Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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brach­te un­serm Herrn Leon­hard die Nach­richt von dem Tode sei­nes Va­ters?« frag­te Se­re­na.

      »Das glau­be ich nicht. Der Herr Leon­hard hat die Sa­che viel­leicht mit Ab­sicht dun­kel ge­las­sen, so­wohl in dem Brie­fe, wel­chen er an mich, so­wie in demje­ni­gen, wel­chen er an Ihren Herrn Va­ter schrieb, Fräu­lein.«

      »Und ich hal­te das für recht un­freund­lich; ich soll­te mei­nen, wir wä­ren dem Herrn doch mit al­lem Ver­trau­en ent­ge­gen­ge­kom­men!« rief Se­re­na ach­sel­zu­ckend; aber Täu­brich-Pa­scha schüt­tel­te nur be­denk­lich den Kopf und sprach:

      »Blei­ben Sie ru­hig sit­zen, Fräu­lein! Wie ge­sagt, Sie sit­zen warm und hübsch in Ihrem Stüb­chen! An Ih­rer Stel­le rühr­te ich mich gar nicht, son­dern blie­be in mei­nem Ver­steck still wie ein Mäu­schen –«

      »Und käme nur nachts, wenn alle Leu­te zu Bett ge­gan­gen sind, her­aus, um die Spei­se­kam­mer zu in­spi­zie­ren und Zu­cker zu na­schen. Dan­ke, Meis­ter Täu­brich-Pa­scha, ganz zu ei­nem Zei­sig, Dompfaf­fen oder Ka­na­ri­en­vo­gel möch­te ich aber doch nicht wer­den. Er­zäh­len Sie wei­ter von dem Leut­nant Kind.«

      »Er ist öf­ter bei mir ge­we­sen, nach­dem er ein­mal den Weg ge­fun­den hat­te«, sag­te Täu­brich, »hat mich des­glei­chen zu sich in­vi­tiert, und ich bin hin­ge­gan­gen; aber das ist gar nicht ge­müt­lich, und man be­hält zu lan­ge das Frös­teln da­von in den Glie­dern.«

      »Aber Sie un­ter­hal­ten sich doch und re­den mit­ein­an­der von die­sem und je­nem?«

      »Frei­lich! Wir rau­chen, mit Er­laub­nis zu sa­gen, je­der sei­ne Pfei­fe und sit­zen uns ge­gen­über stun­den­lang, und kei­ner spricht ein Wort: ich, weil ich nichts weiß, und Herr Leut­nant höchst­wahr­schein­lich, weil er nicht will.«

      »Das ist ja sehr in­ter­essant!« rief Se­re­na la­chend.

      »Ach nein, in­ter­essant ist es nicht!« mein­te Täu­brich; »aber es ist im­mer noch viel an­ge­neh­mer, als wenn der Herr Leut­nant sei­ne ge­sprä­chi­ge Stun­de be­kommt und sein Ver­gnü­gen dran fin­det, mich grau­lich zu ma­chen. Sein Ver­gnü­gen?! Ich will doch nicht sa­gen, dass er ver­gnügt da­bei ist und aus­sieht; aber mit großem Gu­sto tut er’s, das ist si­cher.«

      »Und wo­durch tut er’s, Täu­brich?«

      »Er un­ter­hält mich von sei­ner se­li­gen Frau und sei­ner se­li­gen Toch­ter und an­de­ren Leu­ten, to­ten und le­ben­di­gen, und zwar auf eine Wei­se, die ei­nem ar­men Schnei­der­ge­sel­len, und wenn er auch in Je­ru­sa­lem und Da­mas­kus war und sich sein gan­zes Le­ben lang mit Tür­ken, Be­dui­nen, Ju­den und Chris­ten von al­len Sor­ten her­um­schlug, doch nicht zu­träg­lich sein kann. Ich glau­be auch fest, in sol­cher Ge­müts­ver­fas­sung denkt er gar nicht an mei­ne Ge­gen­wär­tig­keit, son­dern meint, er rede nur die Wand an. Ach, Fräu­lein, für einen, der zu Mar Saba im Ki­dron­ta­le ein­sch­lief und in der Kes­sel­stra­ße wie­der­auf­wach­te, hat er stel­len­wei­se eine Art an sich, die einen leicht mit dem ho­hen Adel und ver­ehr­ten Pub­li­kum kom­pro­mit­tie­ren könn­te; denn da möch­te man ja wie ein er­schreck­tes Kind laut hin­aus­schrei­en, mit den Fü­ßen stram­peln und nach Haus ver­lan­gen, weg aus die­ser schlech­ten, schmut­zi­gen, blu­ti­gen Not und Schan­de. Da kommt es ei­nem vor, als sei­en Son­ne, Mond und alle Ster­ne aus Blut und Kot zu­sam­men­ge­ballt und hin­aus­ge­wor­fen in die Ewig­keit, und von der tiefs­ten Tie­fe bis zur höchs­ten Höhe hän­ge al­les in Fäul­nis nur durch die Sün­de und den Tod zu­sam­men. Oje, oje, lie­bes Fräu­lein, küm­mern Sie sich nicht um den Herrn Leut­nant Kind und sei­ne His­to­ri­en, las­sen Sie uns von un­serm Herrn Ha­ge­bu­cher re­den, oder schi­cken Sie mich nach Hau­se!«

