Pa­scha. Wem es aber nicht so gut zu­teil wird, der ret­te sich sel­ber in je­nen Ego­is­mus, wel­cher den Nächs­ten un­ge­scho­ren lässt und sich sein Nest aus den Fe­dern, Flo­cken, Gras­hal­men und Spros­sen baut, die zum frei­en Ge­brauch in der Welt aus­ge­streut lie­gen. Wir ha­ben neu­lich hohe Wor­te ge­spro­chen in der Kat­zen­müh­le, Frau Klau­di­ne Feh­ley­sen, und trotz al­ler Ver­wir­rung lag die Welt im ru­hi­gen Glanz vor uns bei­den. Aber das war in der Kat­zen­müh­le mit­ten im Wal­de, wo selbst die lei­sen Was­ser nicht mehr die Stun­den zähl­ten. Da sitzt auch Ihr in den Traum ge­ret­tet, Frau Klau­di­ne; aber wie soll man hier in der hoch­fürst­li­chen Re­si­denz sich ver­hal­ten, wo der Leut­nant Kind in na­tu­ra auf der Schwel­le der Frau Ni­ko­la sitzt?

      »Ich schla­fe mit dem Schwer­te un­ter dem Kopf­kis­sen!« rief Leon­hard grim­mig, und als er end­lich wirk­lich schlief, träum­te er von ei­nem war­men Schlafro­cke, ei­nem Paar wun­der­schö­ner wei­cher Pan­tof­feln, ei­ner lan­gen Pfei­fe und ei­ner sin­gen­den Tee­ma­schi­ne.

      »He­rein!«

      Mit ner­vö­ser Span­nung hör­te Ha­ge­bu­cher den schnel­len Schritt die Trep­pe her­auf­kom­men und vor sei­ner Türe an­hal­ten; doch mit umso grö­ßerm Be­ha­gen emp­fing er so­dann den frü­hen Be­such, näm­lich den Leut­nant Herrn Hugo von Bums­dorf, den hei­tern Sohn des nahr­haf­tes­ten Va­ters.

      »Ich ver­nahm so­eben von Ih­rer Rück­kehr aus der sü­ßen Hei­mat«, sprach der ju­gend­li­che Krie­ger, »und ich hielt es für mei­ne Pf­licht, Ih­nen auf der Stel­le mein in­nigs­tes Bei­leid zu er­ken­nen zu ge­ben. Sie ver­lo­ren Ihren Papa, wie mir der mei­ni­ge et­was me­lan­cho­lisch schrieb, und, wie ge­sagt, ich kon­do­lie­re ganz ge­hor­samst, ob­gleich ich wohl be­mer­ken könn­te, dass die Ver­eh­rung des Se­li­gen für mich nie­mals so in­ten­siv war als die mei­ni­ge für ihn.«

      »Ich dan­ke Ih­nen für Ihre Teil­nah­me, Herr von Bums­dorf«, er­wi­der­te Leon­hard. »Die Ih­ri­gen be­fin­den sich wohl, und ich habe von al­len die bes­ten Grü­ße zu über­brin­gen.«

      »Schön!« sag­te der Leut­nant gänz­lich un­ge­rührt. »Hat Ih­nen der Alte sonst nichts mit­ge­ge­ben?«

      »Ja«, lä­chel­te Ha­ge­bu­cher, »aber et­was – et­was –«

      »Et­was mehr in das Ge­biet des hö­he­ren Pa­tri­ar­cha­lis­mus, in Cam­pes ›Vä­ter­li­chen Rat an mei­ne Toch­ter‹, et­was tief in das Hand­buch des Sit­ten­ge­set­zes Ein­schla­gen­des! O schwei­gen Sie still, mein Bes­ter, wenn die­ser mein ar­ka­di­scher Er­zeu­ger wüss­te, wie sehr je­der Tag, jede Stun­de mir hier Moral pre­dig­te, er wür­de si­cher­lich sei­ne Ethik für sich be­hal­ten und Ih­nen et­was Re­el­le­res, et­was Ver­wend­ba­re­res für den arg ge­plag­ten, den sehr ge­drück­ten und ge­knick­ten Spröß­ling sei­ner Len­den mit­ge­ge­ben ha­ben. Doch las­sen wir das, re­den wir von Ih­rer Fa­mi­lie, von den ar­men Da­men; wahr­haf­tig, ich neh­me den in­nigs­ten An­teil an dem Schmer­ze der­sel­ben; wir ha­ben so gut zu­sam­men­ge­hal­ten wäh­rend Ih­rer Ab­we­sen­heit in Afri­ka. Ich ver­leb­te so glück­li­che Stun­den in der Flie­der­lau­be an der Land­stra­ße, und wenn die Cou­si­ne Ni­ko­la in Ur­laub aus der Re­si­denz und ich aus dem Ka­det­ten­hau­se kam, welch ein lus­tig idyl­li­sches We­sen war das mit mei­nen Schwes­tern und mit Ih­rer Schwes­ter, Leon­hard, auf den Wie­sen, auf dem Heu­wa­gen, in der Milch­kam­mer! Ja, das war ein Le­ben, wel­ches sich lo­ben lässt, da brauch­te man sich frei­lich nicht den Code mo­ral vor die Nase rücken zu las­sen, und ich sage Ih­nen, Ha­ge­bu­cher, es ist doch kein Mensch mehr für die ra­tio­nel­le Land­wirt­schaft ge­macht als ich, und, auf Pa­ro­le, ich werd’s der Welt und dem Al­ten noch be­wei­sen. Der Teu­fel hole mich, wenn ich’s nicht tue, und zwar in der al­ler­nächs­ten Zeit!«