      Se­re­na Rei­hen­schla­ger hat­te sich längst aus ih­rer nach­läs­sig be­hag­li­chen Lage in ih­rem Ses­sel auf­ge­rich­tet, jetzt stütz­te sie, sich vor­bie­gend, bei­de Arme auf die Leh­ne des­sel­ben, sah dem Schnei­der mit Stau­nen in die Au­gen und sprach so­dann:

      »Täu­brich, wenn ich Sie nicht für einen voll­kom­men un­schäd­li­chen Men­schen hiel­te, so wür­de ich Ih­nen in der Tat einen gu­ten Abend wün­schen und nach­her hin­ter der ver­rie­gel­ten Tür al­les mög­li­che von Ih­nen den­ken. Üb­ri­gens mei­net­we­gen, ich will mich nicht in Ihre und des al­ten Wer­wolfs Mord­ge­schich­ten und Fan­tas­te­rei­en mi­schen, zu­mal da es doch schon Däm­me­rung wird. Re­den wir von Ihrem afri­ka­ni­schen Herrn, weil das Ih­nen bes­ser an­steht: der wür­de mich frei­lich si­cher um zwölf Uhr in der Nacht auf ei­nem Kirch­ho­fe zum La­chen brin­gen. Sa­gen Sie, Täu­brich, welch ein Al­ter ge­ben Sie dem gu­ten Men­schen?«

      »Ge­gen sein Schick­sal ge­hal­ten, ist er noch ein rei­ner Jüng­ling; sons­ten aber mag er wohl nahe an die Vier­zig rei­chen«, sag­te der Pa­scha, und Se­re­na rich­te­te sich noch ein we­nig mehr in die Höhe, be­gann mit dem rech­ten Füß­chen auf dem Bo­den die be­denk­li­che Zahl nach­zu­zäh­len, gab es je­doch bald auf und lach­te lei­se, aber un­ge­mein ver­gnüg­lich.

      »Vier­zig, vier­zig! Ein recht so­li­des, ver­stän­di­ges Al­ter! Aber was in al­ler Welt nen­nen Sie ei­gent­lich sein Schick­sal, ge­gen wel­ches er ein rei­ner Jüng­ling sein soll? Etwa sei­nen Auf­ent­halt dort un­ten bei den Moh­ren? Bah, was ist das zum Exem­pel ge­gen mein Schick­sal?«

      »Ihr Schick­sal? O Fräu­lein, ver­sün­di­gen Sie sich nicht!«

      »Durchaus nicht, Freund Täu­brich-Pa­scha. Saß und sit­ze ich etwa nicht tiefer in al­ler Moh­ren­wirt­schaft wie je­mals ein an­de­res Frau­en­zim­mer auf Got­tes wei­tem Erd­bo­den? Hat je­mals ein an­de­res Frau­en­zim­mer auf Er­den wohl mehr Lan­ge­wei­le und Über­druss aus­ste­hen müs­sen als ich? Da möch­te ich doch bit­ten! Was ge­hen mich das ägyp­ti­sche Le­xi­kon und die kop­ti­sche Gram­ma­tik an? In ei­nem Amei­sen­hau­fen hät­te ich ge­bo­ren wer­den sol­len, aber nicht in dem Hau­se mei­nes lie­ben Pa­pas, der ers­tens viel zu ge­lehrt und zwei­tens viel zu gut für mich ist. Ach, Herr Je­sus, bin ich nur dar­um in die Welt ge­setzt, um erst Ord­nung zu stif­ten und dann einen Ekel an die­ser Ord­nung zu be­kom­men? Täu­brich, Sie sind mein Mann, mit Ih­nen kann man re­den, ohne sich bloß­zu­stel­len und für sei­ne Of­fen­her­zig­keit aus­ge­lacht zu wer­den. Sie sind ein ge­fühl­vol­ler Mensch und ein per­so­ni­fi­zier­tes Däm­mer­stünd­chen, und im Ori­ent wa­ren Sie auch: Sie sind der ein­zi­ge, wel­cher mich be­grei­fen könn­te, ohne nach­her hin­zu­ge­hen und sei­ne un­ver­schäm­ten Glos­sen dar­über zu ma­chen. Horch – hö­ren Sie! Wis­sen Sie, was das war?«

      »Die Pfei­fe ei­ner Lo­ko­mo­ti­ve auf dem Bahn­hof, Fräu­lein.«

      »Na­tür­lich! Die Pfei­fe des Frank­fur­ter Eil­zugs; ich habe mei­nen Fahr­ten­plan gut im Kopf, und das ist mein Elend. In frü­he­ren ro­man­ti­schen Rit­ter­zei­ten stan­den die Da­men auf dem Bal­kon und sa­hen den Mond auf- und un­ter­ge­hen, und der Rit­ter oder sonst wer, der an­kam oder ab­reis­te, blies un­ten im Wal­de auf dem Jagd­horn; et­was spä­ter horch­te man auf das Post­horn und dach­te sich das Sei­ni­ge da­bei, und, of­fen ge­stan­den, das hat­te schon mehr Sinn, denn an die Rit­ter­zei­ten glau­be ich so recht nicht. Heu­te ha­ben wir für un­se­re sehn­süch­ti­gen, rei­se­lus­ti­gen Ge­füh­le den Pfiff der Ei­sen­bahn, und der ist un­be­dingt für eine bäng­li­che, schwär­me­ri­sche See­le das Auf­re­gends­te, zu­mal wenn der Bahn­hof nicht zu weit ab­ge­le­gen ist.


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