      »Sind Sie Ih­rer jet­zi­gen Le­bens­stel­lung so sehr über­drüs­sig, Herr Leut­nant?«

      »Über­drüs­sig?! Dies Wort reicht mei­nen Ge­füh­len nicht bis an den Na­bel. Über­drüs­sig! Kei­ne Na­tur­ge­schich­te hat je tiefer über einen neu­en Na­men für eine neue In­sek­ten­art nach­ge­dacht als ich über einen neu­en Aus­druck für mei­ne jet­zi­gen Zu­stän­de. Mei­ne ein­zi­ge Hoff­nung in die­ser Hin­sicht ist noch Ihr kop­ti­scher Pro­fes­sor; wenn der mir nicht in ir­gend­ei­ner ägyp­ti­schen Fel­sen­kam­mer oder Py­ra­mi­de eine zu­tref­fen­de Keil­schrift- oder Hie­ro­gly­phen­be­zeich­nung da­für aus­fin­dig macht, so bin ich ver­lo­ren, gebe alle Öf­fent­lich­keit und Münd­lich­keit auf und be­schrän­ke mich auf stum­me Zer­knir­schung und schwei­gen­de Ver­ach­tung. O la­chen Sie nicht, Liebs­ter, Bes­ter! Wenn ich heu­te in das Tu­mur­kie­land ge­hen und dort eine Rede hal­ten wür­de, so glau­be ich fest, die Da­men dort wür­den mei­nen Schmer­zen eben­so ge­recht wer­den wie die sü­ßen Kin­der, an­ge­neh­men Wit­wen und hol­den Gat­tin­nen hier den Ih­ri­gen!«

      »Das glau­be ich auch!« lach­te Ha­ge­bu­cher. »Aber wor­an liegt es denn ei­gent­lich? Sie sind jung, ge­sund und wis­sen den Papa vor­treff­lich zu neh­men, ohne sich da­bei durch ein über­trie­be­nes Zart­ge­fühl hin­dern zu las­sen.«

      »Ver­flucht«, ächz­te der tief­ge­beug­te jun­ge Kriegs­mann, »ver­flucht! Ei­nem Se­kon­de­leut­nant glaubt man doch nichts von sei­nem Elend und ak­kom­pa­gniert die hohls­ten Brust­tö­ne sei­ner Verzweif­lung wohl gar noch durch die iro­ni­sche Ver­si­che­rung, man glau­be al­les und be­grei­fe nur nicht, wie ein Mensch un­ter sol­cher Last des Da­seins es zu ei­nem so ho­hen Al­ter habe brin­gen kön­nen. O glück­lich alle jene sin­gen­den, pfei­fen­den, tas­ten­schla­gen­den In­di­vi­du­en, wel­che ihre Schmer­zen durch ihre Küns­te ven­ti­lie­ren kön­nen! Aber was kann ich? Nichts kann ich! Nein – doch, Whist und Lom­ber; aber das sind frei­lich zwei Küns­te, durch wel­che es sich schwer sa­gen lässt, wie man lei­det, in wel­chen man we­ni­ger sei­nem Her­zen als sei­nem Geld­beu­tel Luft macht! Gott, o Gott, Ha­ge­bu­cher, wis­sen Sie, wie tief der Mensch sin­ken kann?«

      »Ich glau­be ei­ni­ge Er­fah­rung da­von zu ha­ben«, sprach der Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de; aber der Leut­nant Hugo von Bums­dorf leg­te ihm die


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